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■ Mit E 605 auf du und duGiftige Moselwinzer

Berlin (taz/dpa) – Das Zeug ist von gelblich-wässriger Farbe, aber mit Wein selbst dann nicht zu verwechseln, wenn der edle Tropfen aus allerlei Chemikalien besteht. Nach den Weinskandalen, die zuerst den Trinkern und Trinkerinnen arge Kopfschmerzen beschieden – und erst danach den Erzeugern und Erzeugerinnen – hat das Fernsehmagazin Panorama gestern von einem Skandal berichtet, der als ein Fall ausgleichender Gerechtigkeit betrachtet werden könnte. Ein Pflanzenschutzmittel hat die Winzer an der Mosel erwischt.

Im Wein läßt es sich nicht nachweisen, wohl aber im Körper: Der Trierer Nervenarzt Peter Binz hat in den letzten zwei Jahren mehr als hundert Fälle von Nervenerkrankungen an die Berufsgenossenschaft der Winzer gemeldet. Seine Patienten litten an Kopf- und Muskelschmerzen, Gedächtnisverlust, Verwirrung und Desorientierung. Im Spätstadium der Krankheit traten spastische Lähmungen und Psychosen auf, sogar „Stillstand von Hirnfunktionen“ war mitunter zu beklagen.

Binz kennt die Ursache: Seit Mitte der 50er Jahre ist an der Mosel aus Hubschraubern und anderen Sprühgeräten das Pestzid E 605 über die Reben verspritzt worden. Das Gift heißt auch „Parathion“, riecht nach Lauch und ist chemisch betrachtet eine Verbindung von Phosphor, Kohlen- und Sauerstoff. Seit 1990 ist sein Einsatz in der deutschen Landwirtschaft verboten. US-Studien wiesen nach, daß organische Phosphorverbindungen die Membran der (menschlichen) Nervenzellen schädigen.

So wären die Krankheiten der Moselwinzer gut erklärt, trotzdem will die zuständige Berufsgenossenschaft „weitere Untersuchungen“ einleiten – Schadenersatzforderungen und Rentenansprüche in Millionenhöhe stehen ihr ins Haus.

Weit übler allerdings hat E605 die Fauna der Rebberge runiert. Das Mittel wirkt tödlich auf sämtliche Kleinlebewesen. Doch der Kahlschlag erwies sich bald als sinnlos, denn nach den Gifteinsätzen erhielten just jene Arten eine Überlebenschance, die eigentlich vernichtet werden sollten. Der Regelkreis war unterbrochen, in der biologischen Wüste des Rebberges fehlten plötzlich die natürlichen Feinde der Schädlinge, die sich nun völlig ungehindert und massenhaft vermehren konnten. Die chemische Industrie verdient nun an Ersatzstoffen – gegen die Toxikologen ebenfalls schwere Bedenken vorgebracht haben. nh

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