Mon Dieu Mondial: WM auf fremdem Sofa
■ Fußball prägt unser ganzes Leben – auch wenn wir selbst niemals mitspielen durften
Fußball ist demütigend. „Du bist dran“, sagt der freundliche Trainer im – nach Blatters Wahl – sinnentleerten deutschen WM-Bewerbungsspot zu dem kleinen Jungen, der später mal das „Eröffnungsspiel im eigenen Land“ bestreiten soll. So einer war ich auch mal: auf der Bank, vor dem Spiel, den Einsatz mit bebenden Nüstern erwartend. Die zwei besten Fußballer (nebenbei die blödesten Deppen der Klasse) durften sich ihre Mannschaften auswählen, und das taten sie abwechselnd und mit Bedacht. Die Schnellen, die Guten, die Ballkünstler waren sofort eingeteilt, fachsimpelten in ihren Mannschaftsecken über die weitere Aufstellung. Dann das Mittelfeld, zack, zack, zack, die Reihen auf der Bank lichteten sich. Fast alle waren schon auserkoren, neben mir nur noch der Dicke, der Dürre und der Schwächliche. Gewählt wurden Dick und Dürr. Jonas und mir blieb eine Doppelstunde auf der Ersatzbank. Irgendwie auch nicht schlecht, dachte ich mir. Latein mußte ich auch noch abschreiben. Der mitleidige Sportlehrer drückte mir dann einen Kassettenrekorder in die Hand: ich sollte das Spiel kommentieren. Ein großartiger Pädagoge.
Fußball macht Spaß. Jonas, die anderen Unsportlichen und ich haben in den folgenden Jahren kein WM- oder EM-Spiel der deutschen Mannschaft versäumt. Wir setzten uns bei Jonas in den Garten, installierten eine provisorische Antenne für den tragbaren Fernseher, verzehrten eine Menge alkoholischer Getränke und brachen daraufhin bei der geringsten deutschen Torchance in unkontrollierten Jubel aus. Manchmal tauchte Jonas' Vater auf, setzte sich dazu, stimmte das Deutschlandlied an, zog an unseren Joints und trank unser Bier aus. Diese Verschrobenheiten verziehen wir ihm gerne, durften wir uns doch in seinem Garten alles erlauben: mal einen lautstarken Peter-Schmeichel-Marsch zu Ehren des dänischen Torwarts durch die Blumenbeete, mal die Vernichtung seiner gesamten Schnapsvorräte mit anschließender Verunreinigung des Gartenteichs.
Fußball ist eine ernste Angelegenheit. Weit entfernt von Jonas' Garten befinde ich mich zu Gast in einem Kreuzberger Wohnzimmer. Vollkommen unvorbereitet bin ich in die Fänge fanatischer Fernsehfußballfans geraten. Der Bildschirm ist sorgsam mit drei Lampen indirekt ausgeleuchtet, vor mir steht ein kühles Bier. Alle anderen sind seltsam konzentriert. Was ist denn jetzt schon wieder passiert? Das Fernsehgerät zeigt einen Kameruner Fußballgott, der die Zähne bleckt. Mal kurz nachfragen. „Warum lacht denn der jetzt?“ Großer Fehler. „Der lacht nicht. Das ist Raymond Kalla, der wurde gerade vom Platz gestellt“, tönt es kalt vom Wohnzimmertisch, wo meine Gastgeber sitzen. Sie verachten mich. Ich verstehe nichts von Fußball.
Vom Platz gestellt, aha. Und noch einmal in Zeitlupe. „Aber das war doch gar kein Foul“, sage ich – und bereue sofort. „Eindeutig, eindeutig!“ ruft der Gastgeber, leert sein Bier und blickt mißmutig in meine Richtung, dann schnell wieder zurück auf den Schirm. Um den angeblich verletzten Luigi Di Biagio schart sich ein hell aufgeregtes, als Ärzteteam getarntes italienisches Fälscherkommando und malt ihm – für die Kamera nicht sichtbar – mit Wasserfarben Striemen auf den Oberschenkel. Es muß so sein, ich bin mir ziemlich sicher, aber ich traue mich nicht mehr, diese Theorie öffentlich zu machen.
Fußball ist unwichtig. Ein Anruf von Jonas. „Was, du schaust dir kein Fußball an?“, frage ich ungläubig. „Warum auch?“, antwortet er. Gute Frage. Stefan Kuzmany
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