: Mit dem Mythos aufräumen
■ Querelen zu Ende: Bremer Gemälde Paula Modersohn-Beckers erstmals in einer umfassenden Retrospektive vereint / Legende beseitigt: Die Künstlerin war schon zu ihren Lebzeiten anerkannt
Es waren einmal eine Stiftung, ein Museum und eine städtische Sammlung, die hatten einander gar nicht lieb. Sie verwalteten das Erbe der berühmtesten Malerin des Städtchens, die von allen nur freundschaftlich Paula genannt wurde. Und ein jeder der drei meinte, er könnte es am besten. So gingen erst Jahre und dann Jahrzehnte ins Land, in denen der Nachlaß wie Teile eines Puzzles überall verstreut war. Doch eines Tages, es war in diesem Jahr, fanden die Streithähne zusammen und bescherten uns das Happy end, das da heißt: „Paula Modersohn-Becker in Bremen“.
Rund hundert Gemälde sowie Gouachen und Zeichnungen aus dem Werk der 1876 geborenen und erst 31jährig Ende 1907 verstorbenen Malerin sind gleichmäßig über die drei Ausstellungsebenen im Paula-Becker-Modersohn-Haus an der Böttcherstraße verteilt. Neben einem kleinen Kabinett mit Archivalien sind es vor allem die erstmals vereinten Gemälde aus dem Besitz der (privaten) Kunsthalle, der (städtischen) Kunstsammlungen Böttcherstraße und der (privaten) Paula-Modersohn-Becker-Stiftung, die der Schau den Charakter einer Retrospektive verleihen. Noch bei der letzten Werkschau zum 100sten Todestag vor genau 20 Jahren mußten die BesucherInnen in die Böttcherstraße und in die Kunsthalle pilgern und bekamen die Retrospektive nur in Katalogform zu sehen. Doch jetzt sind zumindest die nach Entstehungszeit und Themen wie „Portraits“, „Landschaften“ oder etwa „Kinderbilder“ gruppierten Gemälde in trauter Eintracht versammelt.
Und was gibt's Neues zu entdecken? Dank der chronologischen Hängung, die im dritten Obergeschoß beginnt und mit dem Spätwerk im großen Saal endet, wird offenbar, wie sich der impressionistische Einfluß nach den beiden Paris-Aufenthalten in den Jahren 1901 und 1903 kurz ins Werk hinein- und dann zugunsten einer flächigeren Komposition wieder hinausschlich. Noch deutlicheres Zeugnis vom Wandel der Bildauffassung und Maltechnik legen die in einem Raum zu einer Art Zeitraffer zusammengefaßten Selbstbildnisse ab. Und obwohl das Gesamtwerk trotz der Bremer Querelen als reichlich be- und erforscht gilt, mußte ein Aktgemälde umdatiert werden, wie Wolfang Werner von der Paula-Becker-Modersohn-Stiftung überrascht feststellte.
So richtig aufgeräumt wird jedoch erst im Katalog, der neben Abbildungen sämtlicher Bremer Gemälde einen umfangreichen Beitrag zur Rezeptionsgeschichte enthält. Denn daß Paula Modersohn-Becker, wie sich die Malerin nach ihrer Heirat mit Otto Modersohn fast durchweg zu nennen pflegte, eine zu Lebzeiten verkannte und verarmte Künstlerin gewesen sei, ist nach Angaben Willy Athenstädts (Kunsthalle) ein Mythos, der sich hartnäckig gehalten habe und vor allem durch die feministische Forschung der 70er Jahre dankbar aufgegriffen worden sei. Die Künstlerin mußte zwar zur Jahrhundertwende Schmähschriften von zu Kritikern berufenen Künstlern wie Arthur Fitger oder Carl Vinnen einstecken. Doch Kontakte und Freundschaften mit Rodin, Hoetger oder Rilke, spätestens aber die Hochschätzung des damaligen Kunsthallendirektors Gustav Pauli brachten ihr schon vor ihrem frühen Tod eine umfassende Anerkennung. Christoph Köster
Ausstellung bis zum 6.4.1997. Mi-So von 11-18 Uhr, Di von 11-21 Uhr im Paula-Becker-Modersohn-Haus, Böttcherstraße.
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