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Möglichkeitsräume etc.Schneller gehen

■ Die Zeit subversiver Niedlichkeit ist vorbei. Erwachsenwerden ist wieder gefragt

In der Republik der neuen Mitte scheint kein Platz mehr für Regressionsräume. Das machte sich am Wochenende auf einer Tagung in Potsdam bemerkbar, die an den 30. Geburtstag der Kinderladenbewegung erinnerte. Ein bißchen revolutionäre Grundstimmung lag noch in der Luft, aber an die Stelle der pädagogischen Unterkomplexität von damals müsse heute, so der Erziehungswissenschaftler Reinhart Wolff, der Kinderladen als Milieu treten. Darin seien Doppel-Whopper- Probleme unvermeidlich. So nennt Wolff den Umstand für Kinderarbeiter, daß ihr professionelles Tun nun einmal nicht ohne Elternarbeit zu haben ist. Aus dieser wußte eine Erzieherin zu berichten, daß sich die Verweildauer der Eltern nach dem morgendlichen Bringen der Kinder zum Leidwesen der Erzieher deutlich erhöht habe. Die Eltern tun sich schwer damit, nach Ablieferung der Kinder einfach zu ihren Tagesgeschäften überzugehen. In wohliger Atmosphäre wollen sie teetrinkend und plaudernd dem Aufwachsen ihrer Kleinen zusehen. Der dezenten Aufforderung durch die Kita-Leitung, die Bringezeremonie zu verkürzen, verweigerten sich die Eltern mürrisch bis uneinsichtig.

Alles bleibt anders. Der schöne 27. September hat neben dem politischen Farbwechsel auch eine gesellschaftliche Adoleszenzkrise zutage gefördert. Die unfrohe Stimmung nach der Wahl war weniger der Vermutung geschuldet, Schröder sei letztlich einem kohlschen „Weiter so“ verpflichtet. Die Drohung bestand vielmehr darin, daß die Zeiten subversiver Niedlichkeit endgültig vorbei sein könnten. Die komfortable Einsicht in die Nutzlosigkeit, erwachsen zu werden, gewährt keinen langfristigen Aufenthalt mehr. In fiktiven Terrordromen winken keine Freispiele, und ironische Überlegenheit taugt künftig nur noch für lila Pausen. Für die künftige Bodenhaftung hat Schröder seinen Chefdenker Bodo Hombach in Stellung, der mit einfachen Parolen vom aktivierenden Staat spricht und dennoch lange gepflegte Staatsfeindschaften zu erschüttern in der Lage ist. Nach all den Jahren widerständiger Ratlosigkeit fällt es der machtabgewandten Seite der Gesellschaft schwer, offenen Mitmachangeboten Folge zu leisten.

Es darf geübt werden. Wer in künftigen Debatten Anspruch auf Redezeit beantragen möchte, wird sich vermutlich mit der Frage beschäftigen müssen, wie staatstragend er sein möchte und was er darunter versteht. Es spricht mehr als nur die neue Kleiderordnung bei den Grünen dafür, daß es für längere Zeit kein verläßliches und begründetes oppositionelles Milieu geben wird. Die alternative Gegenöffentlichkeit ist Geschichte geworden und kennzeichnet eine kurze Phase der späten siebziger und frühen achtziger Jahre. Die Linke kann schon seit geraumer Zeit keinen privilegierten Zugang mehr zu sozialen Bewegungen behaupten. Die Bedeutendste ist soeben, auch das ist bislang eher als Abschied beschrieben worden, auf die Regierungsbank vorgerückt.

Wer auf der Höhe der Zeit sein will, wird sich in der Beschreibung neu entstehender gesellschaftlicher Milieus versuchen müssen und sollte das Gefäß der Berliner Republik als Möglichkeitsraum begreifen. Sich zur Bearbeitung eigener Regressionsbedürfnisse kürzer zu fassen wird dabei nicht schaden. Harry Nutt

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