■ Mögliche Orte: Handy zum Dessert
Die Stühle sind blau gepolstert. So blau, daß man lieber aus dem Fenster schaut, in den grauen Vormittag hinein. Wer das Flughafenrestaurant Tempelhof besucht, hat einen Blick, wie es ihn nur selten in Berlin gibt: Er sieht eine Fläche. Mit einem richtigen Panorama an ihren Rändern, denn das Rollfeld erstreckt sich so weit nach Süden und nach Osten, daß seine Begrenzungen sich hübsch harmonisch krümmen.
Rechts sind die Häuser zu sehen, die am Tempelhofer Damm stehen, mit vielen Lükken dazwischen. Ganz links geht das Gelände des Flughafens in das Grün des Volksparks Hasenheide über. Am anderen Ende des Rollfeldes lassen sich, hinter der S-Bahn, in der dünstigen Kulisse die Gebäude der ZDF-Studios ausmachen.
In Tempelhof gibt es keinen Smog, erzählt Herr Schulze, einer der beiden Besitzer des Restaurants. Und beginnt eine Klimatheorie zu entwickeln, die es in sich hat. Das Rollfeld des Flughafens, die große, aeroplane Freifläche, die zwischen dem Columbiadamm und der Oberlandstraße liegt, diene als Klimaregulator, meint Herr Schulze. Er findet auch, das sei Grund genug, den Flughafen so zu lassen, wie er nun einmal dort liegt, mitten in Tempelhof. Von den Bebauungsplänen ehrgeiziger Stadtplaner hält er gar nichts, an den Erfolg des geplanten Großflughafens Schönefeld glaubt er nicht.
In den Ausführungen dieses bestens informierten Klimaexperten darf man Taktik vermuten: Die meisten Berliner versuchen nun einmal, sich gegen jeden Stein zu wehren, der in dieser Stadt neu auf einen anderen gesetzt wird. Dabei ist ihnen jedes Argument recht. Im Falle des Flughafens Tempelhof wird dabei gerne auf seine angeblich symbolträchtige Funktion als Denkmal für die Luftbrücke verwiesen – eine nostalgische Erinnerung an Zeiten, da die West-Berliner der Welt noch so wichtig waren, daß Briten und Amerikaner ihnen im Fünf-Minuten-Takt ihr Essen mit dem dem Flugzeug einflogen.
Dagegen ist Herr Schulzes Hinweis auf die reine Tempelhofer Atmosphäre geradezu rührend. Und wer will es ihm schon verdenken, daß er seinen Gästen zum pochierten Lachs auf Fenchel-Rüben-Gemüse lieber ein weitschweifendes Panorama bieten will als schwer verdauliche Mietshäuser? Im Inneren des Restaurants merkt man nichts von der guten Tempelhofer Luft. Es riecht nach Kaffee, nach blauen Polstern, ein wenig nach teurem Essen. Die Fenster sind fest verschlossen, und die Heizungen wärmen hinter der dunkelbraunen, geschlitzten Holzverkleidung.
So hat man sich das Wirtschaftswunder immer vorgestellt: als häßliche, aber blankpolierte Heizkörperverkleidung. Als einen Blick über eine Betonpiste, von der aus ein Geschäftsmann nach London und ein Urlauber in die Südsee fliegt. Ganz einfach als Flughafenrestaurant. Herr Schulz ist zum nächsten Termin geeilt, man kann sich noch einmal in Ruhe umsehen, in seinem Tee rühren und versuchen, sich vorzustellen, daß man schon vor vielen Jahren hier gesessen hat. Man stellt sich vor, wie man hier unter den Gruppen von viel zu satten Ausflüglern gesessen hat, die zum Flugzeug-Gucken und Kaffeetrinken mit dem Bus nach Tempelhof gefahren sind. Mit ihnen zusammen hätte man aus dem Fenster geschaut, hätte die schmucken „DC 4“ bestaunt, die Motorflugzeuge der Air France und der PanAm. Wahrscheinlich waren die Fensterscheiben damals noch nicht so dick, und die Kaffeetassen haben leise geklirrt, wenn die vier großen Propeller der Motorflugzeuge gestartet wurden.
Heute unternimmt niemand mehr Ausflüge, um Flugzeugen zuzuschauen, schon gar nicht den Schmalspur-Maschinen und City-Hoppern, die in Tempelhof landen und abfliegen. Es ist recht leer in dem Restaurant, das erst vor einigen Monaten neu eröffnet wurde. Ein vereinzelter Herr im Anzug ißt am Nebentisch. Er hat ein kleines Köfferchen dabei und ein Handy, das er ordentlich neben das Dessert-Besteck gelegt hat. Der Reisende sitzt mit dem Rücken zu dem besonders kitschig drapierten Korb eines Heißluftballons, einer Erinnerung an die Anfänge der Luftfahrt, die in diesem Wirtschaftswunder-Lokal ganz und gar deplaziert ist. Da telefoniert man lieber, nachdem das Dessert verzehrt ist.
Unter dem Vorbau des Restaurants, der das Erdgeschoß um einige Meter überragt, radelt eine Gruppe Polizisten hervor. Ein Schwarm grüner Dienstvögel zieht inmitten der Großstadt auf Betonpfaden nach Süden. Der Winter bricht an. Kolja Mensing
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen