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Mit Wissensdurst zum Gipfelsturm

■ Überaus reizend: Lou Simard und Co machen am Leibnizplatz Steins „Die Welt ist rund“für das Theater urbar

Die Welt, der Mond, die Sonne und jeder Stern ist rund. Rund wie der Kreisel dort, der hüttengroße, braune, hölzerne Kreisel mitten auf der Bühnenmitte. Auftritt ein Mädchen und sagt, der Lehrer sagt, die Welt ist rund, der Mond, die Sonne und jeder Stern ist rund, und alles, all das dreht sich. Doch das Mädchen von neun Jahren fragt, und wer schiebt das alles an? Und wer ist imstande, das alles anzuhalten?

Nicht Sofie, sondern Rose heißt das Mädchen, das so kluge Fragen stellt und wenig später sagen wird, die Welt ist eine Suppe und meine Gedanken eine Gabel. Immerhin, du liebe Rose, kannst du so, mit einer Gabel, auf den Geschmack kommen. Den Appetit indes hast du schon und auch schon gemacht. Den Appetit auf die Rose-Welt alias „Die Welt ist rund“, das frei-nach-Getrude-Stein-Stück, das seit der Uraufführung am Freitag im Theater am Leibnizplatz das Publikum der Shakespeare Company bezaubern wird.

Wyndham Lewis, Zeitgenosse der Punkt und Komma tilgenden, Monotonie und Wiederholungen zur Kunstform erklärenden Dichterin, spottete einmal über Gertrude Stein (1874-1946), sie sei „ein großes, dogmatisches Kind“, dessen literarische Produkte ebenfalls infantil sind: „Dieses Kind wirft große, schwere Worte in die Luft und fängt sie wieder auf; oder es läßt sie fallen, und sie gehen in Stücke; dann hockt es sich mit einem Grunzen hin und setzt sie wieder zusammen.“Schon längst war zu ahnen, daß Lewis Satz weit genauer traf, als seinem Urheber bewußt war. Doch erst jetzt wird der Ausspruch zu Ehren Getrude Steins wohl verstanden. Denn es ist ebendiese Kindlichkeit, mit der Lou Simard ihre Idee, Steins 1939 nicht für das Theater geschriebenen Text „Die Welt ist rund“für das Theater urbar zu machen, überaus reizend verwirklicht.

Lou Simard, die Kanadierin, die seit zweieinhalb Jahren für die Company komponiert und musiziert, schauspielt hier erstmals selbst, und zwar als erste Rose. Mit schwarzem Kleidchen und blauer Mütze bestaunen ihre großen Augen durch große nickelbrillenrunde Gläser die Welt. Und das Publikum – wie in „Venus und Adonis“und „Alles Lügen“auf der Hinterbühne des Theaters plaziert – staunt mit: Ein ockerbraun gemalter Farbstrudel auf der ganzen Bühne, und in der Mitte der Kreisel, der Quebec-französisch „Toupie musicale“heißt (Entwurf Lou Simard und Guy Laramée) und der, wenn Rose ihn dreht, klingt wie die Mitte aus Sitar und Zitter. Die Welt, sie tönt, wenn sie sich bewegt. Nur Rose, die erste, und Rose, die zweite, brechen auf zur Suche nach dem, der sie anhalten kann.

Auftritt mit ihr die andere Rose, die als exzentrische alte Dame annonciert ist, aber in der Tat genauso gut als Mädchen von neun Jahren durchgehen kann. Die Leinenhose aufgekrempelt, die Sakkoärmel abgerissen (Kostüme und Bühne: Isolde Stark) kommt die zweite Rose (Katja Hensel) daher und bringt zunächst kehlig sprechend und in atemloser Unrast das Spiel in Gang. Es ist ein Kinderspiel von und mit Rose, dem bestimmt klügsten Mädchen der ganzen runden Welt: Die „alte“Rose nämlich denkt sich Geschichten gleich in Versen aus – Geschichten von sprachlos befragten Lehrern, beinahe ertrunkenen Cousins und einem Berg, an dessen Hängen Otter glotzen und auf dessen Gipfel der Ihr-wißt-ja-schon thronen muß.

Auf, neben und vor dem klingenden Kreisel erzählspielen die beiden wissensdurstigen und entdeckungshungrigen Mädchen mit Namen Rose die Nebensachen und den Hauptstrang dieses turbulenten Gipfelsturms. Der Kreisel, der mal sphärisch, mal dramatisch klingt, mal Floß im See und mal Schiff im Sturm wird, ist der Schauplatz für das zugleich hintergründige wie komische Spiel der beiden.

Unter der Leitung des ebenfalls aus Kanada kommenden und offenbar mit jeder Menge Feingefühl für Charaktere und Marotten gesegneten Regisseurs Jacques Lessard bringen Katja Hensel und Lou Simard ein Spiel auf die Bühne, das in seinem Charme wohl mit allerbesten Theaterfassungen von Antoine de Saint-Exupérys kleinem Prinzen vergleichbar ist: Katja Hensel färbt ihre Rose mal überlegen-angeberisch, mal doch erfüllt von Kinderfurcht.

Überhaupt schafft sie den Spagat, stimmlich die Geschichte zu erzählen und sie zugleich mit Haut und Haaren zu erleben. Lou Simard agiert nur vordergründig als Zuhörerin und Urheberin der Klang-Atmosphären. Tatsächlich aber ist sie es, die mit dem Spiel der Freundinnen-Neugier und dem vielfächrigen Mitspiel in der Gipfelsturm-Geschichte dafür sorgt, daß sich dieses bildschöne Abenteuer für Kinder im Erwachsenenalter bis zur letzten, der siebzigsten Minute, spannend auf das am Ende begeisterte Publikum überträgt.

Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 10. Februar um 19.30 Uhr sowie am 15. Februar um 18 Uhr

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