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Mit Gentechnik gegen Malaria

Um die tödliche Krankheit auszurotten, läuft in Uganda ein einzigartiges Experiment. In wenigen Jahren sollen genetisch veränderte Moskitos auf Inseln im Victoriasee ausgesetzt werden

In dieser Box summen Hunderte genetisch veränderte Stechmücken Foto: Simone Schlindwein

Aus Entebbe Simone Schlindwein

Geschützt durch blaue Plastikhandschuhe greift die Labor­as­sis­tentin in eine quadratische Box, die rundherum mit einem Moskitonetz umwickelt ist. Darin summt es: Hunderte Stechmücken schwirren umher. Einige sind bereits tot und liegen auf dem Boden. Andere suchen nach Blut und setzen sich prompt auf die blauen Laborhandschuhe.

„Die Handschuhe sind sicher, da kann nichts durchstechen“, erklärt Laborchef und Insektenforscher Peter Nkurunziza. Der große rundliche Mann im weißen Laborkittel steht hinter seiner Assistentin und gibt Anweisungen. Sie soll den Fütterungsapparat prüfen, ob darin noch genügend Glukoselösung übrig ist, erklärt er: „Sobald die Moskitos ausgewachsen sind, hören wir auf, sie zu füttern.“ Er zeigt auf einen kleinen runden Behälter, den er in der Hand hält. „Dann geben wir ihnen menschliches Blut aus der Blutbank, das wir auf genau 37 Grad Körpertemperatur aufwärmen.“

Die Laborassistentin schüttelt die Moskitos von ihrer Hand, bevor sie diese wieder aus der Box herauszieht. Laborchef Nkurunziza greift sicherheitshalber nach einer elektrisch geladenen Fliegenklatsche. Dann verschnürt die Assistentin das Netz rasch wieder.

„Keine Stechmücke darf entkommen“, betont Nkurunziza und zeigt auf die Fenster, die mit Moskitonetzen versehen und rundum mit Klebeband am Rahmen abgedichtet sind. „Selbst am Ausguss des Waschbeckens haben wir Filter angebracht“, sagt er. Denn hinter den versiegelten Türen und Fenstern im Virusinstitut in Ugandas Kleinstadt Entebbe erforschen die Wissenschaftler genetisch manipulierte Anophelesmücken – jene Moskitos, die Parasiten in sich haben können, die die gefährliche Krankheit Malaria übertragen.

Malaria, auch Sumpffieber genannt, zählt in den Tropen zu einer der tödlichsten Krankheiten, vor allem für Kleinkinder. Fast jede Minute stirbt daran weltweit ein Kind unter fünf Jahren. Jährlich werden rund 250 Millionen Menschen positiv getestet, 94 Prozent davon in Afrika. Sie gilt damit als die häufigste Infektionskrankheit der Welt.

Doch das soll sich ändern. Die Weltgemeinschaft hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 Malaria um bis zu 90 Prozent zu verringern. Um das zu erreichen, werden in Uganda neue Methoden angewandt. So ist Anfang April in dem ostafrikanischen Land die weltweit erste und größte Impfkampagne angelaufen. Uganda zählt zu einem von zwölf Ländern Afrikas, wo nun mehr als zwei Millionen Dosen des neu entwickelten Impfstoffes kostenlos verabreicht werden sollen – allerdings nur an Kinder unter zwei Jahren, bei Erwachsenen wirkt die Impfung nur gering. Gleichzeitig versuchen die Wissenschaftler im Virusinstitut von Entebbe noch etwas früher anzusetzen: direkt an der Stechmücke, um diese mittels ausgefeilter Genmanipulation in der Zukunft quasi auszurotten.

Während Laborchef Nkurunziza wieder die Türen des Hochsicherheitslabors verriegelt, steht Doktor Jonathan Kayondo im Vorzimmer von seinem Schreibtisch auf. Neben seinem Laptop türmen sich ausgedruckte Berichte, Zahlentabellen, Grafiken und Mikro­skopaufnahmen von Moskitolarven. Kayondo ist Chef der Abteilung für Insektenforschung an Ugandas Virusinstitut und leitet ein 40-köpfiges Team, das Teil eines größeren Konsortiums ist.

In dem Target-Malaria-Projekt sind weltweit insgesamt über 200 Forscher tätig, darunter in den USA, Großbritannien, Italien und Burkina Faso. Der kleine Mann in dem etwas zu großen Anzug zeigt aus dem Fenster. „Wir können uns in den Garten setzen, dort weht eine kühle Brise“, sagt er. Tatsächlich ist es in den Laboren sehr warm, Heizstrahler und Luftbefeuchter sind aufgestellt. Sie erzeugen perfekte Bedingungen für die Anopheles­mücke, die nur in warmen Klimazonen überlebt.

Das afrikaweit führende Vireninstitut, gegründet in der Kolonialzeit von den Briten, liegt auf einer Anhöhe mit Blick über den gewaltigen Victoriasee. Dort draußen, auf den zahlreichen Inseln des Ssese-Archipels, benannt nach der Tsetsefliege, hat bereits 1906 der deutsche Tropenmediziner Robert Koch im Auftrag der deutschen Kolonialherren die Schlafkrankheit erforscht. Sie wird von der Tsetsefliege übertragen und hatte zu jener Zeit eine Viertelmillion Menschen in Deutsch-Ostafrika dahingerafft. Um Medikamente zu testen, hatten deutsche Forscher auf den Ssese-Inseln Konzentrationslager eingerichtet, wo sie todkranke Afrikaner zusammenpferchten und ihnen Chemikalien einflößten, die zum Teil giftig wirkten.

