Mit dem Auto in den Urlaub: Übermenschen mit BMW-Geld

Führt Corona zum Umdenken? Ressourcenschonung? Eher zu mehr „Arschgeigen“. Zumindest an Tankstellen in der Urlaubszeit.

Stau auf der Autobahn im Rückspiegel

Ferienbeginn in Nordrhein-Westfalen, voll wie immer Foto: Martin Gerten/dpa

Corona führt, im Gegensatz zu häufig geäußerten Vermutungen, weniger zum großen Umdenken und nachfolgenden Veränderungen, sondern im Gegenteil zu regressiven Entwicklungen. Mütter kümmern sich den ganzen Tag zu Hause um die Kinder, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, Grenzen sind geschlossen, vor dem Reichstag wettern Irre gegen die Juden, die Leute fahren im Urlaub nach Bayern und an die Ostsee, das Verkehrsmittel der Wahl ist der Kraftwagen.

So auch bei uns. Lange Autofahrten, während der kühle ICE mit doppelter Geschwindigkeit vorüberzischt, wirken auf mich so anachronistisch, wie jemanden aufzuhängen, der ein Brot gestohlen hat. Dennoch führt eine Mischkalkulation aus kurzfristiger Planung, kleinteiligen Routen und alten Eltern, die man nicht töten möchte, zu diesem Retrotrip in eine finstere Vergangenheit: notorische Mittelspurschleicher, eingeschla­fene Brummifahrer, die sich von den singenden Rillen der Standspurbegrenzung wecken lassen, wahnsinnige Raser, Drängler und Zickzacküberholer – das ist wohl die Freiheit des Andersdenkenden, von der immer die Rede ist.

An der Autobahntankstelle ist es sehr voll, doch vor mir blockiert ein SUV mit Freisinger Kennzeichen nach dem Tanken die Zapfsäule. Auf dem Weg in den Kassenraum, wo ebenfalls eine lange Schlange wartet, wechselt meine Frau ein kurzes Wort mit den beiden Insassinnen des Brummers.

Wie Springteufel

Ich sage nichts, sonst gibt es eh bloß Streit. Das ist es nicht wert. Ich gucke nur. Streit gibt es trotzdem, denn ich habe anscheinend falsch geguckt. Mutter und Tochter schnellen wie Springteufel aus dem Auto und hacken auf mich ein: Ihr Mann komme doch gleich wieder. Was ich denn wolle? Das alles in einer überkandidelten Kunstsprache, die zugleich Bayerisch und Hochdeutsch sein will, und doch nichts davon ist – der „Komödienstadl“ gibt „Pygmalion“.

„Ich habe doch gar nichts gesagt“, sage ich. Ja, aber meine Frau hätte …, keifen sie unbeirrt. Ich erkläre ihnen geduldig, dass die eine eigenständige Person sei, was ihren Horizont wohl überschreitet, denn sie zetern weiter.

Ich drehe mich einfach weg und schaue auf mein Telefon, doch es hilft nichts. Sie hören nicht auf. Ich kann nicht mehr. „Arschgeigen“, sage ich. „Verpisst euch.“

„Wie bitte? Was haben Sie gesagt?“

Ich wiederhole ein wenig unentschlossen: Das war doch laut genug, das muss sie doch gehört haben. Die Mutter wirft einen ostentativen Blick auf das Nummernschild unseres kleinen alten Japaners und holt zum Gnadenstoß aus: „Aha: Berlin. Sie leben auf unsere Kosten.“ Die bayerischen Übermenschen, die mit ihrem BMW-Geld die verlotterten Junkies in Preußen durchfüttern, ein Weltbild aus dem Setzbaukasten. So spricht Mario Barth über Frauen, schreibt Harald Martenstein über Gender. Wir leben auf ihre Kosten, aber sie brauchen wofür noch mal ein Auto, das so groß ist und so viel kostet wie ein halbes Haus? Jetzt wäre ein „Arschgeigen“ äußerst angebracht. Leider habe ich es schon verballert.

Das bleibt auf der Reise längst nicht das einzige unverschuldete Erlebnis mit den feind­seligen Besatzungen von Audi, Porsche und Co. Gerade weil die Menschen hier sonst so nett sind, fällt die Diskrepanz umso mehr ins Auge: Sobald die ­Bayern in ihren fetten Kisten ­sitzen, mutieren sie werwolfartig zu hirnverbrannten Wichsern. Aber selbst schuld: Wer mit der Scheiße schwimmt, wird in ihr braun. So lange habe ich die klassische Autoferntour vermieden; in der Folge muss ich eine der hässlichsten Fratzen unserer lieben Landsleute irgendwie verdrängt haben. Erschreckend auch, dass ich das alles früher offenbar normal fand.

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Seit 2001 freier Schreibmann für verschiedene Ressorts. Mitglied der Berliner Lesebühne "LSD - Liebe statt Drogen" und Autor zahlreicher Bücher.

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