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Mit dem Militär-Apparat am Altar

Nachdem im letzten Jahr Berliner Kunst beim „grenzenlos“-Festival in Istanbul zu sehen war, gibt es jetzt im Haus der Kulturen der Welt mit „Iskorpit“ eine Ausstellung mit alltagsorientierter türkischer Kunst  ■ Von Harald Fricke

Der Fisch hat giftige Stacheln auf dem Rücken, gebraten aber schmeckt er hervorragend. Die nach ihm benannte Ausstellung „Iskorpit“ mit aktueller Kunst aus der Türkei funktioniert auf dem umgekehrten Weg: Selten zuvor sah es so aufgeräumt aus im Haus der Kulturen der Welt, dafür sind die Objekte extrem widerborstig. Bei Hale Tenger grüßt „die Schule von Sikimden Așșa Kasimpașa“ mit Krummsäbeln und einem blutfarbenen Bassin aus Blei; auf Bülent Șangars Fotos liegt die Familie des Künstlers hingemetzelt zwischen Steppdecken; und Füsun Onur zeigt einen mit Ketten gefesselten Schreibtischstuhl. Noch immer liegt türkische Kunst in einem offensichtlichen Clinch mit Staat, Religion und Gesellschaft.

Türkische Kunst im Clinch mit dem Staat

Daß „Iskorpit“ in Berlin zustande gekommen ist, beruht auf dem Gesetz der Gastfreundschaft. Als vergangenes Jahr „In Medias Res“ beim „grenzenlos“-Festival in Istanbul zu sehen war, wurde vom türkischen Kulturministerium eine entsprechende Gegenveranstaltung zugesagt. Für die Auswahl der vierzehn KünstlerInnen waren allerdings nicht Staatsbeamte zuständig, sondern der Berliner Kurator René Block und N. Fulya Erdemci als Direktorin der unabhängigen Istanbul-Biennale. Ihre Zusammenstellung ist für türkische Verhältnisse ungewöhnlich. Denn außerhalb der Biennale gibt es praktisch keine Ausstellungsräume, in denen etwa Arbeiten von Gülsün Karamustafa gezeigt werden könnten, die als politisch engagierte Künstlerin von 1971 bis 1986 nicht ausreisen durfte – man hatte ihr den Paß entzogen.

Für Berlin hat die 1946 in Ankara geborene Karamustafa eine Dia-Projektion mit dem Foto ihrer Hochzeit ausgewählt. Hinter dem verschüchterten Brautpaar stehen zwei Militärs, per Videobeamer wandern dazu die Worte „bühne – regime – kontrolle – ideologie“ durch den abgedunkelten Raum. So bleiben in der Erinnerung private Biographie und politisches Tagesgeschehen unauflösbar. Sehr viel zynischer geht Halil Altindere mit der Geschichte um. Der aus seinem kurdischen Heimatdorf Sürgüçü-Mardin vertriebene Künstler stellt selbstgefertigte Briefmarkenbögen mit Porträts von inhaftierten Dissidenten aus, die in den letzten 20 Jahren aus türkischen Gefängnissen spurlos verschwunden sind. Hinter der Vitrine hängt eine Leuchtschrift mit einem Ausspruch Atatürks: „Ein Türke ist gleich der Welt.“ Gegenüber sieht man den Staatsgründer noch einmal auf einem überdimensionalem Geldschein, die Hände verzweifelt vors Gesicht geschlagen. Wer über ihn triumphiert hat, bleibt offen.

Der aggressive Gestus hängt mit dem Alter zusammen: Altindere ist 25 Jahre später als Karamustafa geboren. Überhaupt sehen die Arbeiten der jüngeren Generationen sehr viel alltagsorientierter aus. Daß sie trotz der limitierten Ausstellungsmöglichkeiten keine Gruppen bilden, sondern extrem auf ihre individuelle Position achten, paßt dennoch zum Nischendasein. Bei Ebru Özseçens scheinbar harmloser Studie „Bittere Schokoladen-Liebe“ vermischen sich Sex- Metaphern und Kuchenbacken, plötzlich hängt auch ein Schoko- Phallus im Bild. Die Projekte von Serkan Özkaya wiederum bleiben rein auf den Kunstbetrieb bezogen. Nachdem Christo und Jeanne- Claude den Reichstag verhüllt hatten, bot er dem Bundeskanzler 1997 eine Wiederholung der ungemein erfolgreichen Aktion an.

Aus der Nische in den Diskurs

Doch auch an Özkayas anderen Vorschlägen – Neuhängung der Mona Lisa, Übermalung von Mondrians „Broadway Boogie Woogie“ – merkt man, daß sich der aktuelle Diskurs, an dem sich die türkischen KünstlerInnen beteiligen wollen, vor allem international abspielt. Dadurch entstehen paradoxe Situationen: Während auf der Manifesta in Luxemburg Kutlug Atamans achtstündiges Videoporträt der Uralt-Diva Semiha B. gezeigt wurde, weiß man in Istanbul vermutlich nicht einmal mehr, daß die legendäre Schauspielerin noch lebt. Ataman hingegen wurde unter anderem für die Manifesta ausgewählt, um zu zeigen, daß die Trennung von Zentrum und Peripherie nicht länger existiert. Daß auch diese Überlegungen längst in Istanbul angekommen sind, zeigt Hüseyin Bahri Alptekin mit seiner bestrickend simplen „Capacity“- Installation. Dort sind Fotografien von lauter Hotelschildern vereint, deren Namen von Bonn und Paris bis Copacabana, Tibet oder Sidney reichen. Sie liegen fast alle im Bohemeviertel von Istanbul.

Bis 15.11., HdKdW, Katalog: 22 Mark; heute abend findet um 20 Uhr eine Diskussion mit den beteiligten KünstlerInnen statt.

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