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Archiv-Artikel

Mit Ben auf dem Märchenfloß

Wenn das ZDF zum Fantag seiner Telenovela „Wege zum Glück“ ruft, kommen die Fans zu Tausenden. Auch im Heide-Park Soltau ist das Gedränge groß um Promis, die oft als Darsteller und nicht als Schauspieler bezeichnet werden. Und die inmitten ihrer Fans Einblicke in ihre Professionalität gewähren

Dass die Telenovela-Darsteller ihr schauspielerisches Potenzial erst an heißen Tagen wie diesem abrufen, merkt kaum ein Kritiker

von Jan Freitag

George Clooney, das muss George Clooney sein, der hier im Heide-Park Soltau eine kleine Massenhysterie auslöst. Oder vielleicht eine Boygroup? Nein, dafür sind die Fans im Durchschnitt zu alt, auch wenn sie manchmal kreischen wie entrückte Teenies. Also doch Guido Westerwelle, der ist schließlich für jede PR-Aktion zu haben, und die große Zahl stiernackiger Wachmänner im Anzug zeugt von irgendwas immens Schützenswertem vor der Phalanx aus Digitalkameras. Und sieht der junge Kerl mit den schmachtenden Verehrerinnen im Schlepptau nicht ein bisschen aus wie, tja, Ben Affleck?

Die Optik täuscht. Er heißt Hubertus Grimm und ist fünf Mal die Woche für 45 Minuten Ben Petersen, sieht super aus mit seinem Zahnpastagrinsen, spielt aber leider keine Hauptrolle in Hollywood, sondern nur die in einer Telenovela namens „Wege zum Glück“. Immerhin. Denn wenn das ZDF wie voriges Wochenende zum dritten „Fantag“ der Dauerserie lädt, zeigt sich, wie berühmt man auch damit werden kann. Dann strömen die treuesten Anhänger herbei, zu Tausenden, von überall her, wo Deutsch gesprochen wird. „Na, dös ham mer goa ned bereut“, versichert Rosemarie, die Rosemarie, ohne Nachname. Sie strahlt übers ganze Gesicht und umklammert einen Stapel Autogrammkarten. Einen Tag haben die 35-jährige Österreicherin und ihr Mann, der Thomas, auf Autobahnen verbracht, um ihren Lieblingen ganz nah zu sein.

Nicht, dass alle Teilnehmer des Fantags zehn Stunden Anreise zur Lüneburger Heide in Kauf genommen hätten. Doch es sind Menschen aus der ganzen Republik und ein paar Ländern drumrum, die einen überfüllten Freizeitpark für 21 Menschen besuchen, von denen kaum einer je gehört hat, der nicht Tag für Tag um Viertel nach vier den Fernseher einschaltet. Rosemarie, die Steuerberaterin aus den Alpen, hat von 413 Folgen kein Dutzend verpasst.

Seit rund drei Jahren suchen ihre Helden nach Wegen zum Glück: Zunächst Bianca, die Mutter der Telenovela-Welle, das Zugpferd. Dann Julia, auch sie dick im Quotengeschäft. Zurzeit Nina, für bis zu drei Millionen Zuseher fester Bestandteil jedes Nachmittags. Sie wird eine Nachfolgerin haben, ganz gewiss, gleich nach der Hochzeit. Aber jetzt ist eben Nina die Sehnsüchtige auf der Spur ihres Mr. Right, dem Ben. Umgeben von dem Max oder dem Richard. Oder der Elsa oder der Paula oder der Annabelle. Sie alle haben für ihre Fans keine Alltagsnamen, keine Echtzeitrealität, keine Maske und nichts dahinter. Sie bedienen den Querschnitt sozialer Gruppenfiktionen, und hier, im Heide-Park, sehen sie ja auch genauso aus wie auf dem Bildschirm.

