Modedesigner-Nachwuchs im Wettbewerb: Privilegierte Perspektive
Der International Talent Support in Triest ist Seismograf für kommende Karrieren und Themen. Großes Potenzial hat die Frage des Upcycling.
Die Welt, sagt Barbara Franchin, sei erschreckend voll mit Zeug, mehr davon brauche es nicht. Was es stattdessen brauche, seien „Dichter, Träumer und Visionäre“. Mode ist ein schwieriges Geschäft geworden. Das merkt auch sie, die 2002 in Triest den Nachwuchsdesigner-Wettbewerb International Talent Support (ITS) für Absolventen der internationalen Modeschulen ins Leben rief. Sie startete damit ein erfolgreiches Projekt.
Denn wenn heute international viel diskutierte Modemacher wie Demna Gvasalia und Peter Pilotto unter den Finalisten des Wettbewerbs zu finden sind, will das etwas heißen. Liegt Triest doch weitab von jeder Modemetropole. Aber Barbara Franchin erkannte im vermeintlichen Nachteil die Stärke ihrer Unternehmung: Triest bietet die Chance von Begegnungen jenseits der Hierarchien und Konkurrenzverhältnisse, wie sie in den Zentren herrschen. „Wir haben hier“, sagt die Gründerin, „das Privileg einer unabhängigen und ungefilterten Perspektive.“
Dazu kommt, dass es Franchin von Anfang an gelang, nicht nur eine stets hochkarätig besetzte Jury zu gewinnen, sondern auch relevante Sponsoren aus der Modeindustrie, die Preise in den Bereichen Kleidung, Accessoires und Schmuck ausloben. Solche verlässliche Partner sucht Barbara Franchin nun anlässlich des Wettbewerbs 2019 erneut, und zwar zur Unterstützung ihres Programms für nachhaltiges und umweltfreundliches Design.
Erstmals nämlich konnte sie am Galaabend am 12. Juli den mit 3.000 Euro dotierten ITS Sustainability Award an die US-amerikanische Schmuckdesignerin Corrina Goutos überreichen. Corrina Goutos stammt aus Albany in Bundesstaat New York und studierte am Savannah College of Art and Design. Der Launch ihres Labels fand freilich in Berlin statt, am Prenzlauer Berg. Inzwischen lebt und arbeitet sie in Hamburg.
Extravagantes Collier aus armen Materialien
Beim Abendessen vor der Preisverleihung fiel mir schon ihr extravagantes, aus armen Materialien, einer großartigen Muschel und heftigen Metallbeschlägen, gefertigtes Collier auf. Das zeichnet das Programm des ITS auch aus: Ständig wird Raum für das zwanglose Aufeinandertreffen und Zusammenkommen der Wettbewerbsfinalisten, der Gäste und der Presse geschaffen, rund 400 Leute, die sich dann in Triest tummeln. Und so unterhält man sich beim Essen mit den Finalisten – falls man das nicht schon am Nachmittag während der Gelegenheit zur Portfoliodiskussion getan hat – und spricht dabei schon mit den späteren GewinnerInnen.
In ihren hybriden Schmuckstücken, gefertigt aus BIC-Feuerzeugen, IT-Abfällen, Plastiktuben und natürlichem Material wie etwa Muscheln, erkennt Corrina Goutos „Fossilien der Zukunft“. Denn sie sieht die Stücke in ihrer Zusammenführung von Industrieabfällen mit organischen Stoffen oft weniger als erfunden denn als gefunden an: „Mich fasziniert die Art und Weise, wie es der Natur gelingt, die Überhand zu gewinnen und die vom Menschen verursachten Schäden zu glätten“, sagt sie beim Essen.
Am Tisch saß auch Rafael Kouto, Schweizer Designer mit afrikanischen Wurzeln, der später für seine Kollektion, die Streetwear mit afrikanischen Schnitten und Stoffen mixt, mit dem Diesel und dem Lotto Sport Award ausgezeichnet wurde. Auch er wäre ein guter Kandidat für den ITS Sustainability Award gewesen, denn er fertigt seine grandiosen Stücke ausschließlich aus Stoffen und Materialien, die von den Herstellern aussortiert wurden. Er zerlegt sie und verwertet dann die Einzelteile.
Dass Kleidung primär nicht mehr zerlegt wird, um etwa die Morphologie des traditionellen Anzugs in Frage zustellen und neue Formen zu entwickeln, sondern um Reste zu retten und Material und Handwerk achtsam einzusetzen, ist ein wesentlicher Aspekt, der hier deutlich wird. Er unterscheidet aktuelle Entwurfskonzepte von der sogenannten Mode nach der Mode. Zum ersten Mal seit 18 Jahren, sagt denn auch Barbara Franchin, erkenne die Jury einen Ansatz, dem die absolute Mehrheit der Teilnehmer folge, nämlich Upcycling. Nie zuvor gab es eine solche Übereinstimmung.
Das Format des Kurzinterviews und seine Tücken
Es scheint also eine gute Idee zu sein, dass ich mich auf das Jurymitglied Marie-Claire Daveu stürze, die bei Kering, zu dem unter anderen Marken wie Gucci, Saint Laurent und Balenciaga gehören, für das Thema Nachhaltigkeit verantwortlich ist. Das Format des Kurzinterviews erlaubt während der Portfolioschau, den Finalisten einige interessante Statements zu entlocken, und es taugt auch dazu, Einschätzungen der Jury abzurufen.
Für weitergehendes Nachfragen freilich bietet es keinen Raum. Und leider, mehr als diesen 15-Minuten-Slot bekomme ich nicht für ein Gespräch mit Marie-Claire Daveu. Bedauerlich. Denn Daveu wurde nicht aus der Politik geholt – von 2010 bis 2012 war sie Büroleiterin der französischen Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet – um bei Kering Green Washing zu betreiben, sondern ernsthaft die Probleme anzugehen.
Seit 2010, also schon bevor Daveu zum Luxuskonzern stieß, durchleuchtet Kering systematisch die eigene Produktion und die gesamte Lieferkette auf Umwelt- und Sozialwirkungen hin. Seit 2015 wird eine „ökologische Gewinn-und-Verlust-Rechnung“ veröffentlicht. Wie sieht die genau aus, will ich wissen, und wie reagiert die Finanzindustrie darauf?
Denn beim Copenhagen Fashion Summit im Mai dieses Jahres sprach der Eigentümer von Kering, François-Henri Pinault, davon, dass die Finanzinstitutionen, also wohl Ratingagenturen, Banken und Investoren, ihre Kriterien für die Berechnung des Unternehmenswerts ändern müssten: „Das sind zehn Personen, die es zu überzeugen gilt und damit könnten wir das Business as usual-Prinzip aushebeln“, zitierte ihn die Fachpresse.
Der sogenannte integrierte Bericht
Die Finanzindustrie sei interessiert, sich zu informieren, sagt nun sein Chief Officer of Sustainability in Triest. Man arbeite gemeinsam an der Entwicklung eines sogenannten integrierten Berichts, in den alle Daten eingehen, nicht nur die ökonomischen. Das sei gerade wirtschaftlich notwendig: „Wir müssen wissen, welche Folgen der Klimawandel für unsere Rohstoffe wie Baumwolle oder Kaschmirwolle hat“, sagt Daveu, die einen Stab von 25 Mitarbeitern leitet.
Dieser integrierte Bericht soll standardisiert werden und die gesamte Textilindustrie ihn übernehmen. „Ende April erreichte François-Henri Pinault ein Brief des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, in dem er ihn bat, eine internationale Koalition von Modeunternehmen zu bilden“, berichtet sie. Pinault solle dazu, so der Wunsch des Präsidenten, auf dem G7-Gipfel vom 24. bis 26. August in Biarritz berichten. „Wir arbeiten dafür an drei Punkten, Klimawandel, Verlust der Biodiversität und der Schutz der Meere.“ Konkreteres kann oder will sie nicht sagen, die Namen der Firmen, die dabei sind, werden erst zum G7-Gipfel veröffentlicht.
Die Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf Umwelt und Gesellschaft, sagt Daveu, „gehört zur DNA einer Luxusmarke“, und sie betont, dass das auch für ihre Kunden in China gelte, die „mehr und mehr Fragen zu Nachhaltigkeit und Fairness stellen“. Aus China, genauer aus der Stadt Zhoushan in der südostchinesischen Provinz Zhejiang, kam der Gewinner des ITS-Awards, Daoyuan Ding, der eine außergewöhnliche Männermodenkollektion vorstellte.
2020 in neuen Räumlichkeiten
Auch der Absolvent des London College of Fashion verwendete für seine rasanten, breit geschnittenen Anzüge umweltfreundliche Baumwolle und Wolle. Wie bei allen Gewinnern beinhaltet sein Preisgeld von 15.000 Euro den Ankauf eines seiner Ensembles für das ITS-Archiv. Viel zu lange schon war dieses beengt in einem Dachstuhl untergebracht.
2020 wird es in Triest besonders aufregend werden. Barbara Franchin hat 7.000 Quadratmeter in einem Gebäude gefunden, in dem im nächsten Jahr die ITS Academy eröffnen wird. Dort gibt es dann genügend Raum für das großartige Archiv, neben den Organisationsbüros und Räumen für Workshops und Ausbildungszwecke.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“