■ Mit dem Zahlenspieler auf Du und Du: Neurotisch skandalfixiert
Übel ist das Geschick, das Informationen, Nachrichten, Urteilen bei ihrer emsigen Wanderschaft um den Planeten ereilt: Zerpflückt, kehrtgewendet und neu gruppiert werden sie, sei's beim Hüpfen vom einen Mund ins andere Ohr, sei's bei der Transformation von einem Medium ins andere. Deshalb wohl setzt Ingo Günther lieber auf die reine, klare Zahl. Sie ist (zumindest im besten Fall) überprüfbar und überläßt dem Rezipienten die Deutung. Wie unpassend also, daß ausgerechnet folgendes Interview mit diesem zwitterwesigen Journalisten der Zerzaustheit und Verwittertheit konventioneller Nachrichten unterlag. Allerdings nicht durch bösen Willen oder mangelnde Sorgfalt. Die Kassettenaufnahme wurde durchlöchert von der Sssssschärfe des Windes vor der Weserburg und jazzigem Klaviergeklimper aus einem geöffneten Nachbarfenster.
Schlechte Erfahrungen mit dem Journalismus gemacht?
Ingo Günther: Aber nein. Das hätten aber in der Tat die Kunstwissenschaftler oder Museumsmenschen gerne. Wenn die sich mit meiner Arbeit auseinandersetzen, dann suchen sie mit fast schon neurotischer Fixierung nach einem Skandal. Das ist (schmunzel) noch schlimmer als bei Journalisten. Ein Skandal muß her. Schließlich wertet es einen Künstler ungemein auf, wenn er zensiert worden ist. Sofort ist man förderungswürdig. Ich aber habe mich nicht aus Zensurgründen für die Kunst entschieden – Ssssss... Ich kenne einfach die Limitierungen des Tagesjournalismus.
Ihre journalistischen Arbeiten wurden also in TV und Presse ein bißchen verdreht, ihren künstlerischen Arbeiten erging es aber deshalb noch lange nicht besser.
Genau. Manchmal, scheint mir, wird meine Arbeit als Munition verschossen gegen den Journalismus. Denn viele aus dem Kunstkontext hegen eine latente Abneigung gegen... – Sssssss – Objektivitätsanspruch.
Kunst also nicht als Korrektur des Journalismus, sondern als Ergänzung.
Ja... Schhhhhhh...
Was konkret waren die Beschränkungen des Journalismus, die Sie dazu brachten, die Kunst als Aufklärungsmedium vorzuziehen?
Es gibt ganz viele wichtige Themen – Klimper Klimper – die sich normalen journalistischen Zugang verschließen...
... weil kein Spektakel – Mord, Konkurs, Entlassung – damit verbunden ist?
Aber auch ganz platt aus Platzgründen – Huhhhhhhhh... Die taz hatte ja mal tolle Spezialbeilagen in Kooperation mit der französischen „Liberation“. In der Regel aber kann sich der Tagesjournalismus diese Gründlichkeit nicht leisten. Vor zehn Jahren war ich – ausgestattet mit einer Akkreditierung der taz – in kambodschanischen Flüchtlingslagern. Ein Berg von Erfahrungen ... Dubiduu... in drei Texten nur mühsam verstaut. Und dann gibt es das Problem der Entfernung. Journalismus macht den Rezipienten zum passiven Betroffenen. Die Bilder vom Kosovo etwa vermitteln das Gefühl, erstens, daß alles ganz arg furchtbar ist und zweitens, daß man eh nichts machen kann und es keine Lösung gibt – außer Magenkrämpfen auf allen Seiten.
Was bieten Sie jenseits der Magenkrämpfe?
Zum Beispiel beim Thema Flüchtlingslager. Das ist eben nicht der Ausnahmefall, dem mit Care-Paketen beizukommen ist, sondern es ist ein struktureller Teil unserer Zivilisation. Das man das Problem als Ganzes nicht beheben kann, die politischen Ursachen nicht in den Griff kriegt, sollte man sich wenigstens überlegen, wie das Beste daraus zu machen wäre.
Also Ihre Republik der Flüchtlinge, die an kein Territorium gebunden ist und mit Hilfe des Internets zusammengehalten wird.
Ich behaupte einfach, die 23 Millionen – mindestens – über den Erball verstreuten Flüchtlinge bilden einen eigenen Staat.
Sie fordern dazu auf, in Flüchtlingen mitsamt ihren gruseligen existentiellen Erfahrungen nicht immer nur ein Problem zu sehen. Flüchtlinge könnten auch als soziale Ressourcen begriffen werden. Das erinnert ein wenig an Schlingensiefs Partei „Chance 2000“ Auch die bemühte sich um eine Aufwertung aller Outlaws – Arbeitslose, Obdachlose, wollte sie selbst, frei nach Foucault, zu Wort kommen lassen. Nicht nur über sie schwatzen.
Kann sein. Es ist wichtig solche Dinge mal anzudenken. Übrigens wird die Lage der Flüchtlinge oft völlig falsch gesehen. Problem ist oft gar nicht mal so sehr die Versorgung oder Seuchengefahr, sondern Langeweile. Das Herausgerissensein aus allen sozialen, kulturellen Zusammenhängen über Jahre hinaus. Doch solche Dinge sind schwer in die Form einer Nachricht zu kleiden. Ich will den Nachrichten zuliefern, sie komplettieren, in den Kontext betten, miteinander verbinden.
Ihre Globen mit den Dutzenden von Kriegsherden und Flüchtlingsströmen zeigen, wie kurios das vielbeschworene Gewissen „unserer“ Weltgemeinschaft ist, wenn es sich mal mit der Verve der Ausschließlichkeit auf Ruanda, dann wieder auf Somalia oder den Irak wirft.
Die Kenntnis der nackten Zahlen – Ssssss.. – kann vor Fehlgewichtungen schützen. Ich will meine Arbeiten so kalt machen wie möglich. Vor allem vermeide ich die Emotionalisierung.
Künstler sollen heute nicht allzu politisch arbeiten und schon gar keine Lösungen anbieten. Sonst schilt man sie als unkomplex und naiv.
Das Gegenteil gilt: Es ist furchtbar, groß herumzukritisieren, wenn man keine Lösungen hat. Sich pompös aufzuregen – und dann geschieht nichts, das ist nicht gut.
Was geschieht.
1989 habe ich einen Piratensender in Leipzig aufgebaut. Schhhhhhh... Demnächst gehe mit Computern... Schubiduh... Flüchtlingslager.
Wie lange am Tag lesen Sie Zeitung?
Nicht mehr so arg. Ssssssss...
Fragen: bk
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