■ Mögliche Orte: Der Minigolfplatz
In Berlin gibt es eigentlich nur zwei Jahreszeiten: neun Monate einen dumpf ins Depressive zielenden Winter, drei Monate Sommer, also Glück oder zumindest die Andeutung der Möglichkeit angenehmer Dinge.
Im warmen, leichten Sommerwind wehen die Gardinen ins Zimmer, Sommermenschen gehen durch die Straßen, am frühen Morgen sitzen Leute auf besonnten Pollern und rauchen lesend, damit sie besser in den Tag kommen, das Private und das Öffentliche vermischen sich. Berliner Ureinwohner gehen mit ihren Bäuchen und Hunden spazieren und lächeln den anderen, im Winter arg mitgenommenen Gesichtern zu. Wind umfächelt hübsche Brüste. Warum nur ist der Milchkaffee so dünn? Überall ist der Milchkaffee zu dünn, wenn man draußen so rumsitzt, entschlossen, den Sommer als Freund zu betrachten.
Zum Beispiel im „Minigolf- Bistro“ am Carl-Hertz-Ufer zwischen Halleschem Tor und Prinzenstraße. Hier ist es schön. Sehr schön. Eigentlich noch schöner als beim Kleingolfplatz in der Hasenheide oder auf der superschicken Gartengolfanlage am Insulaner. Die wird zwar höheren sportlichen Ansprüchen gerecht, schöner ist es aber hier.
Entschlossen verbinden sich im Minigolf-Bistro Sport- und Rumsitzinteressen, Natur und städtischer Raum. Die braungestrichenen hölzernen, mal eher länglichen, mal runden, in jedem Fall stabilen, lese- und schreibfreundlichen Biertische nehmen nicht weniger Platz ein als die Minigolfanlage. Durch die Blätter imposanter Bäume fällt die Sonne auf den Tisch und bleibt da liegen.
Manchmal hat man das Gefühl, ziemlich weit draußen zu sein: vielerlei Singvögel, die man zu dumm ist zu unterscheiden, verzieren mit Liedchen das schöne Geräusch, das entsteht, wenn Wind durch die Blätter streift.
Dann schieben sich wieder die Stadtgeräusche in den Vordergrund: Autolärm, die Linie 1, mal ein Flugzeug — von irgendwoher nach irgendwohin —, Notarztwagensirenen vom Urbankrankenhaus, Kinderquietschen vom benachbarten Spielplatz oder die Stimme eines Stadterklärers, die von den vollbesetzten Ausflugsbooten auf dem Landwehrkanal herüberweht.
Zutraulich setzen sich kleine Spatzen zu mehreren auf den Tisch, um auch was vom Kuchen abzukriegen. Tauben sind Scheiße, Spatzen sind klasse! Gerne würde man als Spatz wiedergeboren werden! Am Vormittag wirkt das Minigolf-Bistro ein bißchen verwaist. Das Interesse derer, die ab zehn hier rumsitzen, konzentriert sich eher auf hausgemachte Erdbeertorte mit Sahne zum Beispiel oder auf Souvlaki.
Vor ein paar Wochen war auf der Speisekarte „Souvlaki“ aus geheimnisvollen Gründen noch in Anführungszeichen gesetzt. Diesmal gibt es Souvlaki ohne Anführungszeichen. Und Weizenbier zum Apfelkuchen. Und Erdbeertorte. Und Männer von der BSR, die ihre Hosen bis zum Knie hochkrempeln. Einer von ihnen hat ein orangenes Hemd an, auf dem steht: „orange“.
Mütter in roten Sommerkleidern kommen gerne hierher mit grasgrünen, praktisch zusammenklappbaren Kinderwagen, in denen Kinder krähen. Sonnenbebrillte Einzelmänner lesen den Tagesspiegel. Freundinnen sagen Sachen zueinander: „Ich weiß, was ich will, mit oder ohne Kinder“ und „Ich habe drei Jahre verschenkt. Ich hätte ja schon längst einen Mann fürs Leben haben können“ und „Für mich war es immer der Punkt: Bis 25 ein Kind und dann nicht mehr.“ — „Das ist doch Quatsch!“ — „Natürlich ist das Quatsch, aber du weißt doch, wie ich bin: wankelmütig. Und mein Mann ist auch wankelmütig. Mal sagt er: Kinder, au ja! Dann will er wieder nicht.“ Die Rede kriegt ein größeres Gewicht, wenn man dabei raucht und Weizenbier trinkt.
Vormittags sitzt man rum; nachmittags spielt man Minigolf. So soll das Leben sein. Das Minigolfspiel ist entspannend vor allem und so schön wie ein Dorffußballplatz in der Sonne. Auch sorgt Minigolf für das eine oder andere Déjà-vu manchmal. Wenn man an der gleichen Bahn scheitert, wie schon als Kind, ist es nicht so schön. Manchmal lassen sich aber auch frühkindliche Traumata mit einem einzigen geglückten Schlag beseitigen.
Vor dem Minigolf-Bistro steht ein Skoda mit Hertha- Aufklebern und witzigen Sprüchen: „Wenn du so bumst wie du parkst kriegst du ihn nie rein.“ Irgendwie komisch, daß der Idiotenspruch keine Kommata enthielt. Warum nur? Detlef Kuhlbrodt
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen