Mit Dr. Best den Abfluß bürsten

■ Auf Du und Du mit der ganzen Nachbarschaft: Fünf KünstlerInnen verwandeln am Wochenende die Straße „Am schwarzen Meer“ in ein Gesamtkunstwerk

Bei dem Wetter: Vielleicht hat Stefanie Supplieth ja Glück. Der unweit liegende Kirchbachstraßenkirchbach schwillt gewaltig an, ergießt sich über die Stader Straße Richtung Osterdeich, biegt weit vorher plötzlich rechts scharf ab, stürzt den Hulsberg hinab und mündet schließlich tosend Am Schwarzen Meer.

Im dortigen Schaufenster von Evelyn's Haar-Studio warten bunte Fische, Muscheln und gigantische Seesterne seit langem auf diesen Tag. „Papier & Bleistift“, wo es Papier und Bleistift gibt, müßte wahrscheinlich die Auslage in trockene Tücher packen. Im „Phänomen“, wo ein veritabler Kasper Bier ausschenkt, ist der Gerstensaft in Stahlfässern vor Verdünnung sicher. Die Seitenstraße „Sorgenfrei“ bliebe, weil's ja nur 'ne Seitenstraße ist, ebenfalls sorgenfrei. Aber der Copyshop von weiter oben, wo eine Kopie wie in der guten alten Zeit noch 8,2 Pfennig kostet, hätte allen Grund, seine DIN-A4-Bestände in Sicherheit zu bringen.

Aber vielleicht hat Stephanie Supplieth auch wirklich Glück. Und es hört am Wochenende einfach mal auf zu regnen. So daß die Kunstaktion „wechselbäder am schwarzen meer“ nicht ins Wasser fällt – eine Aktion, deren Thema diese Straße selbst ist und die sie mit Frauke Alber, Ute Ihlenfeldt, Dorothea Muszynski und Tilman Rothermel ebendort plant.

Doch selbst wenn der Kirchbach nicht anschwellen sollte – das schwarze Meer wird am Wochenende höchstpersönlich Am schwarzen Meer zugegen sein. Von Freunden hat sich Dorothea Muszynski aus deren Urlaub zwei Flaschen Originalflüssigkeit mitbringen lassen und hat sie, vermischt mit Originalleitungswasser aus ihrem Atelier Am schwarzen Meer, in kleine durchsichtige Plastiksäckchen abgefüllt. Übereinandergestapelt füllen die Wassersäckchen ein Auto bis zum Fensterrand. Kein Zufall also, daß Muszynski ein Auto mit Wassersäckchen bis zum Fensterrand füllen wird, um es am Straßenrand abzustellen. Und dann darauf zu warten, wie jede vorüberfahrende Straßenbahn die Brandung durch den Pkw schwappen läßt.

Auch Tilman Rothermel interessiert die Straßenbahn. Genauer: Die Leitungen und der ganze andere Leitungs- und Kabelsalat, unter dem die Bahn immer entlangruckelt und der ansonsten keines Blickes gewürdigt wird. Rothermel würdigt sie, indem er ihre Schatten bunt aufs Straßenpflaster malt. Und gleichzeitig zeigt, daß das Beziehungsgeflecht in der Straße vielfältig ist.

Davon weiß auch Stefanie Supplieth zu erzählen, die hundert Zahnbürsten in Kunstharz gießen wird. Nicht etwa irgendwelche Bürsten, sondern die, mit denen die Nachbarschaft im Mund, aber auch im Abfluß oder auf dem Kopf (!) herumfährt. Ein seltsamer Herr, der mit seiner dentabella-Bürste bevorzugt seine Golfbälle vom Gras befreit, hat sich nach gutem Zureden ebenfalls von seinem guten Stück getrennt und es Supplieth so ermöglicht, einen Einblick in das Hygieneverhalten der MeerbewohnerInnen zu öffnen. Übrigens: Dr. Best dominiert die Szene.

Ute Ihlenfeldt hingegen will von den Nachbarn keine Bürsten, sondern Ratschläge für ihren verzweifelten Kampf gegen Läuse, Mehltau und andere Gartenplagen. Dafür hat sie das von ihr gegründete „Neurovisuelle Institut zur Erforschung allgemeiner Phänomene“ beauftragt, das 25 Aushänge mit Problembeschreibungen an die Bäume heften wird.

Der Straßenname, die Straßenbahn, die Nachbarn – fehlen nur noch die Geschäfte Am schwarzen Meer. Frauke Alber hat sich der Schaufenster mit stacheligen Plüschstoffkugeln bemächtigt. Ein Wechselbad zwischen weich und spitz soll's werden, wenn jemand hinguckt. Wovon die HändlerInnen offenbar nicht ausgehen. „In unsere Schaufenster schaut niemand“, hat Alber zu hören bekommen. Kann am Wochenende ganz anders aussehen. Am schwarzen Meer. zott

Die Kunstaktion „wechselbäder am schwarzen meer“ wird mit einer Führung am Samstag um 16 Uhr vor der Hausnummer 51 eröffnet. Am Sonntag um 11 Uhr wiederholt die Kulturjournalistin Anja Robert die Führung . Es sprichtnichts dagegen, am Wochenende ungeführt Am schwarzen Meer zu flanieren