Auf diesen Inseln will Kayondo in den kommenden Jahren nun auch die genmanipulierten Moskitos aussetzen, um sie in freier Wildbahn zu testen. Er setzt sich im Garten des Instituts auf eine Bank unter einem Akazienbaum, der in Blüte steht – mit Blick auf den See. „Wir haben die Gensequenz so verändert, dass nun deutlich mehr männliche als weibliche Larven schlüpfen“, erklärt der Forscher den Ansatz.

Da nur die weiblichen Anophelesmücken Blut saugen, um fruchtbar zu werden und Eier zu legen, „sind es nur die weiblichen Mücken, welche die Parasiten als Wirt von Mensch zu Mensch übertragen“, so Kayondo. „Wenn es also über Generationen hinweg deutlich mehr männliche Moskitos gibt, dann rotten wir die weiblichen Moskitos langfristig aus“ – und auf diese Weise letztlich die gesamte Moskitopopulation.

„Wir müssen zunächst alle Risiken aus­schließen“

Jonathan Kayondo, Insektenforscher an Ugandas Virusinstitut

Schon bei Teilerfolgen reduziert sich die Wahrscheinlichkeit einer Malariainfektion bei Menschen. Um dies nun nicht nur im Labor, sondern auch in der Natur testen zu können, müssen bald die Einwohner der Ssese-Inseln wieder zu Versuchszwecken herhalten. Allerdings erst, das betont der Forscher ausdrücklich, „wenn die Methode als hundert Prozent sicher gilt“. Doch: „Damit sich die Moskitos vermehren, brauchen sie menschliches Blut – ohne das geht es einfach nicht.“

Doch so weit sind die Insektenforscher noch nicht. Das Projekt steckt noch in den Kinderschuhen. Bislang wurden nur in den Laboren der Zentren für Seuchenkontrolle und -prävention (CDC) in den USA die Genstränge verändert und die Folgen untersucht. „Wir müssen zunächst alle Risiken ausschließen – nicht, dass unsere genveränderte Anopheles nun andere Krankheiten wie Zika besser überträgt, länger leben kann oder andere ungewollte Fähigkeiten entwickelt“, sagt Kayondo.

Er schätzt, dass die ersten Feldversuche nicht vor dem Jahr 2028 stattfinden können. „Und dann dauert es optimistisch betrachtet weitere zwei bis drei Jahre, bis wir die ersten Ergebnisse haben.“ Sollten diese positiv sein, dauere es aber weitere Jahre, bis Ugandas Regierung die nötigen Gesetze und Verordnungen verabschiedet, um die Freilassung von genetisch manipulierten Stechmücken – nicht nur zu Versuchszwecken – zu legalisieren.

Das Ziel, Malaria bis zum Jahr 2030 fast auszurotten, wäre so nicht einzuhalten. Scott Filler, zuständig im Global Fund für den Kampf gegen Malaria, will daran trotzdem unbedingt festhalten. Als Grund berichtet er von der mysteriösen „Krankheit X“, die letztes Jahr Gesundheitsexperten weltweit in Aufregung versetzte. In der Demokratischen Republik Kongo war in einem abgelegenen Teil des Landes eine Krankheit ausgebrochen, die vor allem bei Kindern zum Tode führte. Aus Panik vor einer neuen weltweiten Pandemie machten sich Seuchenexperten auf den Weg in den Dschungel. Letztlich stellte sich heraus, dass es sich um einen neuen Malariastrang handelt, der schwere Symptome verursacht.

Eine Labor­assistentin bleicht Moskitoeier im Virusinstitut in Entebbe Foto: Target Malaria Insectary

Dass nun in Uganda an neuen Ansätzen der Malariabekämpfung geforscht wird, begrüßt Filler. Die frisch angelaufene Impfkampagne könne helfen, zumindest die Todesraten bei Kleinkindern zu verringern: „Als zusätzliches Hilfsmittel im Kampf gegen Malaria ist dies sehr spannend“, sagt er. Doch der Impfstoff muss dreimal in kurzen Zeitabständen verabreicht werden, und: „Die Impfung hält nicht lange an und ist zudem extrem teuer.“ Mehr Forschung sei in diese Richtung gefragt, damit eine Impfung tatsächlich ein „Gamechanger“ sein kann, wie Filler es nennt. Er hofft stattdessen auf gute Erfolge der Genforschung an den Moskitos. Denn dieser Ansatz „benötigt nicht viel menschliches Zutun oder Verhaltensänderungen“.

Filler mahnt: Historisch gesehen „werden wir den Rüstungswettlauf mit der Krankheit verlieren, wenn wir immer nur Symptome behandeln“. Denn die Moskitos würden zunehmend resistenter gegen Insektizide. Einige Parasitenstränge seien bereits resistent gegen die gängigen Behandlungs­methoden. Aufgrund der Erd­er­wär­mung als Folge des Klimawandels „verbreitet sich nun die Malaria in Regionen, wo es sie bislang nicht gab“, sagt Filler.

Der ugandische Forscher Kayondo pflichtet dem bei. In den Laboren hätten sie bereits festgestellt, wenn sie die Raumtemperatur um nur 2 Grad anheben, dann schlüpfen in kürzerer Zeit deutlich mehr Larven und die „Parasiten vermehren sich deutlich schneller“, so Kayondo. Während er von der Bank im Garten des Virusinstituts aufsteht, um zurück in den aufgeheizten Laboren seine Studien weiterzubetreiben, sagt er: „Im Kampf gegen die Malaria haben wir noch einen langen Weg vor uns – und je rascher wir neue Instrumente anwenden, desto eher gewinnen wir den Kampf.“

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