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Mode und fotografische InszenierungHimmelblaues Haar

Er gilt als der erste professionelle Modefotograf der Welt. Jetzt bekommt Adolphe Baron de Meyer eine Ausstellung im Allgäu. Und eine Monografie.

Ausschnitt aus Adolphe de Meyer, Dolores, Vogue September 1918 Foto: aus dem besprochenen Band

Inkunabeln der Glamourfotografie stammen von ihm: Adolphe de Meyer (1868–1946), dem ersten professionellen Modefotografen, den die Fotogeschichte kennt. Aber was heißt schon „kennt“? Bei diesem Mann, der Legenden um sich strickte und einen großen Teil seines Archivs vernichtete? Weil er – ein führender Fotokünstler des Piktoralismus, von Alfred Steichen in seiner Zeitschrift Camera Work und seiner berühmten Avantgarde-Galerie 291 groß herausgestellt – glaubte, seine Kunst mit dem Engagement bei Condé Nasts Vogue verraten zu haben.

Er war ein Star, Vorbild großer Fotografen wie Edward Steichen, Man Ray und nicht zuletzt Cecil Beaton. Von Letzterem stammen die Lobpreisungen, die stets zitiert werden, soll de Meyers Klasse in gebotener Kürze benannt werden. Ein kluger Schachzug also, wenn Boris von Brauchitsch gegenläufig dazu mit Cecil Beatons Entsetzen über de Meyer in seine kleine Monografie „Adolphe de Meyer – Begegnung mit dem Faun“ einsteigt, die dem deutschen Publikum diesen Pionier der Fotografie erstmals vorstellt. Die Überraschung ist auf seiner Seite.

Den britischen Fotografen, Kostüm- und Bühnenbildner und Autor also überfällt das Grausen, als sein Idol zu Besuch angerauscht kommt, in einem himmelblauen, offenen Sportwagen, am Steuer ein Chauffeur in himmelblauer Livree, er selbst daneben ebenfalls in Himmelblau, selbst seine Haare haben diese Farbe.

Erzählerischer Witz

Sichtlich legt von Brauchitsch Wert auf erzählerischen Witz und durchkreuzt dann das biografische Narrativ geschickt mit kunsttheoretischen und fotohistorischen Fragestellungen und Recherchen, aber auch gesellschaftspolitischen Überlegungen und solchen zu den ästhetischen und formalen Qualitäten von de Meyers Werk.

Buch und Ausstellung

Boris von Brauchitsch: „Adolphe de Meyer. Begegnung mit dem Faun“. Hrsg. von Jan T. Wilms. Edition Braus, Berlin 2020, 120 Seiten, 30 Abbildungen, 19,95 Euro

Im Kunsthaus Kaufbeuren läuft noch bis zum 19. Juli die Ausstellung „Strike a Pose – Intuition und Inszenierung“ zum Piktoralismus, in deren ­Zentrum Adolphe de Meyer steht.

Geboren in Paris, aber in Dresden aufgewachsen, nimmt er Unterricht bei Claude Monet und beginnt zu fotografieren. 1895 zieht er nach London, wo er Olga Caracciolo dei Duchi di Castellucio kennenlernt, von der es heißt, sie sei eine illegitime Tochter des Prinzen von Wales. Dass ihre 1899 geschlossene Ehe der gesellschaftlichen Absicherung diente, gingen sie doch sexuell getrennte Wege, tat ihrer Verbundenheit keinen Abbruch.

