Mögliche Rehabilitation in Österreich: Wehrmachtsdeserteure im Abseits
Die Österreicher regen sich über den Vorschlag auf, Wehrmachtsdeserteure zu rehabilitieren. Die bürgerliche Rechte hat Unbehagen, die FPÖ ist dagegen.
WIEN taz | Der Schauspieler Oskar Werner war einer, der Komponist Friedrich Cerha auch und der Dichter H.C. Artmann ebenfalls: ein Wehrmachtsdeserteur. Cerha ist der einzige der drei, der seine volle Rehabilitierung durch die Republik Österreich noch erleben kann. Denn der jüngste Vorstoß der Grünen dafür hat Chancen, eine Mehrheit im Nationalrat zu finden.
Anlass ist eine von der Berliner Stiftung für die ermordeten Juden Europas zusammengestellte Wanderausstellung, die - vom "Personenkomitee Gerechtigkeit für die Opfer der NS-Militärjustiz" um österreichische Fälle angereichert - seit 1. September in Wien zu sehen ist.
Oskar Werner (1922-1984) hatte Glück und wurde nicht erwischt. H.C. Artmann (1921-2000) hatte auch Glück. Er wurde zwar von einem Nachbarn verpfiffen und zum Tode verurteilt, doch die Bürokratie in Berlin war bereits in Auflösung: die Schergen in Wien warteten vergebens auf die Bestätigung des Todesurteils. Tausende andere wurden aber während der NS-Zeit wegen Fahnenflucht oder "Wehrkraftzersetzung" abgeurteilt und hingerichtet.
Die meisten NS-Gesetze Österreichs wurden zwar schon bald nach der Befreiung aufgehoben, die meisten Justizopfer - lebendig oder tot - amnestiert, doch die Rehabilitierung der Deserteure blieb bis heute aus. Noch vor wenigen Jahren hatte der BZÖ-Politiker Siegfried Kampl gegen die "Kameradenmörder" gehetzt.
Während führende SS-Offiziere nach dem Krieg als honorige Politiker oder Experten Karriere machen konnten, wurde Artmann selbst die Anstellung als Briefträger verweigert. Ein Vorbestrafter dürfe nicht in den Staatsdienst eintreten, hieß es.
Es sei höchste Zeit, dass diese Menschen auch als Widerstandskämpfer anerkannt würden, erklärte Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Aufgrund des hohen Alters der Deserteure "haben wir nicht mehr viel Zeit". Und er zeigte sich optimistisch, weil Justizministerin Claudia Bandion-Ortner, ÖVP, schon im März signalisiert habe, dass man da etwas machen könne.
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, SPÖ, und ÖVP-Pensionistensprecher Andreas Khol, der sogar den Ehrenschutz der Ausstellung übernahm, seien auch im Boot.
Ob das Vorhaben in der bürgerlichen ÖVP mehrheitsfähig ist, muss sich allerdings erst zeigen. Zuletzt bremste Justizsprecher Heribert Donnerbauer: "Man soll sich das ansehen, aber Desertion ist ein Delikt, das es nach wie vor gibt." Damit liegt er auf einer Linie mit der FPÖ, deren Dritter Nationalratspräsident Martin Graf seine Teilnahme an der Ausstellungseröffnung "aus Termingründen" absagte. Die Freiheitlichen wettern bei jeder Gelegenheit gegen einen "antifaschistischen Grundkonsens", den sie nicht teilen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung