: Mit Hengsten spricht man nicht über Tolstoi
Ein nackter Mann auf einer nächtlichen Koppel unter Pferden: „Zoo“ von Robinson Devor ist auf dem Pornfilmfestival zu sehen
Trunken von der Natur sind die Bilder in „Zoo“. Die Kamera bewegt sich durch nächtlich verschattete Wälder, vorbei an hoch aufragenden, kahlen Baumstämmen. Am Kopf eines Dobermanns verharrt sie, später streift sie Büsche mit lavendelfarbenen Blütenblättern. Manchmal ragt in der Ferne ein schneebedeckter Berg auf, ein Fünftausender. Man sieht eine Koppel in der Morgendämmerung, schemenhaft die Pferde, dazu hört man eine Frauenstimme aus dem Off.
Sie erzählt, wie sehr es ihr während ihrer Krebserkrankung geholfen habe, nachts zu ihrem Pferd auf die Weide zu gehen, dessen leises, rhythmisches Schnauben zu hören und sich trösten zu lassen von der körperlichen Präsenz des Tiers. Später sieht man, wie ein nackter Mann über eine nächtliche Koppel geht und die Nähe der Pferde sucht.
Robinson Devors Film „Zoo“ wird heute im Rahmen des Pornfilmfestivals gezeigt; er ist eine merkwürdige Mischung aus Dokumentar-, Essay- und Spielfilm. Ein Porno freilich ist er nicht, auch wenn er um einen spektakulären und anstößigen fait divers kreist.
Ein Mann, sein Deckname ist Mr. Hands, starb an inneren Blutungen, nachdem er Sex mit einem Hengst gehabt hatte. Er gehörte zu einer kleinen Gruppe von Männern, die sich als „zoo“ definieren und deren Begehren sich auf Pferde, genauer: auf Hengste richtet. Auf einer Farm im US-Bundesstaat Washington fanden sie, wonach sie suchten, nachdem sie sich über das Internet kennengelernt hatten. Im Film taucht nur einer von ihnen selbst auf, sein Deckname ist Coyote. Die anderen beiden, H und The Happy Horseman, möchten ihre Gesichter nicht herzeigen. Devor behilft sich, indem er viele Szenen mit Schauspielern nachstellt und dazu die Stimmen der Männer einblendet. Die Stimme der Frau wiederum gehört Jenny Edwards. Sie wird als „horse rescuer“, als Pferdesanitäterin eingeführt. Nach dem Tod von Mr. Hands wurde sie gerufen, um sich um den Hengst zu kümmern. Ihr fällt es zu, die letzten Worte des Films zu sprechen. „Ich bin an der Schwelle dazu, es zu verstehen.“ Man sieht dazu Hals und Mähne eines sehr schönen Grauschimmels, aufgenommen aus der Perspektive des Reiters.
„Zoo“ ist weit davon entfernt, den fait divers mit den Mitteln der Boulevardpresse auszuschlachten. Der Film spielt manchmal Stimmen von Leuten ein, die Bescheid zu wissen meinen, etwa die einer Senatorin. „Kinder können ihr Einverständnis nicht geben, Kinder sind unschuldig, dasselbe gilt für Tiere“, sagt sie mit Nachdruck. Die Kamera fliegt währenddessen über die Dörfer, Farmen und Koppeln Washingtons. Sattes Grün, wohin man blickt. „Ein großartiger Ort, um Kinder zu bekommen und großzuziehen“, sagt die Senatorin noch.
Bevor Mr. Hands starb, war Sodomie kein Straftatbestand im Bundesstaat Washington. Inzwischen werden entsprechende Handlungen als schweres Verbrechen eingestuft und mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet. Auch gegen H, The Happy Horseman und Coyote wurde ermittelt. Wenn sie von ihren Motiven sprechen, sagen sie Sätze wie die folgenden: Die Pferde seien „intelligente Wesen, die sehr glücklich darüber sind, eingebunden zu werden“. – „Man kann mit ihnen nicht über das neue Album von Madonna reden; sie wissen nicht, wer Tolstoi ist.“ Der Reiz? „Es ist eine einfache, klare Welt. Für ein paar Augenblicke kann man eine Verbindung zu ihr herstellen.“ Devor kommentiert diese Sätze nicht, er illustriert sie lieber mit lyrischen Naturaufnahmen und unterlegt sie mit einem Soundscape aus aufdringlicher Minimal Music und dräuenden Drones. Damit drückt er sich vor einer Einordnung und auch vor einem analytischen Blick. Wie ein Echo auf die billigen Gewissheiten der Senatorin spielt er eine andere Stimme ein. „Woher wollen die denn wissen, dass das Pferd nicht einverstanden war? Wie soll denn das überhaupt gehen ohne Einverständnis?“
„Zoo“ reicht nicht so weit, zu fragen, ob Tiere wirklich einen Willen haben; genauso wenig gelingt dem Film ein genauer Blick auf den seltsamen Knoten, zu dem sich Identitätsentwurf, sexuelle Abweichung und das Internet hier verwickelt haben. Und dennoch: Dass und wie sich der Film dem Bescheidwissen verweigert, macht ihn zu einer irren Erfahrung. CRISTINA NORD
„Zoo“: Regie: Robinson Devor. USA 2007, 75 Min., Sa., 20 Uhr, Kant 2