: Mit dem Segen der Richter
Das Bundesverwaltungsgericht hat gesprochen: Das Mühlenberger Loch durfte teilweise zugeschüttet werden. Die Anwohner müssen auch den Lärm von Privatflughäfen ertragen. Mit dem Schutz von Tieren und Pflanzen dürfen sie nicht argumentieren
Die Elbeausbuchtung Mühlenberger Loch war das größte europäische Süßwasserwatt und nach mehreren deutschen und EU-Richtlinien geschützt. Dennoch durften mit Erlaubnis der Europäischen Kommission etwa 165 Hektar des Gebietes abgedeicht und aufgeschüttet werden, um dem angrenzenden Airbus-Werk Erweiterungsflächen zu bieten. Grundlage dafür war der Planfeststellungsbeschluss der Stadt Hamburg vom 8. Mai 2000, den das Leipziger BVerwG nun bestätigt hat. Die Baukosten von knapp 700 Millionen Euro hat die Stadt getragen, Airbus investierte fast die gleiche Summe in neue Montagehallen für die Teilproduktion des doppelstöckigen Riesenjets A 380. Teil der Maßnahme war zudem die erstmalige Verlängerung der Start- und Landebahn. Diese wird derzeit in einem zweiten Schritt um 589 auf 3.273 Meter erneut verlängert. Dafür werden Teile des angrenzenden Obstbauerndorfes Neuenfelde planiert und die Straße ins Alte Land verlegt. Gegen diese Baumaßnahme sind noch diverse Klagen vor Hamburger Verwaltungsgerichten anhängig. Offiziell heißt das aufgeschüttete Werksgelände jetzt Mühlenberger Sand. SMV
VON GERNOT KNÖDLER UND SVEN-MICHAEL VEIT
Das Mühlenberger Loch durfte gestopft werden. Wie bereits kurz berichtet, hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Revisionsantrag gegen die Erweiterung des Airbus-Werks in Hamburg zurückgewiesen. Jetzt kann sich der Kläger nur noch beim Bundesverfassungsgericht beschweren. Der Fertigung des Riesen-Airbus A 380 in Hamburg steht damit juristisch nichts mehr entgegen. Den Bau eines Auslieferungszentrums hat Airbus vom Ausgang eines weiteren Rechtsstreits abhängig gemacht.
Das Gericht verwarf die Argumente von Hans-Jörg Nagel, der stellvertretend für rund 200 Anwohner aus Hamburg und dem Umland gegen das Projekt geklagt hatte. Aus Sicht der Anwohner hat der Hamburger Senat gegen die Vogelschutz- und Flora-Fauna-Habitat (FFH-)Richtlinie der EU verstoßen, als er das Mühlenberger Loch teilweise zuschütten ließ. Die Elbbucht ist ein Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung: eine Drehscheibe des Vogelzugs, die Heimat seltener Pflanzen, Sauerstoffpumpe der Elbe und Kinderstube der Fische.
Außerdem, so die Anwohner, müssten sie den Lärm eines privaten Flugplatzes nicht hinnehmen. Auf der Airbus-Piste wird nur der Werksverkehr, hauptsächlich zwischen Hamburg und der Airbus-Fabrik in Toulouse abgewickelt.
Nach Auffassung der Richter kann sich ein Anwohner nicht auf das deutsche oder europäische Naturschutzrecht berufen, wenn er gegen eine „wasserbauliche Maßnahme“ wie den Bau der künstlichen Werkshalbinsel vorgehen will. „Diese Richtlinien schützen die Lebensräume der wildlebenden Tiere und Pflanzen, nicht dagegen das Interesse der in ihrer Nähe lebenden Menschen“, stellte das Gericht fest.
Bisher gibt es allerdings niemanden, der im Sinne der Tiere und Pflanzen klagen würde oder könnte. Wegen der Rechtslage zur Zeit des Planfeststellungsbeschlusses vom Mai 2000 sind die Umweltverbände bisher nicht zum Zuge gekommen. Zurzeit klärt das Hamburgische Oberverwaltungsgericht in zweiter Instanz, ob die Klage der Naturschützer überhaupt zulässig ist.
Das wirkt kurios, zumal die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet hat. Denn das Land Hamburg hat fünf Jahre nach Zuschüttung des Mühlenberger Lochs noch längst nicht alle versprochenen Ausgleichsmaßnahmen umgesetzt. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof aus jüngster Zeit „hätte das Projekt nicht genehmigt werden dürfen, da es die teilweise Zerstörung eines FFH-Vorschlagsgebietes beinhaltete“, schrieb die Kommission vergangenen Dezember.
Auch der Schutz des Menschen kennt Grenzen. Bei der Planung von Flugplätzen unterscheide das Luftverkehrsgesetz nicht zwischen gemein- und privatnützigen Vorhaben, urteilte das Bundesverwaltungsgericht. „Wenn hinreichend gewichtige Gründe für das Vorhaben sprechen“, müssten Anwohner sich auch mit einem privaten Sonderflugplatz abfinden. Allenfalls könnten sie Schallschutz verlangen und eine Entschädigung dafür, dass sie ihre Gärten, Terassen und Balkone nicht mehr ungetrübt genießen können. Das Interesse der Anwohner müsse hinter dem Interesse der Allgemeinheit an Arbeitsplätzen zurücktreten. Das Projekt stärke den Luftfahrtstandorts und die regionale Wirtschaft. Diese Einschätzung hatte die EU-Kommission mit den Planern des Wirtschaftsbehörde geteilt und zunächst grünes Licht gegeben.
Eine Entschädigung für den Außenlärm steht den Anwohnern nach dem Urteil nicht zu: Der vom Oberverwaltungsgericht ohnehin schon niedrig angesetzte Lärm-Grenzwert – ein Dauerschallpegel von 62 Dezibel (dB(A)) – werde unterschritten.
Hochzufrieden mit dem Leipziger Richterspruch zeigte sich erwartungsgemäß die Hamburger Wirtschaftsbehörde. Das Gericht sei „unseren wesentlichen rechtlichen Begründungen gefolgt“, konstatierte Staatsrat Gunther Bonz, der die Verhandlung vor Ort verfolgte. Hamburg werde damit als weltweit drittgrößter Standort der Luftfahrtindustrie gestärkt, freute sich sein Senator Gunnar Uldall (CDU) per nächtlicher Pressemitteilung.
„Wir begrüßen die Entscheidung des Gerichts“, teilte der Sprecher von Airbus Deutschland, Tore Prang, mit. Konzernchef Louis Gallois hatte bei einem Besuch des Hamburger Werks am Donnerstag beteuert, dass Hamburg „einer der wichtigsten Standorte“ des Flugzeugbauers sei und bleibe. Ob Airbus nun die noch ausstehende Investitionsentscheidung für ein Auslieferungszentrum für den A 380 treffen werde, ließ er offen.
Und düste zurück in die Zentrale nach Toulouse. Dort traf sich die Konzernführung gestern mit Gewerkschaftsvertretern aus Deutschland und den anderen drei Partnerländern zu einer Diskussion über das Sparprogramm „Power 08“. Airbus will etwa 8.000 Stellen in Europa abbauen, davon rund 2.000 in Hamburg, hieß es aus französischen Gewerkschaftskreisen (siehe Meldung rechts). Zur Diskussion steht auch der Verkauf oder gar die Schließung einzelner Werke.