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Mit Gottes Segen gegen die Stahlbarone

■ Ökumenischer Gottesdienst im Stahlwerk Rheinhausen mit 25.000 Menschen und 100 Pastoren / Eier für Blüm / Redeverbot für die angereiste Polit–Prominenz / Vaterunser und 6.000 Rosen von den Kirchen /“Gott erhalte uns unsere Hütte“

Aus Rheinhausen C. Kawaters

Für sein Gebet fand der Rheinhausener Pfarrer Dieter Kelp am Freitag abend so viele Zuhörer wie schon lange nicht mehr. In einem langen Zug, von Fackeln gespenstisch erleuchtet, waren Tausende Arbeiter zuvor zum Krupp–Werk gezogen. Allen voran ein Lautsprecherwagen, aus dem Arbeiterlieder dröhnten, gefolgt von drei Krankenwagen. Aus allen Ecken des Landes, aus Köln, Bielefeld oder Düsseldorf waren die Menschen zum Solidaritätsabend mit den Stahlwerkern nach Rheinhausen gekommen. Dichtgedrängt, an die 25.000, verfolgten sie nun in der leerstehenden Walzhalle des Krupp–Werks einen ökumenischen Gottesdienst, der von nicht weniger als hundert Pfarrern und Pastoren aus dem Revier gehalten wurde. Die Veranstaltung bildete den Höhepunkt der vergangenen Woche, in der die Stahlarbeiter des von der Stillegung bedrohten Krupp–Betriebs in Rheinhausen mit ihren Straßenblockaden und Mahnwachen eben nur einen Aufschub der Schlußdiskussion um „ihr“ Werk erreicht hatten. Entsprechend aufgeheizt war die Stimmung, als der Bonner Arbeits– und Sozialminister Blüm sich einen Weg durch die Menge bahnte. Minutenlang Pfiffe, die Menschen in der Halle tobten, Eier flogen, und all die Sicherheitsbeamten konnten nicht verhindern, daß so ein rundes Ding dem Bundesminister ins schüttere Haar klatschte. Dennoch gelang es den Organisatoren nur mit Mühe, Blüm davon zu überzeugen, daß es in diesem Moment we nig Sinn habe, eine Rede zu halten, um die aufgebrachte Menge seiner Solidarität zu versichern. Mit festgefrorenem Lächeln blieb er stehen, eingekeilt zwischen Presse und Publikum. Nicht viel anders erging es dem nordrhein–westfälischen „Landesvater“. Johannes Rau und sein Arbeitsminister Heinemann kriegten zwar keine Eier ab, aber reden durften sie nicht. Schließlich bestimmte die Kirche den Abend, wenn auch vorher der Kollege Mahlberg aus dem DGB– Vorstand von dem vergangenen Stolz der Kruppianer sprechen durfte und von der Treue zu ihrem Werk, die ihnen so wenig gelohnt werde: „Viele haben der Firma ihre Gesundheit geopfert und ein ganzes Arbeitsleben die Treue gehalten. Heute werden diese Kruppianer von Männern wie Cromme und Co belogen und wie ein Stück Vieh zur Schlachtbank geführt.“ Seine Eier hatte der Krupp–Stahl– Chef Gerhard Cromme schon Tage zuvor abbekommen. Der Freitag abend war also der Abend der Kirche. Als erster Vertreter dieser Rheinhausener Ökumene trat ein türkischer Bewohner des 40.000 Seelen–Ortsteils von Duisburg vor die Menge. Mit ungelenkem Deutsch, das gut dazu angetan war, seine Betroffenheit zu unterstreichen, sprach der Leiter der Moslemischen Gemeinde davon, wie sehr er und seine Brüder es bedauerten, daß die „christlichen Freunde“ nun eine traurige Weihnacht feiern müßten. Zum Hauptteil der Abends geriet jedoch der Auftritt des Bürgerkomitee–erfahrenen Pfarrers Dieter Kelp aus Rheinhausen. Zwar gestand er der Masse, daß er noch nie einen derart ungewöhnlichen Gottesdienst abgehalten hätte, doch das machte ihm offensichtlich wenig aus. Zwischen den Liedern beschwor er gekonnt und in starken Worten Solidarität und Durchhaltewille der Stahlarbeiter–Familien. Zum Vaterunser wurden 6.000 rosafarbene Rosen verteilt, von der Kanzel hallte es: „Für jede Familie eine, wer zwei hat, soll eine abgeben.“ Als die Gebete zu Ende waren und die Massen dann nach Hause gingen, waren sie zwar nicht hoffnungsvoll, aber doch sichtlich beeindruckt. Der Pfarrer hatte gerade vom Beitrag der Frauen in diesem Arbeitskampf gesprochen und überhaupt von den „kleinen Leuten“, die ihr Recht bekämen, wenn sie nur zäh genug durchhielten. In kurzer Zeit war es ihm gelungen, bei denen, die den Minister Blüm gerade noch am liebsten einen Kopf kürzer gemacht hätten, eine ganz andere Stimmung zu erzeugen: Da kam ein „Wir“–Gefühl auf, ein Bewußtsein, zwar mit dem Karren im Dreck zu stecken, aber eben auch zusammen zu stehen. Und doch: „Gott erhalte uns unser Werk“, wiederholte ein Mann mit weißem Helm beim Hinausgehen, „das ist ja wohl auch das letzte, an das wir uns noch halten können.“

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