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Mit Heiligenschein

Gescheitert oder genial: Kramer wagt sich als Milkshop Holly wieder ans gemischte Duo  ■ Von Holger in't Veld

Und dann war da noch Bongwater: Kramer, Ann Magnusson und die fünf Alben andauernde Umkreisung des künstlerisch wertvollen Popsongs unter Berücksichtigung von Artrock, Freiheit und Fußgeruch. Abgefuckter als die Carpenters, psychedelischer als Boss Hog. Ike & Tina? Ja, manchmal auch funky. Am nächsten aber kam das kleine tragische Paar des Indie-Rock aber John & Yoko. Zumal Kramer nicht nur ein großer Lennon-Verehrer ist, sondern der späten Phase des großen Beatle sowohl musikalisch als auch äußerlich nahekommt – wenn auch etwas gepflegter. Eitel ist er auch sechs Jahre nach Bongwater noch, wie das Foto in seiner letzten Solo-Veröffentlichung Songs From The Pink Death deutlich zeigt. Da blickt der langhaargelockte Mann tiefsinnig nach vorn, die Farben rötlich, die Sonnenbrille schwärzlich.

Mark Kramer ist, je nach Standpunkt, eine gescheiterte oder konsequente Existenz. Gescheitert, wenn man Bongwater als den affirmativ-gebrochenen Wunsch zum Durchbruch versteht, konsequent in bezug auf seine Unabhängigkeit und seinen Output. Wie John Zorn und Bill Laswell ist Kramer einer der Fixpunkte der New Yorker Downtown-Szene, wo die einzelne Veröffentlichung nichts und das Oeuvre alles ist. Und das Gesamtwerk ist in Kramers Fall nicht nur monströs, sondern auch epochal. Sein legendäres Noise New York-Studio beherbergte sie alle: Urge Overkill, Pussy Galore, Daniel Johnston, Butthole Surfers, Palace, Half Japanese, Low und Grant Hart. Ikonen wie Jon Spencer beteuern heute noch, daß Kramer im Vergleich zu seinem ebenso workoholischen Chicagoer Pendant Steve Albini der bessere Produzent sei. Dazu gesellten sich Shimmy Disc, Kramers Psychedelik-verliebtes Label, und Erstveröffentlichungen von Gwar, Ween, Ruins und Naked City.

Doch diese Zeit der Avantgarde ist, wie auch Shockabilly und B.A.L.L., Kramers Stammtische für zappaesken Freistil, fast zehn Jahre her, und wer von vergangenen Zeiten schwärmt, muß sich von irritierten Endverbrauchern, die nicht den eingebauten Heiligenschein, sondern nur die jeweilige Veröffentlichung sehen, fragen lassen, warum eine neue Platte von Kramer nun nicht Genie, sondern, wie in diesem Fall, nur jammerige Psychedelik mit Session-Charakter beinhaltet. Ja, warum? Sicher nicht, weil der Mann ausgebrannt ist, eher verbittert und in bezug auf die Schlechtigkeit der heutigen Pop-Welt um so mehr der Vergangenheit zugetan, wo er sich in gitarriger Melancholie an diversen existentiellen Fragestellungen abarbeitet.

Verdienste führen nicht in die Sporthalle und machen auch keinen guten Abend. Von daher wird sich zeigen, in welcher Form Kramer seine eigene Geschichte – angekündigt ist ein Potpourri seiner größten Hits – aufarbeitet. Aber auch in einem anderen Bezug wird die Vergangenheit thematisiert: Unter dem Namen Milkshop Holly wagt sich der launische Meister mit Mara Flynns heller Stimme wieder an das gemischte Duo. Und der Kreis schließt sich. Mi, 16. September, 21 Uhr, MarX

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