Monitoring-Bericht zu Hate-Speech: Die neue Dimension der Aluhüte
Die rechte Hetze in sozialen Medien wendet sich von Flüchtlingen ab. Das System wird zur Zielscheibe. Das lockt auch junge Linke zu KenFM.
„Im Jahr 2015 und in der ersten Hälfte 2016 hat sich der Hass weiter bis in die bürgerliche Mitte hinein verfestigt“, sagt Johannes Baldauf, Mitautor der Studie auf Anfrage der taz. Das schrille Geschrei gegen das „Asylantenpack“ und der inflationäre Gebrauch von Ausrufezeichen hat neue Formen angenommen, die nicht mehr nur Flüchtlinge als Zielscheibe hat. „Es zeichnet sich verstärkt ein Hass gegen das System ab, gegen Journalisten, Politiker und Unterstützer aus der Zivilgesellschaft“, so das Ergebnis der umfangreichen Social-Web-Analyse.
Um die wichtigsten Sprachrohre rechter Hate-Speech aufzuspüren und zu bewerten, haben die Autoren Social-Media-Tools benutzt, die normalerweise im Marketing eingesetzt werden. So wurden die reichweitenstärksten Posts auf Facebook, Twitter und Youtube sichtbar. Die Stiftung untersuchte Bilder, Textbeiträge und Videos auf typische Narrative und Hassbotschaften aus dem rechten Spektrum. Rückschlüsse auf die Reichweite und Bedeutung zogen die Autoren aus den Like-Zahlen von einschlägigen Facebook-Gruppen, wie etwa von Pegida, NPD, AfD und der identitären Bewegung. Was am auffälligsten war: „Fans dieser Seiten wandten sich im ersten Halbjahr 2016 vestärkt Verschwörungstheorien zu“, sagt Baldauf. Politiker werden weit häufiger zu „Volksverrätern“, Journalisten als „Lügenpresse“, Asylbefürworter deutlich öfter als „linksversiffte Gutmenschen“ oder Verursacher der „Flüchtlingswelle“ beschimpft.
Wie der gleichzeitig veröffentliche Verfassungsschutzbericht 2015 zeigt, hat auch die rassistisch motivierte Gewalt in Deuschland zu genommen. Danach wurden fünf Mal so viele Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte verübt wie im Vorjahr. Der Monitoring-Bericht belegt darüber hinaus, dass häufig eine „Nein zum Heim“-Gruppe auf Facebook in Orten auftauchte, an denen später Anschläge an Asylbewerberheime verübt wurden. Getarnt als Initiative besorgter Bürger mobilisieren rechte Kräfte mit diesen Seiten AnwohnerInnen gegen AsylbewerberInnen und deren Unterkünfte.
Falschmeldungen über „Invasoren“, Gewaltaufrufe gegen die „Asylschmarotzer“, rechte Hassbotschaften sollen dort auch „besorgte Bürger“ anheizen. „Um ein toxisches Klima für einen Ort zu erzeugen, spielen diese „Nein zum Heim“-Seiten eine große Rolle“, sagt Baldauf. Mordrohungen würden auf Facebook oftmals nur gelöscht, ohne dass die Betroffenen mit rechtliche Konsequenzen rechnen müssten. Dadurch würden auch Behörden dazu beitragen, diese Straftaten zu bagatellisieren.
Friedensquerfront lockt junge Linke
In der Debatte um Flüchtlinge und EU-Krisen hat vor allem ein neues Phänomen an Gewicht gewonnen: die Friedensquerfront. Darunter ordneten die Autoren Seiten wie KenFM, das neurechte Magazin Compact und das Anonymous.Kollektiv ein, das inzwischen auf eine russische Domain umgezogen ist. Die Friedensquerfront setzt sich aus den Überresten der Montagsmahnwachen-Bewegung des Jahres 2014 zusammen, ihre Mitglieder idealisieren Russland als Bastion der Freiheit und kritisieren Deutschland als nicht-souveränen Staat, der unter Fremdherrschaft stehe. Wie die Studie ergab, schlossen sich im vergangen Jahr auch viele Digital Natives dem Anonymous.Kollektiv an, obwohl sie eigentlich aus dem linken Spektrum kommen und ein libertäres Weltbild vertreten.
