Moderator Steven Gätjen: Richtig auf die Fresse
Steven Gätjen war der Mann für seichte TV-Formate und harmlose Interviews am roten Teppich. Er hatte genug. Da ruft Stefan Raab an – und bietet ihm ein Millionenpublikum.
Auf einmal steht er da. Samstagabend, Primetime: Steven Gätjen auf der großen Showbühne. Nur zwei Wochen vorher hatte er einen Anruf erhalten. Stefan Raab fragte, ob er „Schlag den Raab“ moderieren wolle. Niemand wusste so recht, warum. Am wenigsten vielleicht Gätjen selbst.
Seit Raabs Anruf ist Gätjen der neue Haus- und Hofmoderator des Pro7-Regenten, er präsentiert auch dessen Gaga-Sportevents wie die Wok-WM, bei denen bevorzugt gescheiterte TV-Existenzen vom Schlage ehemaliger Castingkandidaten wetteifern. Gätjen war einer von ihnen, er hat beim Turmspringen mitgemacht und der „Stockcar Crash Challenge“. Es war nicht zu erwarten, dass ihm doch einmal der Durchbruch gelingen würde.
Gätjen empfängt in einem Hotel am Potsdamer Platz in Berlin. Im Sony Center gegenüber hat er am Vorabend die Deutschlandpremiere von „The Amazing Spider-Man“ moderiert. Auf dem Nischenkanal Tele5 präsentiert er das Kinomagazin „Steven liebt Filme“, er gerät ins Schwärmen, wenn er von Treffen mit George Lucas und Steven Spielberg erzählt, „den Helden meiner Kindheit“.
Diesen September wird er 40, und es gab Zeiten, in denen er sich gefragt hat, wie es wohl weitergeht. Die Moderation von Events und Kinopremieren war ein willkommenes zweites Standbein zur stagnierenden TV-Karriere. Am roten Teppich heizt Gätjen den Fans ein, er verteilt Fanartikel und Tickets für die Vorführung, zu der die internationalen Topstars anreisen. Mit denen führt er dann später vor dem gefüllten Saal harmlose Interviews. Er ist ein Teil der Promotionmaschine.
Show mit Millionenpublikum
Viele Moderatoren verdingen sich bei Events und Veranstaltungen, insbesondere die der Kategorie: zweite Reihe. Gätjen zählt eigentlich nicht mehr dazu, er präsentiert eine Show mit Millionenpublikum, die innovativste seit Jahren im deutschen Fernsehen. Die wichtigste Info auf seiner veralteten Homepage ist dennoch die über seinen Herrenausstatter.
Hat er den Karrieresprung noch nicht realisiert? Das Problem mit solchen Veranstaltungen ist die Distanzlosigkeit. Man lobt die Veranstalter, die Sponsoren, ist als Conferencier verantwortlich für eine blitzeblanke Unterhaltung ohne Nebenwirkungen. Ideal für einen Sonnyboy wie Gätjen. Vielleicht hat dieses Image die Prügel befeuert, die er noch vor seiner ersten „Schlag den Raab“-Sendung in Internetforen und von Journalisten bezog: „aalglatt“, „bieder“, „humorfrei“.
Über fünf Stunden dauerte Gätjens Premiere bei „Schlag den Raab“ im Juni vergangenen Jahres. Ein Marathon. Danach bezeichnete ihn ein einfältiger Kritiker als Blockwart, nur weil der Neuling ein paarmal starr die Spielregeln vorgetragen hatte, statt Raab eine freche Antwort reinzudrücken. Kaum jemand sah, dass er die Feuertaufe in diesem anspruchsvollen Format souverän bestanden hatte.
