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Mit eingebautem Gefühlsverstärker

Keine Schnörkel, aber Melodien, kein übertriebenes Pathos, sondern zupacken und der Welt ins Auge sehen: Die kanadischen Nickelback feierten in der ausverkauften Columbiahalle ihren sehr schnellen Aufstieg zur berühmtesten Großrockband der Welt

von GERRIT BARTELS

Es gibt Bands, die mögen es nicht, auf ihren einen großen Hit reduziert zu werden. Auf Konzerten spielen sie diesen gern zu Beginn, damit sie danach um so besser beweisen können, dass sie mehr als nur ein One-Hit-Wonder sind. Der kanadischen Rockband Nickelback scheint eine solche Strategie fremd zu sein. Sie lässt ihr Publikum zappeln und spielt am Montagabend in der ausverkauften Columbiahalle das Lied, das sie berühmt gemacht hat, die Rockballade „How You Remind Me“, nicht nur als Zugabe, sondern als dramaturgischen Höhepunkt ihrer Show.

Erst setzen sich Sänger Chad Kröger und Gitarrist Ryan Peake auf zwei Schemel und tragen eine Strophe des Songs unplugged vor; dann folgen der Schlagzeuger und der Cowboyhut-tragende Bassist, steigen in die zweite Strophe mit ein und lassen das Publikum endgültig eins mit sich, der Band, dem Musikfernsehen und der Welt werden. Fünf Minuten lang singt die ganze Halle mit, und es hätte wohl niemand gemerkt, geschweige denn was ausgemacht, wenn „How You Remind Me“ fünfzig Minuten gedauert hätte.

Es ist ja immer wieder erstaunlich, wie gut das funktioniert: Ein handelsüblicher Midtempo-Rocksong wandert aus dem Spätprogramm in die Prime Time, gelangt dann in die Dauerrotation und macht aus einer unbekannten und nicht besonders innovativen Rockband die Großrockband der Stunde. Und die will immer auch live erlebt werden, weshalb alle Deutschland-Konzerte von Nickelback aus kleineren Clubs in Hallen mit 3.000 bis 4.000 Leuten Fassungsvermögen umgelegt werden mussten. Trotzdem ist das Publikum an diesem Abend kein reines MTV- oder Teenie-Publikum, das nur durch besagten Hit in Scharen gekommen ist. Schaut man sich um, entdeckt man vielmehr ein gestandenes Rockpublikum, das vielleicht den städtischen Rocksender „Rockstar FM“ hört oder die Rockpostille Uncle Sallys liest, die beide zusammen mit Viva das Konzert präsentieren. Das auf alle Fälle aber viel Bier trinkt, sich früher im Sexton tummelte, heute im Hard Rock Café, in Ledermontur oder Jeans herumläuft und den Motorradführerschein besitzt. Und das noch immer die Konzertkarten von Auftritten der Chili Peppers, Alice In Chains oder Pearl Jam an der Korkwand im Flur stecken hat, weil es eben gute, handgemachte Rockmusik schätzt.

Die Musik von Nickelback dürfte es mal unter der Bezeichnung „New Rock“ kennen, mal als „New Metal“, doch vor allem ist sie eins: Grunge. Schmockrock. Pathos, Röhren, Gitarren. Konnte man aber den Grunge, wie er Anfang der Neunziger mit Bands wie Pearl Jam, Soundgarden oder Temple Of The Dog um die Welt ging, noch irgendwo in den Siebzigern verorten, irgendwo zwischen Led Zeppelin und Black Sabbath, so sind Nickelback ganz der Musik der Neunziger verpflichtet.

Da können Bands wie die Strokes oder Black Rebel Motorcycle Club sich noch so geschichtsbewusst geben und hie wie da die Feuilletons schmücken: Die Musik, die Amerika bewegt, kommt von Nickelback, Creed, Staind oder Puddle of Mudd (die beiden Letzteren spielten übrigens gestern in der Columbiahalle). Also von den Neogrunge-Bands, die als moderne Volksmusiker in den Staaten Trailerparks, Autowerkstätten und Diners beschallen und dank MTV auch deutsche Wohn- und Kinderzimmer.

So ist man, dem Ereignis angemessen, in der Columbiahalle geduldig und harrt, ohne zu pfeifen, den doch langen Konzertvorarbeiten, ohne dass diese allerdings was helfen: Wie schon vor ein paar Wochen bei den Kollegen von Incubus gibt es bei Nickelback zu Beginn Verstärkerausfälle und andere Irritationen, ruft das Publikum „lauter“, ist erst ab dem vierten Stück der Sound kräftig und klar.

Dann aber wird alles gut, dann lassen sich die Songs von Nickelback überaus gut an. Viele von ihnen haben einen eingebauten Gefühlsverstärker, andere gehen einfach nach vorn. Das Trauerklöpsige eines Eddie Vedders oder anderer Altgrunger geht Nickelback-Vorturner Chad Kröger ganz ab. Mit seinem blonden Bart und den langen, blonden, gelockten Haaren wirkt er eher wie ein junger Heiland, der gekommen ist, um Gutes zu verkünden. Kröger bedankt sich für den großen Zuspruch, spendet Wasser und noch mehr Wasser und erinnert an vergangene Nickelback-Auftritte in Deutschland, damals noch im Vorprogramm von 3 Doors Down, die mit „Kryptonite“ auch mal einen zünftigen Alternative-Rock-Hit hatten.

Nickelback erzählen mit ihrer Musik keinen großen, ausschweifenden Roman. Ihnen geht es um den Augenblick, der genossen werden will, um den einen guten Kick. Keine Schnörkel, aber Melodien, kein übertriebenes Pathos, sondern: zupacken, der Welt ins Auge sehen. Klar, dass Chad Kröger irgendwann die Webcam herausholt, das Publikum mit dem Teufelszeichen provoziert und dann durch die Mitte drauflosfilmt. Das geschieht natürlich auch der Erinnerung zuliebe, für die Lieben daheim. Denn wer weiß schon, wie lange „How You Remind Me“ noch rollt? Und wer weiß, ob Nickelback jemals wieder so berühmt sein werden?

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