Montags-Interview: "Ich dachte: Jetzt erst recht"
Als Kind fand Katajun Amirpur Iran deutlich attraktiver als Deutschland. Heute forscht sie an der Hamburger Akademie der Weltreligionen zu einem geschlechtergerechten Islam.
taz: Fühlen Sie sich geehrt, zur Hamburger Wahlfrau für die Bundespräsidentenwahl ernannt zu sein, Frau Amirpur?
Katajun Amirpur: Auf jeden Fall. Ich empfinde das gegenüber der Akademie der Weltreligionen als ein sehr positives Zeichen. Und ich finde es wichtig, dass man damit auch den Muslimen sagt: Das ist auch eure Wahl.
Wissen Sie schon, wen Sie wählen werden?
Ja.
Darf ich nachfragen, wen?
Sagen wir mal so: Wenn die SPD mich aufstellt, dann ist es relativ naheliegend, dass sie damit eine gewisse Erwartungshaltung verbindet.
40, geboren in Köln. Ihre Mutter ist Deutsche, der Vater Iraner. Er war iranischer Kulturattaché unter Schah Mohammad Reza Pahlavi. Amirpur studierte Islamwissenschaften in Bonn und Teheran.
Nach einer Gastprofessur an der Uni Zürich ist sie seit 2011 Professorin der Hamburger Akademie der Weltreligionen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Islam und Gender, sowie Islam und Dialog. Außerdem ist sie als Publizistin tätig.
Amirpur lebt mir ihrem Mann, dem Schriftsteller Navid Kermani, und zwei Töchtern in Köln.
Die Linke macht sich Hoffnung auf Abweichler – auch angesichts der Kritik an Gauck, der einmal von „Überfremdung“ durch den Islam gesprochen hat.
Ich halte das für eine ausgesprochen unglückliche Formulierung. Man kann natürlich sagen, dass es diese Ängste gibt und sie ernst genommen werden sollten. Das wäre eine günstigere Formulierung. Ich würde die Hoffnung an ihn knüpfen, dass er sich im Amt anders verhält – gerade weil Gauck Bürgerrechtler ist und weil er sehr viel über Verantwortung redet.
Mit der Wahlfrauenschaft haben Sie eine Aufgabe mehr: Professorin an der Hamburger Akademie der Weltreligionen, Publizistin, Mutter zweier Kinder – wie schwierig ist es, all das unter einen Hut zu bringen?
Das ist schon relativ kompliziert. Mein Mann übernimmt sehr viel. Aber das ist ein Problem, das man grundsätzlich in diesem Land hat als jemand mit Familie, wenn beide arbeiten – und wahrscheinlich bin ich noch relativ privilegiert, weil ich mir meine Zeit zu weiten Teilen selbst einteilen kann. Ich glaube, es ist ohne familiäre Infrastruktur kaum möglich.
Das heißt, Sie haben das Glück, auf Großeltern zurückgreifen zu können?
Genau. Meine Eltern und die meines Mannes, und dann habe ich zwei Nichten und meine Schwester hier, was im Übrigen auch der Grund ist, weshalb wir immer noch in Köln leben und nicht in Hamburg.
Wo wir bei Familie sind: In einem Interview haben Sie gesagt, dass Ihr Vater skeptisch war, dass Sie ein Studium der Islamwissenschaften hinbekämen. Hat Sie das entmutigt oder angefeuert?
Ich dachte: Jetzt erst recht. Es ging meinem Vater damals darum, dass es sehr schwierig ist, drei Sprachen zu lernen, die nichts miteinander zu tun haben. Vor allem, wenn man keine Grundlage dafür hat. Er meinte: In der Schule bist du nicht dafür bekannt geworden, besonders viel zu lernen; du machst nur das, was dir Spaß macht. Das geht bei Islamwissenschaft aber nicht.
Woher kam Ihr Interesse an der Islamwissenschaft?
Mein Vater ist sogar Islamwissenschaftler. Aber er hat nie versucht, mich in diese Richtung zu drängen. Er hat mich bestärkt, etwas zu tun, was ich sehr gerne tue – nur dann wäre es Erfolg versprechend. Aber naheliegend war das schon, dass es Sprachen und Politik sein würden. Ich war als Jugendliche in der Kommunalpolitik aktiv.
Waren Sie bei der SPD?