Man reiste viel, gab Partys und de Meyer schuf bemerkenswerte Porträtaufnahmen und exquisite fotografische Stillleben, von denen Cecil Bea­ton schwärmte: „Wie im Falle vieler großer Künstler, gelang es de Meyer sein Vergnügen an einem Gegenstand zu vermitteln, ohne dabei zu viel zu vermitteln: er hatte keine Angst davor, eine fast leere Fotografie zu erschaffen.“

Einen Höhepunkt in de Meyers Schaffen bildeten seine Aufnahmen der Ballets Russes und besonders seine Serie zu „L’Apès-midi d’un faune“ 1912. Mallarmés Vorlage, Debussys Vertonung und Nijinskis Choreografie waren Meilensteine für die jeweiligen Künste, was de Meyer bewusst war. Er fotografierte denn auch mit dem gleichen Anspruch und verankerte mit seinen tatsächlich bemerkenswerten Aufnahmen Nijinski als den Faun im kollektiven kulturellen Gedächtnis.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg übersiedelt das Paar nach New York. Neben wachsendem Antisemitismus und Homophobie, was de Meyer, den homosexuellen Sohn eines jüdischen Bankiers, beunruhigen musste, war er nun auch als Deutscher verdächtig. In New York angekommen, unterschrieb er einen Exklusivvertrag mit Condé Nast, dem Verleger von Vogue und ­Vanity Fair. Damit war Adolphe de Meyer der erste professionelle Modefotograf der Geschichte. In einem Selbstporträt inszeniert er sich freilich als Maler mit Palette und sieht definitiv aus wie Jeff Koons.

Josephine Baker tanzt nicht, sondern sitzt de Meyer im Herren­sakko und mit Kurz­haarfrisur Modell

Mit seinem Piktoralismus-geschulten Blick setzte er seine Models, damals meist Damen der Gesellschaft, ins rechte, also in ein exquisites, aufwändig inszeniertes Licht – gerne vor einem halbdunklen bis dunklen Hintergrund. Der Auftritt davor fiel um so glanzvoller und auratischer aus. Denn darum ging es, um ein neues Frauenbild, durchexerziert im Prominentenporträt.

Porträtist der Stars

Stars wie Gloria Swanson oder Charlie Chaplin schätzten sein Spiel mit dem Licht, mit Schärfe und bewusster Unschärfe in einem minimalistisch gehaltenen Umfeld. Josephine Baker fotografierte er 1925, da war er mit Olga wieder nach Paris übergesiedelt und arbeitete für Harper’s Bazaar.

Adolphe de Meyer, Model, Harper's Bazaar 1933 Foto: aus dem besprochenen Band

In Josephine Bakers Porträt findet der Wandel, den er mit der Rückkehr nach Europa in seinem fotografischen Stil vollzog, seinen Niederschlag. ­Baker tanzt nicht, sondern sitzt ihm im Herrensakko und mit Kurzhaarfrisur Modell und de Meyer gelingt es doch, ihrer Figur eine ungeheure Dynamik zu geben.

„Zeitloser und zugleich aktueller war kein Porträt der zwanziger Jahre“, schreibt Boris von Brauchitsch. Aber das wollte eine jüngere Generation von Modefotografen nicht anerkennen. Sie pflegten die Legende, die Alten wie de Meyer, ­Steichen und auch Stieglitz seien“ edwardianisch“und nie in der Gegenwart angekommen.

Posthume Teilnahme an der documenta 6

Als Olga 1931 an einem Herzinfarkt starb, verlor de Meyer den Boden unter den Füßen, er reiste viel, immer mit Olgas Urne im Gepäck, nun ein alternder Schwuler mit peinlich blauem Haar. 1939 emigrierte er erneut in die USA, wo er hoffte, in Los Angeles noch einmal in die Gesellschaft Hollywoods aufgenommen zu werden, was ihm nicht gelang.

Adolphe de Meyer, Stillleben, Camera Work No. 24, 1908 Foto: aus dem besprochenen Band

So schrieb er Romane, die nicht veröffentlicht und Theaterstücke, die nie aufgeführt wurden und versuchte doch noch einige seiner alten Fotografien wieder aufzutreiben. Als er 1946 starb, passte sein Nachlass in einen Koffer. Dreißig Jahre später aber war er wieder da, im Kreis von Cecil Beaton, Horst P. Horst, Steichen und Hoyningen-Huene in der Sektion „Direkte Fotografie“ auf der documenta 6 im Jahr 1977.

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