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■ Mit seinem Patronagesystem hat Helmut Kohl seine Partei in eine Krise gestürzt und die Amtspflichten eines Kanzlers schwer verletztDie große schwarze Kaffeekasse

Kohl hat seine Partei zu einem Patronagesystem ausgebaut wie keiner zuvor

taz: Der Altbundeskanzler Helmut Kohl hat offenbar als Parteivorsitzender bei der Finanzierung der CDU gegen das Parteiengesetz verstoßen. Wurde er dabei schlecht beraten?

Wilhelm Hennis: Im Gegenteil: Helmut Kohl hätte sich in Rechtsdingen hervorragend beraten lassen können. Ich weiß, dass der ehemalige Vorsitzende des Rechtsausschusses, Horst Eylmann, ein vorzüglicher Anwalt, Kohl mehrfach gebeten hat, in Rechtsfragen zum Vortrag empfangen zu werden. Aber Kohl hat ihn nie eingeladen. Dies ist ein Zeugnis seiner Gutsherrenart: Er machte, was er für richtig hielt, die Fehler mussten dann die anderen ausbaden. So machte es Kohl als Parteivorsitzender wie als Kanzler. Er hat nie auf Rat gehört.

Der derzeitige CDU-Vorsitzende hat Kohls Art auf die Formel gebracht: Er sei eben ein Patriach gewesen, ein gütiger, aber in den kleinen Rechtsfragen nicht immer so genauer Papa der Partei?

Das ist natürlich eine Verniedlichung. Kohl war 25 Jahre lang Vorsitzender der CDU. Zu Anfang war er 43 und wohl kaum ein Patriarch. Nein, er hat sein Prinzip der Parteiführung schon aus der Zeit übernommen, als er noch CDU-Chef in Rheinland-Pfalz war: auf Personen setzen, die ihm nahe stehen. Denen konnte er anerkennend auf die Schulter klopfen oder auch kräftig in die Seite knuffen, wenn sie ihm nicht behagten.

Aber die Förderung von Anhängern ist doch kein Problem und in jeder Partei üblich?

Sicher, es gibt keine Politik ohne Patronage. Ein demokratischer Parteiführer muss sich eine Hausmacht schaffen, muss Freunde haben, mit denen er sich besprechen und auf die er sich verlassen kann. Das ist richtig so, aber es steht den Amtsaufgaben eines Kanzlers entgegen.

Helmut Kohl hat interessanterweise auf seine Verpflichtungen hingewiesen, als er sagte, er habe ja nur der Partei dienen wollen. Der Kanzler nicht mehr als erster Diener des Staates wie einst Helmut Schmidt, sondern der Partei. Ist Kohls Haltung symptomatisch für ein jüngere historische Entwicklung?

Nein, diese Gefahr hat sich von Anfang an herausgebildet, reicht im Grunde bis in die Weimarer Republik zurück. Das Problem des Amtsgedankens, den ich ja schon angedeutet habe, hat schon zum Niedergang Weimars beigetragen. Dieses Phänomen einer politisch-gesellschaftlichen Krise kennen wir seit Platon und Thukydides, und diese Gefahr ist immer latent vorhanden. Kohl war übrigens nie der Diener der Partei, er war ihr Herr. Wer ihm in die Quere kam, der wurde in die Wüste geschickt: Geißler, Albrecht, Wallmann oder Stoltenberg. Interessant ist das Verhalten von Heiner Geißler. Er hat nämlich auch vor zwei Tagen gesagt, dass er der Partei dienen wolle, indem er diese Schwarzgeldkonten ans Licht brachte, und ihm glaube ich das. Er ist ein Fanatiker der CDU – viel mehr als Kohl, für den die Partei meist nur ein Instrument war. Geißler dagegen indentifiziert sich mit den historischen Ideen der CDU. Darum ist er auch ein Linker.

Wer hat in der Bundesrepublik die Würde des politischen Amtes überhaupt ausgefüllt?

Helmut Schmidt. Er war geradezu eine pathetische Figur, der sein Amt in seiner ganzen Verantwortung verstanden hat und damit letztlich gescheitert ist. Bei Gerhard Schröder kann ich noch keine Konturen erkennen, die mir ein Urteil erlauben.