„Stefan hat mir gesagt: ’Du wirst jetzt ein Jahr lang richtig auf die Fresse kriegen‘“, erzählt Gätjen. Sein Vorgänger Matthias Opdenhövel hat eine besondere Ironie, ist stets ein bisschen hintergründig. „Meine Aufgabe ist es ja nicht, in seine Fußstapfen zu treten, sondern ein Format zu tragen und ich zu sein“, sagt Gätjen. Opdenhövel hatte zuvor 26 Ausgaben moderiert. „Der Vergleich hat immer gehinkt.“ Steven Gätjen sagt das ohne Groll. Mit Kritik hat er Erfahrung. „Ich hab schon so viel auf die Fresse bekommen, dass ich ungefähr einschätzen kann, wie das Business funktioniert.“
American Dream
Gätjen kommt aus gutem Elternhaus, sein Vater ist Internist, seine Mutter Journalistin beim Hamburger Abendblatt. Er kam in Phoenix zur Welt, wo sein Vater damals arbeitete. Die Familie zog nach Hamburg, als er drei war. Seine Eltern hätten die drei Söhne immer ermutigt, zu machen, worauf sie Lust haben. Gätjen spricht vom American Dream. „Auch wenn es ein bisschen pathetisch ist, ich find’s schön, wenn man den Menschen sagen kann: ’Du kannst alles machen, du musst dich nur anstrengen und mit Leidenschaft rangehen.‘ Nach dieser Maxime lebe ich.“
Gätjen volontiert beim Hamburger Radiosender OK Radio, mit Mitte 20 bewirbt er sich bei MTV in London. „Beim Casting wurde mir klipp und klar attestiert, dass ich es nicht kann“, erinnert sich Gätjen. Er fängt als Redakteur an. Als eine Moderatorin krank wird, ist sein Moment gekommen. Fortan steht er vor der Kamera.
Diesen und viele andere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 30. Juni/1. Juli 2012. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Pro7 verpflichtet Gätjen für das Boulevardmagazin „taff“, er macht Interviews am roten Teppich bei der Oscar-Verleihung. Irgendwann sei er in einen Arbeitsrhythmus gekommen, „der sehr ungesund sein kann“. Er nimmt sich eine Auszeit, mit seinem Bruder geht er für ein Jahr in die USA. Und realisiert, „dass alle Kontakte ein Haltbarkeitsdatum haben. Dieses Versprechen – ’Meld dich, wenn du wieder da bist‘ –, das existiert nicht.“
Das ewige Talent
Zurück in Deutschland habe er wieder von vorn anfangen müssen. Klinkenputzen. Er kehrt zurück zu Pro7, aber kommt nicht recht vom Fleck. Das ewige Talent, das den nächsten Schritt verpasst. Stattdessen: banale Formate aus den Tiefen der TV-Kloake.
An der Schmähkritik, die Gätjen zu seinem „Schlag den Raab“-Auftakt traf, ist er nicht ganz schuldlos. Zu glitschig erscheint vieles, was er moderiert hat: „Gülcans Traumhochzeit“ oder die chauvinistische Nabelschau „Sommermädchen“. Er bereue nichts, sagt Gätjen, denn „das sind alles Erlebnisse, die mich auf das, was ich jetzt mache, vorbereitet haben“.
Man kann Gätjens Strahlen zu affektiert und seine Art zu glatt finden. Aber er kann beurteilen, was er damals gemacht hat – und dass es so nicht weitergegangen wäre. „Man muss irgendwann realisieren, wo es hingeht – und den Absprung schaffen. Das ist ganz, ganz schwierig.“
Er habe Alternativen durchgespielt, einen Wechsel hinter die Kamera erwogen oder gar, den Medien den Rücken zu kehren. „Ich hätte aufgehört, wenn ich gemerkt hätte, es geht in eine Richtung, die ungesund wird. Wenn ich irgendwo bei Castrop-Rauxel bei Karstadt eine Modenschau für 60-Jährige moderiere, hätte ich meinen Freunden auch gesagt: Zerrt mich von der Bühne und sperrt mich ein.“
Dann klingelt das Telefon: Stefan Raab. Gätjen war sein Co-Moderator im Halbfinale des Eurovision Song Contest in Düsseldorf, vielleicht hat er Raab dort überzeugt. Er sei Raab dankbar für die Chance. Kaum jemand habe sehen wollen, dass er das Handwerk über die Jahre gelernt hatte. Stattdessen hieß es: „Der war doch gar nicht mehr da.“
Das habe ihn nicht gekränkt, aber geärgert. Deshalb sei er heute viel dankbarer. „Weil ich weiß, wie schnell es passieren kann, dass es wieder zu Ende ist.“ Er verweist auf Thomas Gottschalk, die gescheiterte Ikone. „Es ist eine Art von Demut, zu wissen, ich habe es nicht immer in der Hand.“
Am Samstag beginnt eine neue Staffel von „Schlag den Star“, der Promiversion von „Schlag den Raab“. 20.15 Uhr, Pro7
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Mangelnde Wirtschaftlichkeit
Pumpspeicher kommt doch nicht
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl