Mit Tricks zur Friedenspflicht: Landesregierung greift in Tarifautonomie ein
In den Haustarif-Vertragsstreit am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein mischt sich die Landesregierung ein. Ver.di ist empört.
KIEL taz | Der Tarifkonflikt am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK-SH) um einen Haustarifvertrag könnte eine abrupte Wende nehmen. Um die Gewerkschaft Ver.di auszubremsen, wird das UK-SH auf Weisung der Landesregierung (SPD, Grüne, SSW) am Donnerstag der Tarifgemeinschaft der Länder (TDL) beitreten, so dass ab dann der Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes Länder (TV-L) gilt und damit auch Streikverbot. „Wir gehen davon aus, dass dann die Friedenspflicht gilt“, sagt Claudia Prehn, Sprecherin des Kieler Finanzministeriums.
Das sieht die Gewerkschaft Ver.di anders, nachdem sich bei der Urabstimmung knapp 98 Prozent der Mitglieder für einen Arbeitskampf zur Durchsetzung des Haustarifvertrags ausgesprochen haben. „Dieses starke Ergebnis ist ein Auftrag, den Tarifkonflikt am UK-SH nun in die nächste Eskalationsstufe zu führen und sichert die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen Streik ab“, sagte Ver.di-Nord-Sprecher Frank Schischefsky.
Die Ankündigung, den Tarifvertrag der Länder anwenden zu wollen, ändere daran nichts. „Ab sofort sind unbefristete Streiks möglich“, erklärte Schischefsky. So hatte Ver.di am Dienstag schon mal die rund 6.000 MitarbeiterInnen des nicht-wissenschaftlichen Personals an den UK-SH Standorten Kiel und Lübeck zu einem eintägigen Streik unter dem Motto „Wir schäumen vor Wut“ aufgerufen.
Mehrere hundert Klinikangestellte folgten dem Streikaufruf. Am Mittag demonstrierten in Kiel nach Angaben von Ver.di und der Polizei 700 UK-SH-MitarbeiterInnen mit Plakaten und Trillerpfeifen vor den Kieler Landhaus.
Das Universitätsklinikum Schleswig-Holstein (UK-SH) ist eines der größten europäischen Zentren für medizinische Versorgung und für die Spitzenversorgung der Bevölkerung in Schleswig-Holstein zuständig.
Hervorgegangen ist das UK-SH 2003 aus der Fusion der Universitätskliniken Lübeck und Kiel. Es beschäftigt 11.700 MitarbeiterInnen in Krankenversorgung, Forschung und Lehre.
Organisiert ist das Haus als eigenständige Körperschaft, die zu 100 Prozent dem Land Schleswig-Holstein gehört.
Theoretisch wäre ein Beitritt des UK-SH - wie von Ver.di gefordert - in die Tarifgemeinschaft Bund und Kommunen möglich, so dass der Tarifvertrag Öffentlicher Dienst (TVÖD) Anwendung findet.
„Dass die Landesregierung nun eigens einen Arbeitgeberverband gründet, um dem UK-SH in den Tarifvertrag der Länder zu verhelfen, ist völlig absurd“, sagt die Ver.di-Landeschefin Karin Hesse. Dass sich die Landesregierung in laufenden Tarifverhandlungen zum Nachteil der 6.000 Mitarbeiter des nicht-wissenschaftlichen Bereichs einmische, sei unglaublich. „Das ist ein Vorgang, den ich von einer sozialdemokratisch geführten Landesregierung nie erwartet hätte und zeigt, dass die Tarifautonomie und das Wissen um die Beschäftigten in der Pflege nicht vorhanden sind oder keine Rolle spielen“, schimpft Hesse.
Dennoch ist der UK-SH-Beitritt in die TDL ein cleverer Schachzug – zumindest für die Öffentlichkeit: „Das Absurde dieses Streiks ist, dass Ver.di gegen einen von der Gewerkschaft selber ausgehandelten Tarifvertrag streikt“, frohlockt UK-SH-Sprecher Oliver Grieve.
Wenn sich das UK-SH wieder in eine Tarifgemeinschaft begeben sollte, dann müsse es laut Ver.di die Tarifgemeinschaft von Bund und Kommunen sein, so dass der bessere Tarifvertrag des Öffentlichen Diensts (TVÖD) Anwendung findet.
Dieser ist auch die Grundlage in anderen konkurrierenden kommunalen Kliniken im Norden und würde „die Strukturen für Krankenhäuser auch gut abbilden“, sagt die Ver.di-Fachbereichsleiterin Sabine Daß. „Es muss verhindert werden, dass eine massive Wettbewerbsverzerrung entsteht“, so Daß. Der TVÖD würde zudem für die UK-SH-Beschäftigen drei Prozent mehr Gehalt und mehrjährige Beschäftigungssicherung bedeuten.
„Da das Land Eigentümer des UK-SH ist und für das Land das Tarifrecht der Länder gilt, ist der TVÖD jedoch nicht sachgerecht“, erwidert Finanzministeriumssprecherin Prehn. Sie räumt allerdings ein, dass „das UK-SH als Arbeitgeber sich theoretisch jedem Arbeitgeberverband anschließen könnte“. Das lehnt Finanzstaatssekretär Thomas Losse-Müller jedoch ab. Über Einzelheiten könne man mit Ver.di immer verhandeln, so Losse-Müller. „Aber der Rahmen bleibt der Flächentarifvertrag TV-L.“
Für Ver.di ist und bleibt das UK-SH der Verhandlungspartner und nicht das Finanzministerium. „Solange wir nichts Schriftliches über einen TDL-Eintritt haben“, so Ver.di-Sprecher Schischefsky, „können wir streiken, solange wir lustig sind.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!