Die aktuelle Krise der CDU lässt sich aber nicht nur dadurch erklären, dass der Amtsgedanke nicht mehr verstanden wird. Gibt es keine strukturellen Probleme der Organisation von Parteien und Staat?

Zweifellos, etwa den Führungsnachwuchs. Da die Parteien mittlerweile mehr und mehr föderativ organisiert sind, rekrutieren sie ihre Kräfte alle über die Länder. Und in den Parteipräsidien dominieren die Ministerpräsidenten. Für Adenauer waren die noch Zaunkönige oder so eine Art preußische Oberpräsidenten. Heute geht die politische Willensbildung in der CDU wie in der SPD über die Länderfürsten. Das ist doch ungeheuerlich – und das muss man in diesem Zusammenhang auch sagen. Kohl hat den Bundestag, also die Institution, über die sich der Idee nach im parlamentarischen System der Nachwuchs profilieren sollte, am langen Arm verhungern lassen. Kohl hat nur den Kontakt zu den Landesfürsten gepflegt, weil er immer dachte, „am Schluss brauch ich sie ja doch“ – und zwar im Bundesrat. Sicher ist das richtig, aber zuvor hat er eben auch wesentlich dafür gesorgt, dass er sie brauchte.

Und dafür benutzte er das Geld von den schwarzen Konten?

Danach sieht es aus. Nur: Die Frage ist doch, ob das im Haushalt der CDU drinsteht. Wenn dem so wäre, hätten sicher die Landesverbände, die nichts bekommen haben, sich gemeldet und ihren Anteil gewollt. Falls die Zahlungen nicht gebucht worden sind, wird die CDU sie doppelt und dreifach an den Staat zahlen müssen. Ob das so kommt, weiß ich nicht. Schließlich hackt eine Krähe nicht der anderen das Auge aus, sprich: Das haben vermutlich alle Parteien so wie die CDU gemacht.

Die Leistung des Verfassungsstaates ist die Trennung von Privat und Öffentlich

Warum nehmen Sie das an?

Sehen Sie, ich bin Beamter, Professor – und ich weiß doch, dass in jeder Dienststelle, die irgendwelche kleineren Einkünfte hat, immer ein bisschen für die Kaffeekasse abgezweigt wird, um, ganz banal, ein Weihnachtsfest teilweise damit zu finanzieren, ohne selber zu tief in die Tasche zu greifen. So etwas ist doch in der Bürokratie gang und gäbe. Das Grundproblem im Kleinen wie im Großen ist dabei die Verwischung von Privatem und Öffentlichem. Denn das ist eigentliche die große Leistung des Verfassungsstaates. Das ist in Parteien von der Sache her schwer möglich, aber dafür gibt es die Regelungen des Parteiengesetzes, mit dem Kohl jetzt offenbar in Konflikt geraten ist. Zumal er die Partei und auch deren Konrad-Adenauer-Stiftung zu einem Patronagesystem ausgebaut hat wie sonst keiner. Wo er Einfluss nehmen konnte, da hat er es getan. Das steht alles in seinen kleinen Notizbüchern.

Vermutlich bald eine lohnende Lektüre für die Staatsanwälte. Bleibt die Frage: Welche Konsequenzen sollten aus der Spendenaffäre gezogen?

Wir müssten die Rolle der Parteien im Staat neu diskutieren – deren Finanzierung ist dabei nur ein Unterpunkt. Zum Beispiel dürfte der Wirtschaftsprüfer einer Partei nicht auch deren Spenden sammeln, wie das im Falle Weyrauch für die CDU üblich war. Zudem ist es auch völlig verkehrt, dass der Bundestagspräsident die Rechenschaftsberichte der Parteien kontrolliert. Hier sollte eine eigene kleine Behörde mit Vertretern des Bundesrechnungshofes eingerichtet werden, die beim Bundespräsidenten angesiedelt ist. Dies ist eine unverzichtbare Reform.

Interview: Daniel Haufler

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