■ Mit der Rezession auf du und du: Eurosklerose
Berlin (taz) – Ganz Europa ist von einer Rezession befallen. Ganz Europa? Nein, eine Insel im Westen des Kontinents leistet dem allgemeinen Abschwung Widerstand. In Großbritannien hat die Regierung vorgestern offiziell die längste Rezession seit der Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre für beendet erklärt.
Zwar sind die Lebenszeichen der britischen Konjunktur eher schwach, aber im europäischen Vergleich steht das Königreich als einsamer Star da. Insgesamt wird in der EG das Bruttosozialprodukt (BSP) in diesem Jahr zum ersten Mal seit der Ölkrise 1975 wieder schrumpfen. Nachfrage und Produktion gehen allerorten zurück, und wegen der verschlechterten Absatzerwartung wird immer weniger investiert.
In der Bundesrepublik haben die Wachstumsvorhersagen längst Schrumpfprognosen Platz gemacht. IWF-Direktor Michel Camdessus hat es im Vorfeld der IWF-Frühjahrstagung offen ausgesprochen: Das gesamtdeutsche BSP wird im laufenden Jahr um rund 1,3 Prozent zurückgehen. Die westdeutsche Industrieproduktion liegt im Vergleich zum Vorjahr sogar um etwa 11 Prozent niedriger. 15 Prozent weniger Aufträge verzeichnet die Industrie, was nicht auf eine baldige Erholung hoffen läßt. Auch der lang versprochene Aufschwung Ost bleibt zumindest im verarbeitenden Gewerbe weiterhin aus.
In Frankreich kann die neue Regierung unter Edouard Balladur noch mit keinen wirtschaftlichen Erfolgen aufwarten, obwohl das angesichts einer Arbeitslosigkeit von 10 Prozent dringend nötig wäre. Immerhin steht Frankreich mit einem voraussichtlichen (Nicht-)Wachstum von null Prozent in diesem Jahr im Vergleich gar nicht mal so schlecht da.
In Italien liegt die Arbeitslosigkeit ebenfalls bei 10 Prozent. Das BSP wird Schätzungen zufolge um ein halbes Prozent fallen. Nur die rapide Abwertung der Lira konnte einen weiteren Niedergang aufhalten, denn dadurch ist die italienische Exportwirtschaft wettbewerbsfähiger geworden.
Spanien hält mit einer Arbeitslosenquote von über 20 Prozent den EG-Rekord. Die Situation wird sich bei einem Rückgang des BSP um 0,6 Prozent wohl eher noch verschlimmern.
Die Voraussetzungen für den Beginn der europäischen Währungsunion kann in dieser Lage kaum eines der EG-Länder erfüllen. Im Gegenteil: Außer der D-Mark sind fast alle EG-Währungen weiterhin von Abwertung bedroht. Eine Zinserhöhung, die zur Verteidigung der Währungskurse nötig wäre, können sich die rezessionsgebeutelten Länder aber nicht leisten, da dann die Konjunktur vollends abgewürgt würde. Auch die Haushaltsdefizite können nicht abgebaut werden, wenn einerseits die Steuereinnahmen wegen der Rezession zurückgehen, wenn aber andererseits die Regierungen zur Konjunkturankurbelung mehr Geld ausgeben.
Die Währungsunion würde derzeit mit nur einem Mitgliedsland stattfinden müssen: allein Luxemburg erfüllt noch die Maastricht-Kriterien. Nicola Liebert
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