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„Mit Niveau zusammenkommen“

■ Die Bremer Senioren-Talk-Show feierte 1-jähriges Bestehen / Moderator Jens Schmidtmann blieb bis zum Schluß, obwohl das Fernsehen nicht da war

Frau Radtke zupft mich am Ärmel: „Der helle Mantel da hinten, links, in der Ecke, da steckt mein Tuch drin. Wären sie wohl so freundlich?“ Es zieht in Frau Radtkes Rücken, aber das Fenster muß offen bleiben. „Sonst kipp‘ ich um“ sagt ihre Nachbarin am großen runden Tisch. Der Festsaal im Deutschen Haus ist heiß und voll. Die ersten Erfrischungstüchlein machen die Runde. Mir wird schlecht. Es fängt an. Die Drehorgel spielt „Alle Vögel sind schon da“. Frau Radtke ermuntert ihre Tischdamen und singt die zweite Stimme.

Die alte Dame („Schreiben sie irgendwas zwischen 70 und 80“) ist das erste Mal bei der Bremer Senioren-Talkshow; erfunden und moderiert von Jens Schmidtmann. Eigenen Angaben zufolge Fernsehschauspieler und Hörfunkmitarbeiter. Und da kommt er schon vom Podium, mit dem Mikro in der Hand wie ein Rudi Carrell, mitten unter die Senioren geeilt; alert, groß, mit wehendem

Haarkranz von Ohr zu Ohr.

Das einjährige Bestehen seiner Veranstaltung gilt es zu feiern, auch wenn Herr Schmidtmann ein Problem dabei hat: Niemand zeichnet ihn auf. Trotz heuchlerischer Zusagen ist nicht das klitzekleinste Kamerateam erschienen! In Ermangelung all der anderen wird die taz-Reporterin zur Ehrengästin. Die Senioren klatschen. Hier kennt niemand die taz. Bernd Neumann verzieht gequält das Gesicht. Der Landesvorsitzende der Bremer CDU und Bundestagsabgeordnete ist der Ehrengast und kennt die taz. Neben ihm auf dem kleinen Festsaalpodest Astrologe Morin, der neue Ratskellermeister Krötz und Domprediger Abramczik. „Vor Gott brauchen wir kein Mikrofon“ überrumpelt das Bremer Kirchenoriginal den Moderator und schiebt das Teufelszeug weg.

Es kommt auch unverstärkt gut, wie der Fußballfan humorig dementiert, für Werder Bremen gebetet zu haben. Noch Wortmel

dungen? Keine? „Alles in Butter“, sagt Frau Radtke. Dafür leidet der neue Ratskellermeister Karl-Joseph Krötz unter dem aggressiven Klang seines Nachnamens. Wegen dem Franz Xaver. Der jüngste aller erfahrenen Kellergeister, er ist 32, will „wissen, wo man steht in der Weinphilosophie.“ Er findet Gefallen am Talken: „Auch Junge können Reife haben“, „Alt wird man von alleine“. Seine Frau war mal Weinkönigin, weiß der Moderator.

Noch Fragen aus dem Publikum? „Musik“, sagt Frau Radtke. Die Gesichter im Deutschen Haus verschwimmen langsam.Da tritt Hanno, der Zauberclown auf. Er ist so klein, daß er nicht weiter stört. Darum merkt auch niemand, als sein Programm zu Ende ist. Wie er da in der Ecke der Bühne auf etwas Applaus wartet, bricht er mir das Herz.

„Sie sind seit wie lange in Bonn?“ fragt Herr Schmidtmann Herrn Neumann. „Ich war schon in Bonn!“ sagt Frau Radtke. Herr Neumann ist eigentlich auf unpolitische Fragen eingestellt. Ob er denn diese seine gute Talkshow auch so gut finde, will der Gastgeber wissen. Obwohl die Presse nicht dabei sei?? Doch, trotzdem. Herr Neumann will nicht auch noch Talkshows verlieren.

Plötzlich bricht die ganze Demütigung aus Herrn Schmidtmann heraus. Erst ein Hustenanfall kann die Beschimpfung der Presse stoppen. Herr Neumann tröstet den Moderatorund sucht für ihn in der Pressemappe nach dem Weserkurierartikel - der einzige Beweis, daß die Medien schon mal da waren.

Jetzt ist aber Alexander Morin dran. Anderthalb Stunden hat er warten müssen. Der „Star“ - Astrologe schlägt sie alle. Keplerkopernikuskabbalaschillergoethe. „Was sind wir“, fragt er die Saaldecke, „kosmisches Drama oder ein Spiel Gottes?“ Er persönlich glaubt absolut an Gott. „Bravo“, sagt Frau Radtke. Wieviel Löwen sind eigentlich im Saal? Handzeichen!! Zwillinge, Krebse? Herr Schmidtmann ist Steinbock und will die Zukunft seiner „Sendung“ wissen. „Ich bin Waage“, sagt Frau Radtke, „Ich muß nix fragen“.

Hanno, der Zauberclown, darf

nochmal auf die Bühne. Die ersten gehen. Das einzige kleine Mädchen darf dem Zauberer helfen und besteht darauf, das verschwundene Ei noch im Hut zu sehen. Der kleine Mann lacht irre und läßt den Ring der Braut vom Drehorgelspieler verschwinden. Der ist eigentlich ein Realschullehrer, der einmal der jüngste Realschullehrer Deutschlands war.

Herr Schmidtmann entschuldigt sich beim Abschied für das Fehlen der Presse und weist noch auf seine Freundin und deren künstlerisch tätige Schwester hinten am Pfeiler hin. „Gutnacht, Marie“, sagt Frau Radtke. Da setzt die Drehorgel ein. Wieder nicht der Kaiser-Walzer. Ihre Nachbarin findet, Bernd Neumann habe gewonnen. Frau Radtke bindet ihr Kopftuch ab. „Normalerweise wär ich schon erkältet“. Claudia Kohlhas

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