Es ist schwer zu sagen, ob alle Fans ihren Tag als Inszenierung oder doch als Realität begreifen. „Heute ist nicht irgendein Samstag“, brüllt Moderator Jo Hiller, eine Leihgabe des Klingeltonsenders Viva, in die Menge, „heute ist der schönste Tag im Jahr, heute ist Fantag.“ Das Publikum johlt und ruft, was Jo ruft, wenn er es will. Dass das Wetter toll sei, die Stimmung spitze und jeder gut drauf. Die Gesetze der Eventchoreografie, sie funktionieren auf der Hüttengaudi so gut wie im Heide-Park.

Wie einen dörflichen Festumzug ziehen die Semistars sodann ihr seliges Gefolge von Highlight zu Highlight hinter sich her. Fototermin im Kaffeetassenkarussell. Fototermin auf dem Märchenfloß. Fototermin vorm Piratenschiff. Fototermin an der Achterbahn. Finale an Autogrammständen. Überall Myriaden knipsender Hände über gereckten Hälsen, stets abgeschirmt von einer Security, als ginge es um echte Schauspieler von echter Prominenz. Man spricht lieber von Darstellern, was keineswegs nett gemeint ist. Dass sie ihr schauspielerisches Potenzial erst an heißen Sommertagen wie diesem abrufen, merkt indes kaum ein Kritiker.

Das Lächeln scheint ihnen eingebrannt, wie auf den Fantagen zuvor, im Europapark Rust und im Berliner Zoo. Corinna A. Horn, pardon: Elsa zum Beispiel ist ein Naturtalent des Fassadengrinsens. „Ach wie schön, dass Sie da sind“, fassadengrinst die überschminkte Blondine einem ungeschminkt glücklichen Fan entgegen, ergreift seine fahle Hand und verzieht danach ganz kurz das Gesicht. Es ist nur ein Augenblick, doch er gewährt tiefe Einblicke hinters Make-up in die Professionalität der Serienprotagonistin.

Doch die will hier niemand treffen. Schon gar nicht jene zehn Gewinner eines Preisausschreibens, die samt Begleitung umsonst dabei sein dürfen, Aufenthalt im Vier-Sterne-Hotel und Stardiner inklusive, hautnah heißt das im PR-Jargon. „Wissen Sie“, sagt die Kölnerin Renate Nicolay, „das ist hier das Schönste auf der Welt, da gibt es nichts dran auszusetzen, nichts.“ Nicht mal ihre Knie-Operation, nicht mal die Krücken, nicht mal den gehetzten Ablaufplan.

Im Golfwagen fährt sie vorbei an Fahrgeräten mit dem Schild 60+ darüber, eher ruhige Schienenbahnen für Senioren also als Hochgeschwindigkeitsattraktionen. Man fühlt sich unwillkürlich an die ZDF-Zielgruppe erinnert. Natürlich ist das Publikum um die Zeit älter, aber wie sehr das Format auch Jüngere fasziniert, zeigt der Fantag. Die Bank auf der sie steht, wackelt gehörig, so zittert die fotografierende Schülerin, Auge in Auge mit Erik, dem Serienjugendlichen mit den Rehaugen, fraglos für den Nachwuchs gecastet. Etwas weiter zieht ein Sachse um die 30 seine Frau zu sich. „Komm her, Gaby“, raunzt er, „ich hab ’se“. Viktoria nämlich, das blonde Strahlen in Person. „Wahnsinn“, haucht die Gaby und drückt wackelig auf den Auslöser.

Dann wird Viktoria selbst zum nächsten Foto gezerrt. Wieder Grinsen, wieder Umarmen, wieder wahre Schauspielkunst. In der Holzachterbahn fällt dies vielen schwerer, und die Schlangen der abschließenden Signierstunde sind kaum kürzer. Hier zeigt sich der Unterschied zur Boygroup: Es herrscht Disziplin, keiner murrt übers lange Warten, alle sind immer happy über alles.

Nur Außenstehende wundern sich ein wenig. „Welche Stars haben die da?“, fragt einer. Niemand Besonderes, nur ein paar Darsteller, B-Promis bestenfalls und leidlich berühmt. Aber wer sie liebt, liebt sie innig.