Mögliche Umweltministerin Tanja Gönner: "Kernenergie länger nötig als geplant"
Gorleben wird weiter erkundet und die Akw-Laufzeiten werden verlängert, sagt die CDU-Umweltpolitikerin Tanja Gönner. Öko-Energie sollen nach ihren Vorstellungen allerdings "immer Vorrang" haben.
Frau Gönner, macht das Koalitions-Verhandeln noch Spaß?
Tanja Gönner: Wir kommen langsam aber sicher dem Ende zu, die Stimmung ist ganz ordentlich, aber natürlich ist es in der Mitte der zweiten Woche etwas anstrengend.
Jetzt kommen die schwierigeren Punkte. Union und FDP wollen die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern. Sind Sie sich schon einig, um wie viele Jahre?
Wir werden uns voraussichtlich nicht auf Jahre festlegen. Wir werden sagen, dass die Laufzeitverlängerung entlang von Sicherheitskriterien erfolgen wird.
Haben Sie also Angst vor den Protesten der Atomgegner, oder warum wählen Sie jetzt diesen Weg?
Um Gottes willen, das nicht. Uns geht es darum, zunächst ein Gesamtenergiekonzept aufzustellen. Erst dann wissen wir wie lange wir die Atomenergie als Brückentechnologie brauchen. Rot-Grün hatte kein Gesamtkonzept, als sie den Atomausstieg beschlossen haben. Sie haben Fristen gesetzt, ohne dass es technisch belegt war und sich an Sicherheitskriterien orientiert hätte.
Aber auch Sie haben dann im Wahlkampf ja Laufzeitverlängerungen gefordert, obwohl ihnen offenbar bisher ein Konzept fehlt.
Nein, wir gehen davon aus, dass die Kernenergie länger nötig ist als bisher geplant, um eine klimafreundliche, wirtschaftliche, versorgungssichere Energiepolitik zu haben. Aber wir müssen erst noch genauer analysieren, wie lang wir die Atomenergie als Brückentechnologie brauchen.
Die 40-jährige CDU-Politikerin ist seit 2005 Umweltministerin in Baden-Württemberg. Dort profilierte sie sich mit einem strengen Klimaschutzgesetz für Hausbesitzer und Widerstand gegen die Suche nach einem Atom-Endlager in ihrem Bundesland.
Die Juristin vertritt die Union bei den Koalitionsverhandlungen in der Arbeitsgruppe Umwelt, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie hat Chancen, neue Bundesumweltministerin zu werden.
Während die FDP konkrete Fristen will, möchte sich Kanzlerin Angela Merkel aber vor der NRW-Wahl nicht festlegen.
Es geht nicht um einen Streit zwischen Union und FDP, sondern eher um unterschiedliche Vorstellungen bei Umwelt- und Wirtschaftspolitikern. An der Haltung, dass wir alle davon überzeugt sind, die Laufzeiten zu verlängern, wird sich aber nichts ändern - egal ob Nordrhein-Westfalen wählt oder nicht.
Wie viel Zeit können Sie sich denn lassen? Das vom Betreiber EnBW trickreich über die Wahl gerettete AKW Neckarwest-heim hat nur noch 150 Tage Restlaufzeit.
Das muss die EnBW angehen. Das Atomgesetz bietet die Möglichkeit Strom von neuen auf ältere Anlagen zu übertragen.
Der noch amtierende Bundesumweltminister hat zuletzt damit gedroht, acht der 17 Atommeiler stillzulegen, weil sie ein Leck im Kühlkreislauf nicht sicher beherrschen. Wie wird es dort weitergehen?
Ich halte das für übertrieben. Wenn Gabriel die Kraftwerke nicht für sicher hält, hätte er Weisung geben müssen, sie vom Netz zu nehmen. Darum geht es in Wahrheit aber gar nicht. Tatsächlich geht es um Nachweise, wie in einem Notfall vorgegangen wird. In Baden-Württemberg haben wir diese erbracht. Der Kollege Gabriel hat anscheinend vergessen, dass der Wahlkampf vorbei ist.
Wann ist für Sie ein Atomkraftwerk sicher?
Schon nach dem heutigen Atomrecht findet alle zehn Jahre eine große technische Überprüfung statt. Da wird dann entschieden, ob der Stand der Nachrüsttechnik eingehalten ist oder ob es Nachholbedarf gibt. Daran orientieren wir uns. Der Markt bei der Atomtechnik entwickelt sich. Wir haben einen dynamischen Sicherheitsbegriff.
Es gibt noch andere Probleme: Mit der Laufzeitverlängerung gefährden Sie den Ausbau der erneuerbaren Energien, warnen Experten.
Nein, schon deshalb nicht, weil wir mindestens die Hälfte der Zusatzgewinn in erneuerbare Energien, Forschung und Energieeffizienz investieren wollen. Man sollte im übrigen immer schauen, woher die Experten kommen, die so argumentieren.
Zum Beispiel vom Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Regierung berät.
Wir werden es so regeln, dass Ökoenergien immer Vorrang vor Atom- und Kohlestrom haben. Bis 2020 wollen wir 30 Prozent erneuerbare Energien. Aber den Rest müssen wir nunmal anderweitig gewinnen - und zwar über die klimafreundlichste Lösung.
Der Chef des Umweltbundesamts fordert: Wer Reaktor-Laufzeiten verlängert, muss CO2-Emissionsrechte vom Markt nehmen - sonst schaden längere Laufzeiten dem Klima. Was sagen Sie?
Die bisherige Festlegung der Emissionsrechte auf dem Markt gilt bis 2013. Dann verhandeln wir neu. In dieser Zeit wären extrem überschaubare Mengen Atomstrom vom Netz gegangen. Insofern müssen sich auch die Experten des Umweltbundesamtes den Vorwurf gefallen lassen, dass sie politisch in die Diskussion eingreifen und nicht nur wissenschaftlich.
Sigmar Gabriel hat das Endlager Gorleben für tot erklärt.Wohin soll denn der Atommüll?
Tod Gesagte leben länger. Die Fragen, die offen sind - gibt es einen Wassereintritt, ist die Deckschicht zu gering - müssen im Rahmen einer Erkundung nach internationalen Maßstäben erforscht werden. Es ist nicht besonders hilfreich, wenn jemand, der über vier Jahre Verantwortung hatte für die Endlagerfrage, nicht vorankommt und dann in der letzten Woche seiner Amtszeit solche Äußerungen macht. Wir müssen ergebnisoffen erkunden.
Welche Alternativen zu Gorleben gibt es, etwa in Baden-Württemberg?
Die Erkundung soll zunächst einmal in Gorleben wieder aufgenommen werden. Das hat Vorrang. Die Diskussion darüber, ob wir gegebenenfalls parallel an anderen Standorten arbeiten sollten, läuft derzeit noch.
Ein neuer Umweltminister muss sich erst einmal um Klimaschutz kümmern, denn in wenigen Wochen ist der entscheidende Gipfel in Kopenhagen. Kann man sich so schnell in die internationale Klimadiplomatie einarbeiten?
Ich gehe davon aus, dass es im Umweltministerium gute Mitarbeiter gibt, die einem neuen Chef das Notwendige über Aktenvermerke und Gespräche näherbringen können.
Sollte der Wirtschaftsminister fahren? Es wird debattiert, die Energie-Verantwortung dorthin zu verlagern.
Die Wirtschaftsarbeitsgruppe debattiert, Energie und Klimaschutz in ein eigenes Ministerium zu überführen. Für die Umweltarbeitsgruppe ist klar, dass Klimaschutz ein originäres Umweltthema ist und dass die Erneuerbaren Energien weiterhin eine starke Unterstützung brauchen. Deshalb sind sie besser im Umweltministerium angesiedelt und nicht gemeinsam mit den fossilen Energien im Wirtschaftsministerium. Das letzte Wort hat die große Koalitionsrunde - übrigens in allen Fragen.
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