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Mögliches Treffen Selenskyj und PutinEin Waffenstillstand wäre schon viel

Bernhard Clasen
Kommentar von Bernhard Clasen

Putin hat sich mit der Idee eines Istanbul-Treffen selbst eine Falle gestellt. Es ist gut, dass die Ukraine zu einem Gespräch bereit ist.

Hat das Treffen mit Wolodymyr Selenskyj in Istanbul vorgeschlagen: Der russische Präsident Wladimir Putin Foto: Pavel Bednyakov/Pool Ap/dpa

D as hat sich Putin sicherlich anders vorgestellt. Nur wenige Stunden nach seinem Angebot zu direkten russisch-ukrainischen Gesprächen am Donnerstag in Istanbul hat Selenskyj Putin beim Wort genommen und postwendend seine Reise nach Istanbul angekündigt. Liebend gerne hätte Putin dem ukrainischen Präsidenten den schwarzen Peter für gescheiterte Gespräche zugeschoben.

Es ist kaum anzunehmen, dass Putin dieses Treffen in Istanbul wirklich will. Zu viel kann er dabei verlieren. Er, der Selenskyj immer wieder als eine vom Westen gesteuerte Marionette ohne Legitimation dargestellt hat, muss Selenskyj nun auf Augenhöhe begegnen. Und er wird sich einer internationalen Presse stellen müssen, die nicht so wohlwollende Fragen stellen wird wie die einheimischen Medienvertreter in Moskau.

In Istanbul wird Putin Öffentlichkeit und Presse nicht im Griff haben. Doch nun muss er wohl oder übel den von ihm selbst vorgeschlagenen Termin wahrnehmen. Seine Bündnispartner in Asien und anderen Kontinenten würden für eine Absage an das von ihm angeregte Treffen in Istanbul keinerlei Verständnis aufbringen.

Es ist gut, dass die ukrainische Führung zu diesem Gespräch in Istanbul bereit ist; sie ist damit in mehrerlei Hinsicht über ihren eigenen Schatten gesprungen. Nun gibt es russische Forderungen, auf die die Ukraine nicht eingehen kann: Sie kann nicht, wie von Russland gefordert, einfach Städte wie beispielsweise Saporischschja den Russen schenken.

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Die Forderung Russlands hingegen, die Diskriminierung der russischen Sprache in der Ukraine zu beenden, verdient durchaus Beachtung. Es kann nicht sein, dass, wie im April in Kyjiw geschehen, Teenager zum Inlandsgeheimdienst SBU vorgeladen werden, nur weil sie auf der Straße russischsprachige Musik gehört haben.

Viel wird in Istanbul nicht herauskommen. Aber wenn das „nur“ ein Waffenstillstand ist, ist das viel. Mehr wird es nicht geben. Aber Istanbul sollte der Beginn eines Prozesses werden. Wenn es aber zu diesem Treffen nicht kommen wird, wird der Krieg in eine noch heißere Phase treten.

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Bernhard Clasen
Journalist
Jahrgang 1957 Ukraine-Korrespondent von taz und nd. 1980-1986 Russisch-Studium an der Universität Heidelberg. Gute Ukrainisch-Kenntnisse. Schreibt seit 1993 für die taz.
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