Mobilität in der Jugend: "Ich war stolz auf mein Moped"
Jugendliche sollen künftig schon mit 15 Jahren einen Moped-Führerschein machen können. Wie in der DDR! Ein Erfahrungsbericht.
Mit 15 Jahren habe ich sie mir gekauft und gefahren: eine Simson 51 Enduro, kurz S 51, produziert im VEB Fahrzeug- und Jagdwaffenwerk "Ernst Thälmann" in Suhl. Sie war dunkelgrün, hatte zwei Sitze und vier Gänge, und sie schaffte bis zu 65 Kilometer pro Stunde, obwohl ihre offizielle Höchstgeschwindigkeit bei 60 Kilometer pro Stunde lag. Mensch, war ich stolz auf dieses Moped!
Finanziert habe ich es von meinen Geldgeschenken zur Jugendweihe und eigenen Verdiensten durch Ferienarbeit - zum Beispiel als Plastekistenwäscher in einer Fleischfabrik und als Blumenkohlernter im Oderbruch im östlichen Brandenburg. Beides, die Jugendweihegeschenke und die Ferienarbeit, waren damals in den 1980er Jahren in der DDR vollkommen üblich; und das Moped gab es ohne lange Wartezeit einfach in einem Laden in der Kreisstadt zu kaufen. Für mich, auf einem Dorf in der Nähe Berlins aufgewachsen, bedeutete das Fahrzeug einen ungemeinen Sprung an Lebensqualität und Freiheit, weil es meinen jugendlichen Aktionsradius deutlich erweiterte.
Von der DDR lernen, heißt siegen lernen, denkt sich nun offenbar auch die schwarz-gelbe Regierungskoalition. Sie will das Mindestalter für eine Mopedfahrerlaubnis von 16 auf 15 Jahre senken, wie ein Beschluss des Bundestagsverkehrsausschusses vorsieht; allerdings dürfen die Gefährte nicht schneller 45 Kilometer pro Stunde schnell sein, sind also kaum flotter als ein Elektrofahrrad.
Begründet wird die Maßnahme damit, dass Jugendliche auf dem Land dadurch mobiler sein könnten. Nebenbei geht es aber auch darum, den Absatz der zuletzt kriselnden Motorradindustrie anzukurbeln. Immerhin forderte der Industrieverband Motorrad, der Hersteller und Importeure von motorisierten Zweirädern vertritt, bereits im Mai, das Mindestalter für den Mopedführerschein herabzusetzen.
An meine Unterrichtsstunden für die Mopedfahrerlaubnis kann ich mich noch gut erinnern. Bei Wind und Wetter bin ich zum Bahnhof geradelt, um in die Fahrschule in der Kreisstadt zu gelangen. Nie war ich zu spät, und alle Lektionen habe ich mehrfach gründlich gelernt - und die Prüfung im ersten Anlauf bestanden. Wenig später hatte ich dann meine eigene S 51. Natürlich bin ich nicht gleich losgerast, das fabrikneue Gefährt musste behutsam eingefahren werden - und mit Putzen und Pflegen nach jeder Fahrt durch eine Pfütze verwandte ich zu Beginn auch mehr Zeit als mit dem eigentlichen Fahren.
Nach und nach erweiterte sich mein Aktionsradius. Statt auf mein eher überschaubares Heimatdorf konnte ich mich nun in zwei, fünf oder zehn Kilometer entfernte größere Nachbarorte orientieren, die etwas weltoffener als mein Heimatort waren - heute befindet sich dort ein als links geltendes Gymnasium. Plötzlich, zum Beispiel im Freibad, konnte ich dort viel mehr Gleichaltrige, vor allem natürlich Mädchen, kennenlernen, als ich mir jemals vorher erträumen konnte - und ich konnte sie auch problemlos zu Hause besuchen oder zu mir nach Hause und zurückbringen. Mehrfach an einem Tag hin und her zu fahren, war kein Problem mehr - mit einem Fahrrad wäre das nicht gegangen. Alles dies ließ sich an einem Nachmittag erledigen: Freunde und Freundinnen besuchen, Hausaufgaben machen, zum Sport fahren, pünktlich beim Familienabendbrot sein.
Mein erster Kuss hatte nicht wenig mit dem Moped zu tun: Ich hatte sie zu Hause abgeholt, und wir sind zu einer romantischen Brücke an einem Bach im Wald gefahren. Dort knutschten wir - rund acht Kilometer von meinem Zuhause entfernt.
Später half mir meine S 51 auch beruflich: Nach der zehnten Klasse wechselte ich, wie für Abiturienten zu DDR-Zeiten üblich, auf die Erweiterte Oberschule in der Kreisstadt. Wenn ich morgens mal den Zug verpasste, um dorthin zu gelangen, konnte ich einfach mit dem Moped weiterfahren. Und einmal pro Woche leistete ich im Unterrichtsfach "Praktische Arbeit" Hilfsarbeiten in einem Krankenhaus im Nachbarort - auch dort ging es flotter hin als mit dem Fahrrad.
Einen nennenswerten Unfall habe ich nie gebaut, obwohl ich bei jedem Wetter - selbst bei Schnee - gefahren bin. Erinnern kann ich mich an eine kritische Situation im Sommer auf dem Weg zu einem See: Da bin ich ziemlich schnell über einen schmalen Waldweg geheizt, fast einen Geschwindigkeitsrausch bekommend. Glücklicherweise ist dabei nichts passiert, aber hinterher konnte ich ein paar Nächte kaum schlafen. So gerast bin ich nie wieder. Als ich kurz nach der Schule zu Hause auszog und nach Berlin ging, brauchte ich meine S 51 nicht mehr. Sie, die meine Jugendjahre verschönert hatte, blieb auf dem Dorf.
Ob der Mopedführerschein mit 15 demnächst wirklich kommt, steht allerdings noch in den Sternen. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) hat sich die weit verbreitete Kritik an diesen Plänen zu Herzen genommen und will noch einmal gründlich prüfen. Hauptsorge der Kritiker ist, dass die Zahl von Unfällen stark steigen könnte, wenn bereits 15-Jährige mit solchen Gefährten in den Straßenverkehr gelassen werden - so wie in Österreich geschehen. Zudem gelten Jugendliche erst ab 16 Jahren, mit dem Abklingen der Pubertät, als nicht mehr so extrem risikoorientiert.
Sollen Jugendliche also schon mit 15 Jahren ein Moped fahren dürfen - zum Beispiel einen kleinen, flotten Elektroroller? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Einerseits gibt es genügend Anlässe, bei denen man Kinder und Jugendliche vor sich selbst schützen muss; vermutlich gehört frühzeitiges Mopedfahren dazu. Andererseits existiert im heutigen Deutschland, in dem Kinder selten geworden sind, die Tendenz, den Nachwuchs überzubehüten. Statt nachmittags frei in Parks oder Wäldern herumzustromern, werden Kinder häufig von der Musikschule zum Sportverein gekarrt, wo Erwachsene sie betreuen - oder sie hängen gleich vor dem Fernseher oder dem Computer ab. Wie sollen sie da ihre Grenzen spüren und lernen, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen - kurzum: eine selbstbewusste und soziale Persönlichkeit zu werden?
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