Nein, bei den Grünen. Ich habe mich aufstellen lassen bei den Kommunalwahlen in meinem Dorf, in Winterscheid. Ich habe auch viele Stimmen bekommen – aber leider nicht genug.
Und wie kamen Sie von der Politik zur Islamwissenschaft?
Das war ein Zufall. Ich habe einen Vortrag der Islamwissenschaftlerin Annemarie Schimmel gehört – eigentlich nur, weil ich Auto fahren wollte.
Was konnte Annemarie Schimmel dafür tun?
Mein Vater hatte gefragt, ob jemand zu dem Vortrag mitkommen wollte. Ich hatte gerade meinen Führerschein gemacht und sagte: „Wenn ich die 40 Kilometer hin- und zurückfahren darf, dann komme ich mit.“ Annemarie Schimmel hat über die Bildersprache des Haifiz, des berühmtesten persischen Dichters, gesprochen und das war so umwerfend, dass ich danach gesagt habe: Das studiere ich jetzt.
War Ihr Elternhaus religiös?
Ich bin Muslimin und als solche groß gezogen worden. Aber ich bin in einem Umfeld sozialisiert, das nicht islamisch geprägt war – in einem katholischen Dorf mit 1.000 Einwohnern. Aber in den 80er Jahren hatten wir extrem viel Besuch von meiner iranischen Familie. Dann war man zusammen mit Verwandten, die ihre Gebete machten, mein Onkel erzählte von der Pilgerfahrt, solche Dinge.
War Iran als Land in Ihrer Kindheit ein Sehnsuchtsort?
Als ich vier Jahre alt war, habe ich ein Jahr lang in Iran gelebt. Danach wollte ich auf keinen Fall zurück nach Deutschland, man hat mich schreiend in das Flugzeug getragen. Damals war Iran der Ort für mich, wo es schön war und Deutschland der Ort, wo es doof war. Das hat später kontinuierlich abgenommen. Dann gab es Phasen, in denen wir noch viel Besuch aus Iran hatten, was mit dem Krieg und der schlechten medizinischen Versorgungslage zu tun hatte. Zu dieser Zeit war unser Haus sehr iranisch geprägt. Das nahm dann ab, und wenn man 16, 17 Jahre alt ist, interessiert man sich ja gerade für das nicht, was von den Eltern kommt. Und dadurch, dass ich eine deutsche Mutter habe, war der Alltag, wenn nicht gerade iranische Verwandtschaft da war, ausgesprochen deutsch. Es lagen vielleicht iranische Teppiche herum und es gab iranisches Essen, aber ansonsten war alles sehr normal deutsch.
Warum wollten Sie als Kind so dringend in Iran bleiben?
Ich hatte dort eine große Familie mit drei Tanten und deren Kindern und ich mochte Großfamilie sehr. In Deutschland waren wir eine ganz kleine Familie. Außerdem ist Iran für Kinder toll. Sie sind immer überall dabei, man fuhr ins Grüne, machte Picknicks. Außerdem war ich die einzige Tochter des einzigen Sohnes, da hat man eine coole Stellung. Auch nachher war es so: Wenn meine Eltern sagten, wir bekommen heute Abend Besuch, habe ich immer gefragt: „Sind das Deutsche oder Iraner?“ Waren es Deutsche, mussten die Kinder ins Bett, waren es Iraner, brachten sie ihre Kinder mit und die tobten herum, bis sie um elf in einer Ecke einschliefen.
Sie sind als Studentin noch einmal nach Iran gegangen. Wie war das für Sie als junge Frau?
Als Frau hat man in der islamischen Republik Iran wenig Freiräume. Wobei ich natürlich deutlich mehr hatte als rein im Iran lebende Frauen. Zum einen von meiner Familie aus: Wo meine Tanten zu den Cousinen gesagt hätten, das darfst du nicht, hat sich das bei mir keiner recht getraut. Und ich konnte mich viel freier bewegen, weil ich nicht besonders iranisch aussehe.
Sie selbst waren nie von Repressionen betroffen?
Ich nicht, aber ich habe über Reformdiskurse geforscht und geschrieben, die mich in diese Kreise hineingebracht haben. Meine Doktorarbeit habe ich über jemanden geschrieben, der große Schwierigkeiten bekommen hat, Abdolkarim Sorush. Das habe ich natürlich mitbekommen. Oder wenn man sich mit Intellektuellen traf: Sei es, dass die Herausgeber von Zeitschriften kein Papier bekamen, dass sie ihre Lizenz verloren, dass sie vor Gericht erscheinen mussten und ins Gefängnis kamen.
Was für Sie als Wissenschaftlerin wichtig geworden ist: die Themen Islam und Dialog und Islam und Gender – fanden Sie damals Ansätze dafür?
Ich bin an der Uni sehr schnell auf Reformtheologie gestoßen und fand es unglaublich interessant, wie viele Leute sich gegen dieses repressive System wenden. Ein System, das Verbote für Frauen oder die Ablehnung der Demokratie mit dem Islam begründet, setzt natürlich die Gegenreaktion frei, die fragt: Wieso soll der Islam nicht mit Demokratie vereinbar sein? Das hat man in Iran dann viel stärker als in Tunesien, wo es eine sehr fortschrittliche Gesetzgebung für Frauen gibt, die klar säkular ist. So war Iran eines der ersten Länder, in denen es eine feministische Theologie gab – wobei sie sich nicht so nennen, weil es zu westlich und damit zu negativ klingt.
Mussten solche Diskurse in Iran nicht in sehr versteckten Zirkeln stattfinden?
Das kommt immer auf die Zeit an. Anfang der 90er Jahre gab es zwei Zeitschriften, die wesentlich waren: In der einen schrieben fast nur Männer, religiöse Reformer, Kiyan nannte die sich. Sie wurde von den offiziellen Stellen kritisiert, durfte aber erscheinen. Zum Teil waren die Texte darin auch so kompliziert, mit Argumentationen zur Wandelbarkeit der religiösen Erkenntnis, dass sie von der Politik schlicht nicht verstanden wurden. Dann gab es noch eine Zeitschrift, die nannte sich „Frauen“, Zanan, die etwa eine eigene geschlechtergerechte Lesart des Korans vertrat. Mit dem Wahlsieg von Chatami haben viele Leute aus diesem Umfeld die Chance genutzt, eigene Zeitungen und Zeitschriften zu gründen. Das war der Punkt, wo dieser Diskurs wirklich in die Gesellschaft drang und es entsprechend Ärger von Seiten der Konservativen gab.
Wird die geschlechtergerechte Lesart des Koran derzeit in Ländern wie Iran oder im Westen vorangebracht?
Das muss parallel geschehen und befruchtet sich auch gegenseitig. Die Idee des islamischen Feminismus ist ja nicht in Europa, sondern in der islamischen Welt geboren. Andererseits ist eine der bedeutendsten Vertreterinnen des islamischen Feminismus eine Afro-Amerikanerin, Amina Wadud. Sie kommt aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, ist konvertiert und hat einen starken Impuls in die islamische Welt zurückgegeben, indem sie in Malaysia die Sisters of Islam mitgegründet hat. Manche Frauenrechtlerinnen tun inhaltlich Dinge, die sehr übertragbar sind: Amina Wadud bietet eine geschlechterneutrale Lesart des Korans an. Andere Aktivitäten von Frauenrechtlerinnen sind sehr auf den Kontext bezogen, in dem die Frauen wirken: Wenn die Frauen in Iran darum kämpfen, sich scheiden lassen zu können, sagen die Frauen in Tunesien: „Was interessieren uns die zurückgebliebenen Gesetze Irans? Den Kampf um solche Fragen haben wir schon längst für uns entschieden.“
Und in Deutschland?
Da fragen sich die Musliminnen: „Was ist mit meiner Religion vereinbar?“ Man bekommt von konservativer Seite ein patriarchal geprägtes Bild vermittelt, was Frauen sein sollen. Das gilt sowohl für die Verbände als auch für das, was Ehemann und Vater vermitteln. Nicht immer, aber oft. Wenn die Frauen das ablehnen, haben sie das Gefühl, ihre Religion zu verraten. Dafür muss man einen Ansatz entwickeln, wie man authentisch Muslimin sein und ein gleichberechtigtes Geschlechterverhältnis leben kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Machtkämpfe in Seoul
Südkoreas Präsident ruft Kriegsrecht aus
Nikotinbeutel Snus
Wie ein Pflaster – aber mit Style
Israel, Nan Goldin und die Linke
Politische Spiritualität?
Ineffizienter Sozialstaat
Geteilte Zuständigkeiten
Gesetzentwurf aus dem Justizministerium
Fußfessel für prügelnde Männer
Europarat beschließt neuen Schutzstatus
Harte Zeiten für den Wolf