Mit dem Koalitionsvertrag auf Du und Du: „Besser als ABM?“
■ Leiharbeit als Hilfe für Arbeitslose
Der von SPD und CDU geschlossene Koalitionsvertrag läßt viele wichtige Fragen offen und wirft genauso viele Fragen selber auf. In loser Folge versucht die taz deshalb im Gespräch mit Betroffenen der undeutlichen Koalitionsbeschlüsse zur Aufklärung beizutragen.
Heute geht es um den Beschluß: „Die Koalitionspartner werden neue Instrumente der Arbeitsmarktpolitik (START-Modell=gemeinnützige Arbeitnehmer/innen-Überlassung) als Modellversuche fördern.“ Auskunft gibt Paul Schröder, wissenschaftlicher Mitarbeiter des „Förderwerk e.V.“, einem größeren Beschäftigungsträger des zweiten Arbeitsmarkts (ABM usw.) in Bremen.
taz: Was ist das START-Modell?
Paul Schröder: Das START-Modell kommt aus den Niederlanden und wird dort schon seit ca. 20 Jahren praktiziert. Dabei werden Langzeitarbeitslose durch Zeitarbeit in Dauerarbeitsverhältnisse vermittelt. Die START-Gesellschaft wird von Gewerkschaften, Arbeitgeberverbänden und der öffentlichen Hand gemeinsam getragen und arbeitet eng mit den Arbeitsämtern zusammen. Sie nimmt Arbeitslose unter Vertrag und verleiht sie zeitlich befristet an Unternehmen. Die dafür erhobenen Gebühren werden auch verwendet, um in der verleihfreien Zeit Fortbildungsmaßnahmen durchzuführen.
Was ist der Unterschied zwischen START und einem normalen Leiharbeitsunternehmen?
START selbst ist gemeinnützig organisiert. Außerdem hat START das Ziel, seine Beschäftigten nicht dauerhaft zu verleihen, sondern sie möglichst in einen Dauerarbeitsplatz zu vermitteln – entweder in dem Unternehmen, das sie entliehen hat oder auch in einem anderen Unternehmen. Während private Leiharbeitsfirmen ja mit dem Verleih Gewinne machen wollen und deshalb ein Interesse daran haben, daß diejenigen, die verliehen werden, nicht fest in einen Betrieb wechseln.
Gibt es START auch schon in Deutschland?
Dieses Modell ist Anfang der 90er Jahre in zwei, drei Arbeitsamtsbezirken in Nordrhein-Westfalen eingeführt und inzwischen auf ganz NRW übertragen worden. Es wird wissenschaftlich begleitet, und diese Auswertungen sollten in Bremen Grundlage für die Diskussion sein, ob so etwas hier auch gemacht werden sollte.
Bisher gibt es noch keine Auswertung?
Es gibt einen ersten wissenschaftlichen Bericht, aber keine intensive Diskussion, wie das auf Bremen übertragen werden kann. Einen Modellversuch macht man ja, wenn es um etwas Neues geht. In diesem Fall können wir doch erstmal darauf warten, daß die Ergebnisse aus Nordrhein-Westfalen vorliegen, um zu entscheiden, ob es sich lohnt, das auch in Bremen einzuführen oder nicht.
Und vorher sollte das nicht versucht werden?
Zunächst ist es notwendig, die Erfahrungen aus NRW in Bremen breit zu diskutieren. Außerdem muß der Bremer Markt an privater Arbeitnehmerüberlassung auf die Frage hin analysiert werden, ob mit START tatsächlich jemand gegenüber den bestehenden Instrumenten wie ABM und Beschäftigung nach §19 Sozialhilfegesetz besser erreicht werden könnte.
Lassen sich die privaten Arbeitsvermittler die staatlich geförderte Konkurrenz einfach gefallen?
In Nordrhein-Westfalen hat Adia, einer der größten Konzerne im Leiharbeitsbereich, gegen die öffentliche Förderung des START-Modells geklagt. Als Folge sind entsprechende Fördermittel aus Bonn nicht freigegeben worden.
Die Klage hatte Erfolg?
Sie hatte zumindest verzögernde Wirkung. START ist aber trotzdem funktionsfähig. Außerdem hätte sich auch Adia an dem Programm beteiligen können nach dem Motto: Wir erreichen auch Langzeitarbeitslose und wollen entsprechend gefördert werden.
Für die eine oder andere Arbeitslose – bzw. mehr für den einen oder anderen, denn es hat sich schon bei den ersten Auswertungen ergeben, daß in der Mehrzahl Männer erreicht werden – kann das Programm durchaus positiv wirken. Die Frage ist nur, ob diese neuen arbeitsmarktpolitischen Instrumente, die in der Koalitionsvereinbarung genannt werden, nicht letztlich auch dazu führen, daß alte Instrumente finanziell ausgetrocknet werden. Wenn START teuer wird, dann dürfen dem die sinnvollen ABM- und §19-Programme nicht zum Opfer fallen.
Fragen: Dirk Asendorpf
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