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■ Mit den Multiplis kann der liebe Gott jetzt einpackenJedem sein eigener Klon

Frankfurt (taz) – Innere Schweinehunde können ganz schön gemein sein. Ständig stehen sie einem im Wege, zerren an den empfindlichen Saiten der facettenreichen Klaviatur unserer Seele, verleiten uns zu den unmöglichsten Aktionen und fordern noch mißlichere Reaktionen heraus.Sie über einen Kamm zu scheren und durchweg zu verdammen, wäre aber ein unverzeihlicher Fehler. Denn ohne diese virtuellen, nichtsdestotrotz äußerst aktiven Quälviecher in uns wäre die Geschichte sicher anders verlaufen. Man/frau stelle sich bloß Columbus oder Marx vor: Wo wären die beiden Revolutionäre gelandet, hätten sie bar jeglicher Erfahrung mit inneren Schweinehunden gehandelt?

Den Washingtoner Biologen und Mediziner Jerry L. Hall müssen gleich ein Dutzend innerer Schweinehunde befallen haben, als er sich daran machte, an befruchteten Eizellen solange herumzudoktorn, bis plötzlich – so mir nichts, dir nichts – identische Kopien von menschlichen Embryonen entstanden waren. Geschafft hatten Forscherkollegen das bisher offiziell nur bei weißen Mäusen. Der US- Experte künstlicher Befruchtung will nur 48 kleine „T's“ aus 17 Matrix-Embryonen erschaffen haben. Großes Indianerehrenwort aus der schönen neuen Welt! Er hat sicherlich weitaus mehr Zygoten-Leichen im Keller, als er zugeben will. Doch Vorsicht! Hall ist nicht Aldous Huxley, sein „Medical Center“ an der George Washington University ist auch nicht mit der Norm- und Brutzentrale im London des 26. Jahrhunderts zu vergleichen.

Dr. Frankenstein 1993. So haben sie ihn fälschlicherweise gebrandmarkt. Den eben benannten Ausrutscher hat sich die taz sogar auf Seite eins geleistet. Starker Tobak, der gerügt werden muß. Leute, glaubt mir, Ihr verurteilt zu früh! Wir sind diesem vorbildlichen Repräsentanten des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten sogar im Gegenteil zu großem Dank verpflichtet. Hall hat eine neue Ära eingeleitet, die sich als die erste wahre Revolution entpuppen wird. Frei nach Mond- Tourist Neil Armstrong: Ein kleiner Schritt im Reagenzglas, ein großer Schritt für die Menschheit. Insbesondere die moribunde Linke darf diese vielleicht allerletzte Chance nicht verpassen.

Dr. Hyde, pardon, Dr. Hall ist die Inkarnation des Laternenmannes von Nietzsche. Gott kann jetzt wirklich einpacken. Endgültig. „Die Philosophen haben die Welt nur unterschiedlich interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern!“ Der amerikanische Wissenschaftler muß die Werke von Karl Marx richtiggehend verschlungen haben, bevor er seinen anderen Kollegen verklickerte, wer unter ihnen der Gott im Reagenz-Glashaus unseres blauen Planeten ist. Eigentlich müßten wir vor Freude Autonomensterne springen. Etwas Besseres hätte uns Menschen der alten Zeugungstradition gar nicht passieren können. Nicht zuletzt weil wir in ein paar Jahrzehnten endlich den Fortpflanzungsstreß, der für eine Menge Fehlentwicklungen in unserer hypermodernen Gesellschaft verantwortlich ist, loswerden.

Die Technik des Klonierens folgt einem recht einfachen Prinzip: Einer sich teilenden befruchteten Eizelle wird die Hälfte der Chromosomen, die jeweils Erbanlagen als gespiegelte Kopie mit sich tragen, entfernt und einer anderen Eizelle, deren Erbanlagen völlig beseitigt wurden, eingeimpft. Im Kern dieser vorher „kopflosen“ Eizelle beginnen winzige Strukturen mit der Verdoppelung des Chromosomensatzes und der weiteren Teilung zum Urklumpen des Körpers: die Zygote.

Der Vorgang kann zwar nicht über 2.000mal wie in „Brave New World“ wiederholt werden, aber von einer menschlichen Zelle lassen sich heute bis zu sechs klonierte Zellen „produzieren“. Im Kühlschrank sind die so vorbereiteten Zellen eine halbe Ewigkeit haltbar. Mit der richtigen Apparatur klappt alles wie am Schnürchen. Zur Vermeidung der psychischen Leiden einer Schwangerschaft mit den immergleichen Babys wird bereits Vorsorge getroffen: In Mailand arbeiten Forscher erfolgreich an einer mit künstlicher Nährlösung am Leben gehaltenen, einem toten Frauenkörper abgetrennten Gebärmutter.

Auf die Gesetze der Marktwirtschaft ist außerdem Verlaß: Die Industrie wird aus ureigenstem Interesse dafür sorgen, daß Klon-Do-It- Yourself-Baukästen entwickelt werden. Wer will der Nachwelt schließlich nicht eine Kopie seiner selbst hinterlassen? Diesem Wirtschaftsboom kann sich kein Unternehmen „vom Fach“ entziehen.

Für die Industrie wird nebenbei ein Traum Wirklichkeit: Nie mehr Krankmeldungen, nie wieder rebellierende Mitarbeiter, nimmermehr sich über Gewerkschaftsmitglieder ärgern – es müssen nur die richtigen, leistungsbereiten und schadstoffresistenten Arbeitertypen geklont werden! Wahrlich, ich sage Euch, Ihr werdet lieben Euren Klon wie Euch selbst!

Aber Angst braucht niemand hier zu haben. Gewissensbisse sind fehl am Platz. Das Klonieren bringt allen etwas.

Die Hallsche Methode verspricht nämlich nicht nur den Supermenschen, sondern wegen ihrer demokratischen Verbreitungsusualität lauter loyale Mitstreiter für die linke Sache. Zu Tausenden, zu Hunderttausenden werden in ein paar Generationen engagierte „Multplis“ (das Wort Klon ist zu negativ besetzt, wir wollen es ab jetzt nicht mehr verwenden) für die Wiederbelebung des realexistierenden Sozialismus kämpfen und der totgesagten kommunistischen Idee wieder auf die Beine helfen. Diesmal mit mehr Entschlußkraft, todsicherem Solidaritätsgefühl und ohne den kleinsten Schatten von Korruption. Multiplis sind sich von Natur aus einig – Schmiergelder, Erpressung, Intrigen und Folterwerkzeuge anderen Kalibers ergo unnötig.

Die heuchelnden Moralapostel kirchlicher Prägung und politisch konservativer Vehemenz sollten es schwer haben, die Bürger einzulullen! Sie versuchen, die Multipli- Produktion doch nur schlecht zu machen, um sie für sich allein einzunehmen und nutzen zu können. Die von ihnen mit Hingabe gezeichnete Horrorvision ist dazu gedacht, von ihren wirklichen Absichten abzulenken.

Zeigen wir diesen Leuten den Vogel – den Vogel des Jahres 1994: den Klapperstorch. Seine Experimente sind manchmal brutaler und amoralischer als hundert Dr. Frankensteins. Franco Foraci

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