Baldauf sieht darin ein Warnsignal: „Die Rolle von Verschwörungserzählungen kommt immer mehr im Mainstream an. Es ist keine Nische der Nazis mehr, sondern ein gesellschaftliches Problem geworden.“ Anonymous.Kollektiv erreichte im vergangenen Jahr über 2 Milionen Abonnenten, KenFM folgen 250.000 User, weit mehr noch auf Youtube. Diese Welle neuer rechter Narrative in sozialen Medien weiß auch die AfD zu nutzen. Mittlerweile hat sie sich online als Partei mit den meisten Likes bei Facebook etabliert – mit doppelt so vielen „Gefällt mir“-Angaben wie SPD und CDU.
Gerade Jugendlichen falle es oft schwer, Wahrheit von Lügen und rechter Propaganda zu unterscheiden, sagt Baldauf. Gefragt sei deswegen die Politik, deren Schritte gegen die digitale Hassrede bislang kaum Wirkung gezeigt habe. So hat etwa Heiko Maas Gründung einer Task-Force zwar viel öffentlichen Wirbel gebracht, eine Flut rechter Melde-Attacken auf Facebook konnte das aber nicht verhindern.
Mit der Initiative „No Hate Speech Movement“ möchte die EU nun die Mitgliedsländer zu mehr Einsatz gegen Hass und Diskriminerung im Netz bewegen. Kurz nach dem Brexit bekommt diese Aktion nun aber eine ungewollte Doppeldeutigkeit. Auf nohatespeechmovement.org können Menschen unter dem Hashtag #nohatechain Selfies hochladen, auf denen sie ein halbes Herz mit ihren Fingern formen. Am Ende ergeben zwei Selfies aus unterschiedlichen EU-Ländern ein ganzes Herz gegen Hate – ausgerechnet jetzt, wo die fremdenfeindliche „Leave“-Kampagne Millionen Herzen gebrochen hat. Deutsche AktivistInnen hat die EU-Initiative nun aber ermutigt, eben diesem Gefühl der Unterlegenheit mit vereinten Kräften zu begegnen.
Empowerment gegen Hate-Speech
no-hate-speech.de heißt der deutsche Ableger der Plattform, die Ende Juli online gehen wird. Koordiniert wird sie von den Neuen Deutschen Medienmachern, einem Verand deutscher Journalisten mit und ohne Migrationshintergrund. Ziel solle es sein, vor allem junge Menschen für Hate-Speech zu sensibiliseren, erklärte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) zum Start der deutschen Kampagne am Mittwoch. Konstantina Vassiliou-Enz, Geschäftsführerin der Neuen Deutschen Medienmacher, will mit der Kampagne das erste große Sprachrohr gegen rechte Hetze in Deutschland schaffen: „Wir wollen Betroffene unterstützen und zeigen, dass sie nicht in der Minderheit sind, nicht alleine einer Front von Hatern gegenüberstehen.“
Die Seite richte sich bewusst nicht an Hate-Speaker: Stattdessen sollen User dort Methoden lernen, Hassbotschaften geschickt zu kontern. Dazu gehört etwa die Aufklärung über rechtliche Möglichkeiten, gegen Beleidigungen, Verleumdungen oder Morddrohungen vorzugehen. Opfer rechter Hetze sollen aber auch Inhalte und Argumente zur direkten Gegenrede finden: Und zwar vor allem Memes und Gifs, sagt Vassiliou – denn das seien oft die besseren Argumente. „Hassrede basiert oft nicht auf Fakten, sondern verbreitet Emotionen. Unsere Antwort darauf ist Humor. Die Gegenrede soll witzig sein, nicht moralisierend.“
Darüber hinaus will die Plattform Inhalte verlinken, die von bereits bestehende Initativen gegen Rassismus und Rechtsextremsimus im Netz kommen, etwa auch das Portal netz-gegen-nazis.de der Amadeu Antonio Stiftung. „Empowerment“ lautet das Schlagwort hinter der Kampagne, sagt Baldauf, der eng mit dem Koordinationsteam zusammenarbeitet. Aus seiner Sicht ist die Aufklärungsarbeit gegen rechte Hassrade zwar ein wichtiger Schritt. Allerdings seien effizientere Maßnahmen von Unternehmen und Behörden nötig, um die Regeln der Offline-Welt auch beim Protest im Netz durchzusetzen – und rechte Brandstifter mit Strafen abzuschrecken. „Ich verstehe nicht, warum wir diskutieren, dass Gesetze eingehalten werden müssen“, so Baldauf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“