piwik no script img

Archiv-Artikel

Mit Bus und Wahn

Mehr als ein Jahr nach seinem vereitelten Benzin-Anschlag auf einen Linienbus muss sich der psychisch kranke Täter wegen versuchtem Mord vor dem Landgericht Bremen verantworten

„Ich kann nicht mehr“, rief der Bus-Attentäter im Wahn aus, „ich will nicht mehr“

von Jan Zier

Marcus M. war der „Prügelknabe der Nation“– glaubte er jedenfalls – und alle, wirklich alle, dachte er, redeten sie über ihn. Tuschelten, wo sie ihn nur sahen, schrieben über ihn im Internet, verfolgten ihn mit Blicken, und wenn auf der Straße ein Auto hupte, dann nur wegen ihm. Bestimmt. Marcus M. leidet unter dem, was man gemeinhin eine Psychose nennt. Sein auffälligstes Symptom: Anhaltender Verfolgungswahn. Irgendwann hatte M. sich dann nicht mehr unter Kontrolle. Seit gestern muss er sich wegen versuchtem Mord vor dem Bremer Landgericht verantworten.

Marcus M. war der „Bus-Attentäter“. Am 28. November 2006 steigt er in einen Bus nach Kirchhuchting, mit im Gepäck: eine Schreckschusspistole, zwei mit eineinhalb Litern Benzin gefüllte Plastikflaschen, die vormals Eistee enthielten und ein Feuerzeug. Die Linie 55 war zu jenem Zeitpunkt vollbesetzt.

Voll mit Leuten, deren verfolgenden Blicken er nicht ausweichen konnte, sagt er heute – und jetzt waren sie plötzlich noch näher an ihm dran als sonst schon. Die Situation eskalierte. Marcus M. übergießt einige Fahrgäste mit Benzin, droht, sie anzuzünden. Auf Mitreisende wirkt der 41-Jährige geistig verwirrt. „Ich kann nicht mehr“, ruft er dann aus, „ich will nicht mehr“. Und dass sie ihn ja doch alle nur „verarschen“ würden.

Drei Frauen erlitten Augenverletzungen durch das Benzin. Dass nicht mehr passierte, ist wohl einem couragierten Mann zu verdanken, der M. packte und aus dem offenen Bus drängte. „Mit seinem beherzten Eingreifen hat ein Fahrgast in einem Bremer Linienbus eine Katastrophe verhindert“, meldeten hernach die Agenturen. Eine sofort eingeleitete Großfahndung blieb zunächst erfolglos. M. flüchtete zu Fuß, hielt sich hinter einem Busch versteckt.

Sein Motiv beschreibt Marcus M. heute so: „Wenn ich sie mit Benzin besprühe, sagen sie mir, warum ich verfolgt werde.“ Trotzdem sei er „völlig baff“ gewesen, selbst davon überrascht, sich „das“ überhaupt getraut zu haben. Also zog er nach seiner Flucht „erstmal eine Nase Heroin“, ehe er wieder nach Hause fuhr. Um seinen „Schock“ zu überwinden, wie er heute sagt. M. ist nicht nur psychotisch, sondern auch drogenkrank.

Mit 16, 17 fing er an zu kiffen, erzählt er vor Gericht, drei Jahre später war er schon auf Heroin, aber nicht nur: Auch gekokst hat er immer wieder. Wie oft er in seinem Leben schon entzogen hat, vermag er nicht mehr zu sagen. Zum Tatzeitpunkt substituierten sie ihn zwar mit Methadon, doch auf Beigebrauch mochte er nicht verzichten. Schon gar nicht in Tagen wie jenen im Herbst 2006, als er gerade seinen neuen Job als Maler bei einer Zeitarbeitsfirma verlor. Auch vom Hochhaus wäre er in jenem Jahr beinahe schon gesprungen, sagt er.

Kurz vor jenem Attentat kokste er wieder, „um klarer im Kopf zu werden“, wie er sagt, „aber in Wahrheit hat es mich nur noch rascheliger gemacht“. Deshalb habe er gleich noch ein wenig Heroin nachgeschoben, „um wieder runterzukommen“, aber dafür sei es dann irgendwie schon zu spät gewesen.

Ein paar Tage trug er die beiden Flaschen mit dem Benzin wohl schon mit sich herum, immer wieder mal. Es stammte von der Aral-Tankstelle in Brinkum, daran kann er sich auch nach über einem Jahr noch genau erinnern. Warum ausgerechnet Benzin, fragt ihn der Richter. M. zuckt mit den Schultern. Das sei nur so eine Idee gewesen. Auto fährt er jedenfalls keines.

Inzwischen ist er in der Klinik für forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Bremen-Ost untergebracht. Unschuldig sei er nicht, sagt sein Anwalt Christian Rosse, aber krank. Und deshalb erheblich vermindert schuldfähig. M. hat gleich zu Prozessbeginn alles gestanden, zeigt sich reuig. Staatsanwalt Uwe Picard mag sich dazu am ersten Tag der Hauptverhandlung noch nicht äußern – „das würde kein vernünftiger Staatsanwalt tun“. Fünf Verhandlungstage sind anberaumt, auch ein psychologischer Sachverständiger ist geladen.

Den Knast kennt Marcus M. bereits, 16 Monate musste er schon mal absitzen. Wann das war, will der Richter wissen. 2004/5, vielleicht, oder 2005/6? Genau könne er das nicht mehr sagen. „Ich hab‘s nicht so mit den Daten.“