■ Mit Nebenwirkungen auf du und du: Gefährliche Arzneien
Berlin (taz) – Weil es schwere Lebererkrankungen hervorrufen kann, wird das Parkinson- Medikament Tasmar des Baseler Pharmakonzerns Roche vom europäischen Markt genommen. Die EU-Kommission forderte ihre Mitgliedsländer auf, die Verwendung von Tasmar ab dem 17. November einzustellen. Als Grund für den Rückzug aus dem europäischen Markt gab Roche an, der „klinische Nutzen“ des Medikaments sei nur für einen kleinen Kreis von Patienten größer als die vorhandenen Risiken. Bei der Einnahme seien unerwartete Nebenwirkungen aufgetreten, in drei Fällen seien die Patienten an Hepatitis gestorben. In den USA und weiteren 37 Staaten wird das Mittel jedoch weiter vertrieben, geändert wird lediglich die Produktinformation.
Nebenwirkungen von Medikamenten sind nicht die Ausnahme, sondern fast die Regel. Gerd Glaeske, Leiter der medizinisch-wissenschaftlichen Abteilung der Barmer Ersatzkasse, spricht von mindestens 800.000 bis einer Million Fällen von Patienten, die in Deutschland jährlich an „normalen“ Nebenwirkungen durch Medikamente leiden. Dazu gehören beispielsweise Hautrötungen und Magen-Darm-Beschwerden. 300.000 Menschen werden pro Jahr wegen Nebenwirkungen von Arzneimitteln in Krankenhäuser eingeliefert, die Hälfte von ihnen in akuter Lebensgefahr, schätzen Pharmakologen und Krankenkassen.
Die Zahl der Todesfälle durch Nebenwirkungen von Medikamenten übersteigt mit 9.000 mittlerweile die Zahl der Verkehrstoten. Gerd Glaeske geht davon aus, daß höchstens 20 bis 30 Prozent aller Nebenwirkungen überhaupt erkannt werden. In der Probephase vor Zulassung eines Arzneimittels wird das Mittel an nur 3.000 Patienten getestet. Seltenere Nebenwirkungen, die dennoch tödlich sein können, werden so oft nicht festgestellt. Allerdings seien viele Fälle von schweren Nebenwirkungen auf die nicht koordinierte Therapie verschiedener Ärzte und auf Selbstmedikation zurückzuführen. So können blutdrucksenkende Mittel in Kombination mit Aspirin schwere Blutgerinnungsstörungen verursachen, der harmlose Melissengeist durch den hohen Alkoholgehalt die Wirkung von Arzneimitteln dramatisch verstärken. „Deshalb ist eine koordinierende Hand nötig“, meint Glaeske. Sei es durch ein „Primärarztsystem“ wie in den Niederlanden, bei dem ein Arzt den Überblick über die einem Patienten verschriebenen Medikamente behält, sei es durch Speicherung aller verordneten Mittel auf der Krankenkassenkarte. Regine Wlassitschau
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