: Mit „interpack“ gegen Töpfers Müllvorschläge
Die Verpackungsindustrie macht gegen Vorschläge zur Begrenzung der Müllflut mobil: „Umweltministerium will uns zurück auf die Bäume schicken“ / PVC-schluckende Supermarktkasse des Chemie-Multis Hoechst als Messe-Hit / Die Verpackungsstrategen setzen auf „Europa 93“ ■ Von Irene Dänzer-Vanotti
Düsseldorf (taz) - Der drohende Müllinfarkt macht der deutschen Verpackungsindustrie keinen Kummer. Eines aber will sie spurlos entsorgt wissen: Den Vorschlag von Bundesumweltminister Töpfer, demzufolge VerbraucherInnen Schachteln, Becher, Tüten und Dosen an den Handel zurückgeben können. Während der Müllexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Andreas Fußer, Töpfers Idee eher für eine geheime Konjunkturspritze für die Verpackungsindustrie hält, tobt diese, der Umweltminister wolle uns „zurück auf die Bäume“ schicken. Auf der „interpack“, die Messe läuft noch bis Mittwoch in Düsseldorf, schlugen ihre Sprecher deshalb vor, den lukrativen Teil der Müllabfuhr zu privatisieren.
Entgegen manchen wortreichen Versicherungen heißt die Devise auf der größten Verpackungsmesse der Welt nicht, Müll zu vermeiden, sondern zu produzieren und gegebenenfalls wieder zu verwerten. Daß das nicht immer möglich ist, wird verschwiegen. Die „duale Abfallwirtschaft“ soll die Probleme lösen. Das bedeutet, daß die städtische Müllabfuhr nur noch den stinkenden Müll abholt. Die übrigen Reste der Überflußgesellschaft - Glas, Papier, Metall, Holz und einige Kunststoffe - sammeln private Unternehmer, bezahlt von der Verpackungsindustrie. Wenn die Stoffe aufbereitet werden, müßten Mülldeponien nach Berechnungen der Branche im Jahr fünf bis sechs Millionen Tonnen - etwa ein Viertel des Haushaltsmülls - weniger aufnehmen. Pro entsorgter Verpackung würde das zwei Pfennig kosten oder 1,5 Milliarden Mark im Jahr.
Die Hersteller befürchten, der Handel könnte angesichts von Abfallbergen vor den Kassen Druck ausüben und nur noch weniger aufwendig Verpacktes verkaufen wollen. Deshalb, sagt der Pressesprecher des Getränkedosenherstellers Schmalbach -Lubeca, wolle man selbst für die Müllabfuhr sorgen. „Die Bemühungen, den Töpfer-Vorschlag vom Tisch zu bekommen, sind im Gange“, sagt „interpack„-Vizepräsident Friedrich Schober.
Getränkeverpacker sind über den zweiten Teil von Töpfers Vorschlag besonders wütend, über das geplante Pfand von 50 Pfennigen auf sämtliche Durstlöscher. „Das hat den Charakter einer Steuer und ist ungerecht“, mäkelt der Schmalbach -Lubeca-Sprecher. Wiederum aus ganz anderen Gründen lehnt der BUND die Regelung ab: Wenn alle Getränke Pfand kosten, gehe der Anreiz verloren, die umweltfreundlichste Glasverpackung, nämlich die Mehrwegflasche, zu kaufen. Spülen und Abfüllen der Mehrwegflasche brauche 35 Pozent weniger Energie als die Produktion einer Flasche aus Altglas.
„Recycling“ - Zauberwort der Verpackungsindustrie
Trotz dieser allgemein bekannten Rechnung ist „Recycling“ das Zauberwort der „interpack“ und muß für allerlei Etikettenschwindel herhalten. Der Chemie-Multi Hoechst zum Beispiel stellt als Messe-Hit eine PVC-schluckende Supermarktkasse vor. Die KundIn soll vor der Kasse die in PVC verpackten Waren auspacken. Die KassiererIn bucht den Preis, wirft die Verpackung in die Kasse, wo sie zermahlen wird. Das PVC könnte dann wiederverwertet werden, sagt ein Hoechst-Sprecher, weil es nicht mit anderen Kunststoffen vermischt sei. Nach Angaben von Umweltschützern aber kostet die PVC-Recycling viel Energie und verschmutzt Luft und Wasser. Wird PVC verbrannt, entsteht Dioxin. Daher fordern sie, ganz auf den Kunststoff zu verzichten.
Ein weiteres Beispiel: Im „interpack„-Wettbewerb gewann eine Verpackung einen Preis, deren VerbraucherInnen Kraftmeier sein müssen. Es handelt sich um eine Pappschachtel, die als Behälter für flüssiges Waschmittel dienen soll. In ihr befindet sich ein Kunststoffbeutel, der mit einem Stutzen an die Schachtel geschweißt ist. Ist Waschmittel verbraucht, soll man den Plastikbeutel aus dem Karton zerren und letzteren in die Altpapiertonne werfen. Abgesehen davon, daß das gar nicht einfach ist, wandert der Plastikbeutel auf jeden Fall auf den Müll, weil er aus einer Verbundfolie aus zwei verschiedenen Kunststoffen besteht. Kunststoff ist nur dann ein neuer Rohstoff, wenn er nicht vermischt ist. Immerhin sicherten die Kunststoffverpacker zu, ab Herbst die Sorten zu kennzeichnen, so daß auch sie noch getrennt gesammelt werden können.
In der Bundesrepublik wurden 1989 Verpackungen für rund 33 Milliarden Mark produziert, geringfügig mehr als im Vorjahr. Trotz der Umweltdiskussion dürfte die Branche weiter wachsen, denn wenn 1993 Waren ungehindert von Grenzen und Zöllnern quer durch Europa transportiert werden, werden die Verpackungen mitfahren - zum größten Teil solche, die im Lastwagen bleiben, die VerbraucherInnen also gar nicht sehen und daher auch gar nicht per Kaufentscheid boykottieren können. „Europa '93“ könnte auch das scherbenvolle Ende mancher Mehrwegflasche sein, denn über große Entfernungen läßt sich kein Rückgabesystem aufbauen. Aber dann ist die Müllabfuhr ja ein Privatgeschäft, und wir brauchen uns um nichts mehr zu kümmern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen