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Mit dem Trauma lebenWas Heilung kostet – und wie sie gelingen kann

Katastrophen zu überstehen heißt auch, keine Ruhe mehr zu finden in der Welt. Ein Beispiel dafür war die Holocaust-Überlebende Dita Kraus.

Dita Kraus während der Gedenkfeier zum 79. Jahrestag der Befreiung des KZ Neuengamme, am 3.5.2024 Foto: Gregor Fischer/picture alliance

H ealing begins with support.“ Ich las diesen Satz auf einem Werbebild der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und blieb daran hängen. Ein schöner Satz, dachte ich, fast tröstlich. Aber auch einer, der in diesen Tagen falsch klingt. Denn was, wenn die Wunde gar nicht aufhört zu schmerzen? Was, wenn die Gewalt weitergeht, während mancher schon von Heilung spricht?

Ich hing diesen Gedanken nach, an einem Morgen, nachdem ukrainische Städte massive russische Angriffe erlebt hatten. Wieder. In einem Bericht schilderte das IOM das Schicksal des 88-jährigen Yuri, der vor dem Krieg in der Ukraine nach Moldau geflohen war und seitdem seine Tage im Zentrum für psychische Gesundheit in Chișinău verbringt. Er spricht von Einsamkeit, davon, bis heute keine Freunde gefunden zu haben.

Ich musste an Dita Kraus denken, die Shoah-Überlebende aus Prag, die vergangenes Wochenende mit 96 Jahren in Israel gestorben ist. Auf sie wurde ich aufmerksam, weil ich mich während meines Studiums intensiv mit Literatur aus und über das Ghetto Theresienstadt beschäftigt hatte – Bücher von Ruth Klüger, Petr Ginz, Josef Bor, Eva Mändl Roubíčková. Jahre später stieß ich auf Kraus’ Memoiren „Ein aufgeschobenes Leben“, und ihre Geschichte habe ich seitdem behalten.

Kraus stammte aus einer jüdischen Familie in Prag. 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, überlebte das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, die Außenlager des KZ Neuengamme, bis sie aus dem KZ Bergen-Belsen befreit wurde.

Keinen weiteren Krieg erleben

Über ihre Erlebnisse zu sprechen, fiel ihr lange Zeit schwer. Später fühlte sie sich verpflichtet, Zeugnis abzulegen. „Die, die erzählen können, müssen weitermachen, solange es geht“, sagte sie einmal. Sie pflegte engen Kontakt zur Gedenkstätte Neuengamme, sprach vor Jugendlichen, gab Interviews. Wie herausfordernd das für sie gewesen sein muss, lässt sich nur erahnen. In ihren Memoiren schrieb sie: „Es ist, als könnte ich immer nur die Randerscheinungen erzählen, nie die Wunde selbst.“

Nach dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober 2023 verlegte sie ihren Lebensmittelpunkt von Israel nach Prag, weil sie die Ereignisse nicht ertrug, keinen weiteren Krieg mehr erleben wollte.

Es liegt mir fern, die Shoah mit den heutigen Kriegen zu vergleichen. Doch schieben sich diese Ereignisse für Betroffene manchmal übereinander; lassen sich Gedanken formulieren, Schlüsse ziehen: aus den Erfahrungen derjenigen, die Extremes erlebt und überlebt haben. Überleben kann heißen, keine Ruhe zu finden, Einsamkeit zu spüren und zu erkennen, dass die Welt oft so weiterläuft, als ob das eigene Trauma beliebig wäre. Heilung braucht Zeit, Ruhe und Stabilität. Bedingungen, die inmitten von Krieg selten sind.

Die geopolitische Realität zeigt das deutlich. Das geplante Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und Russlands Machthaber Wladimir Putin in Budapest fällt aus, und manche Medien nennen es eine „geplatzte Hoffnung auf Frieden“. Dabei war abzusehen, dass dieses Treffen keinen Frieden bringen würde: Putin spielt weiter auf Zeit, Trump sieht den Konflikt eher als lästig. Die Ukraine muss auf sich selbst und auf Europa setzen. Und dennoch: Ohne die USA geht es nicht.

Wenn man also von Heilung sprechen will, braucht es einen Moment des Stillstands, ein Ende, damit ein Danach möglich ist. So erlebte es Israel, als gerade die letzten Geiseln nach Hause kamen. Doch auch für sie wird das Leben nicht einfach. Auch sie sind Überlebende.

Heilung, wenn man sie ernst nimmt, bedeutet Arbeit, und auszuhalten, dass das Böse, Teil dieser Welt ist. Heilung durch Unterstützung kann auch heißen, Waffen zu liefern, die ein Überleben überhaupt erst möglich machen. Eine Aufgabe, die fortbesteht, solange die Welt Gewalt kennt.

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Erica Zingher
Autorin und Kolumnistin
Beschäftigt sich mit Antisemitismus, jüdischem Leben, postsowjetischer Migration sowie Osteuropa und Israel. Kolumnistin der "Grauzone" bei tazzwei. Freie Podcasterin und Moderatorin. Axel-Springer-Preis für jungen Journalismus 2021, Kategorie Silber.
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