Mit dem Zug nach Bali (Teil VII): Chinas Bauern proben den Aufstand
Nach 9.000 Kilometern in Zug und Bus erreicht der taz-Reporter Kunming, wo die Bevölkerung 90.000-mal im Jahr für ein besseres Leben demonstriert. Denn selbst Reis gedeiht nicht mehr.
Jede Menge Regenschirme! Nicht dass es regnen würde - das hat es keine einzige Stunde getan seit Besteigen des Zuges vor sieben Wochen in Berlin. Aber in Kunming, der südwestlichsten Provinzhauptstadt Chinas, brennt die Sonne derart, dass viele Menschen den Regenschirm als Sonnenschirm benutzen.
Kunming nennt sich "Stadt des ewigen Frühlings". Während der Kulturrevolution verbannten die Kommunisten Oppositionelle hierher ins "Nichts", an die barbarische Südwestgrenze des Reiches. Doch nach Ablauf ihrer Zeit wollten viele der Verbannten in der Provinz Yunnan bleiben - wegen des angenehmen Klimas.
40 Jahre nach der Kulturrevolution brodelt es hier allerdings. Mit 770 Millionen Menschen ist Chinas Landbevölkerung gegenüber den Städtern deutlich in der Mehrheit. Und es geht ihr immer schlechter: Von den Behörden erhobene Abgaben oder Gebühren machen ihr ebenso zu schaffen wie Konflikte um Bodennutzungsrechte und die rasant zunehmende Umweltverschmutzung. In manchen Gegenden sind Böden oder Wasser so vergiftet, dass nichts mehr wächst - oder die Bauern ihre Produkte nicht mehr verkaufen können.
So hat sich die Zahl der lokalen Bauernproteste binnen zehn Jahren verzehnfacht, heißt es im Pekinger Büro der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine Statistik des Ministeriums für Öffentliche Sicherheit weist für 2005 fast 90.000 Zwischenfälle aus - Versammlungen, Blockaden, Protestmärsche, Geiselnahmen bis hin zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Bei der Hälfte der Proteste geht es um Bodennutzungsrechte, so das Ministerium: Vielerorts verkaufen lokale Kader den Grund an Investoren. Wenn sich Bauern wehren, steht nicht selten ein Schlägertrupp vor der Tür. 20 Prozent der Proteste richten sich gegen Umweltverschmutzung, 30 Prozent gegen Korruption und Willkür.
Wenn es wenigstens mal regnen würde. Überall in der Provinz Yunnan sieht man die Bauern auf dem Feld: Jetzt muss der Boden für die Reissaat im Dezember gewässert, gepflügt und wieder gewässert werden. Schon seit 6.000 Jahren wird in China Reis angebaut, und noch heute stammen 55 Prozent der Weltproduktion aus China. Doch Untersuchungen des International Rice Reseach Institute im philippinischen Manila zeigen, dass die Reisbauern Opfer der Erderwärmung werden. Binnen der letzten 25 Jahre sind die nächtlichen Tiefsttemperaturen in Südostasien um durchschnittlich 1,33 Grad gestiegen. Zugleich sank der Ertrag der Reisernte um mehr als 10 Prozent. Steigen die Nachttemperaturen, nimmt die Atmung der Pflanzen zu, fanden die Forscher heraus. Dabei verbrauchen sie energiehaltige Stoffe, was den Ertrag pro Pflanze schmälert.
Eine gefährliche Entwicklung - für etwa 3 Milliarden Menschen ist Reis Grundnahrungsmittel. "Die Reisproduktion müsste um jährlich 1 Prozent steigen, um den wachsenden Bedarf zu decken, der sich aus dem Bevölkerungswachstum ergeben wird", schreiben die Forscher. Stattdessen sinkt sie, wenn sich die Erde erhitzt.
Allerdings ist Reis selbst ein Klimakiller: Weil die Pflanzen unter Wasser stehen, erzeugen anaerobe Bakterien Methan, ein 22-mal schlimmeres Klimagift als Kohlendioxid. Experten schätzen, das 10 bis 15 Prozent der weltweiten Klimagifte aus dem Reisanbau stammen. Davon wissen die Bauern der Provinz Yunnan natürlich wenig, sie haben auch andere Sorgen.
Nirgendwo sonst auf der Welt ist die Einkommensschere zwischen Stadt und Land so groß wie in China. Während Städter durchschnittlich 1.050 Euro pro Jahr verdienen, bringt es ein Landchinese statistisch nur auf 320 Euro jährlich. Nach Erhebungen der Weltbank gelten 200 Millionen Landchinesen als arm. Sie müssen mit weniger als 1 Dollar am Tag auskommen. Und tatsächlich ist der Unterschied sichtbar: Während die Dörfer oft in Kargheit verkümmern, präsentieren sich Metropolen wie Kunming glitzernd, reich, dynamisch - dem westlichen Stil ergeben. Fußballstar Michael Ballack prangt auf Werbewänden.
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