Missbrauchsvorwürfe gegen Arzt: Texte müssen offline bleiben
Zu viele Details: „Buzzfeed“ und „Vice“ haben einen Prozess verloren, in dem ein Arzt gegen Berichte über seine Person geklagt hatte.
Nur zehn Tage waren die Artikel online zu lesen. Denn der Arzt war gegen die Berichterstattung vorgegangen. Nun hat am Dienstag die Pressekammer des Berliner Landgerichts eine einstweilige Verfügung gegen Buzzfeed und Vice erlassen, so berichten es die Süddeutsche Zeitung und der Branchendienst Meedia. Das heißt: Die Artikel dürfen nicht wieder online gestellt werden.
In den Texten kamen eine Vielzahl von Zeugen und Beratungsstellen zu Wort. Der Berliner Arzt, gegen den sich die Vorwürfe richteten und dessen Prozess im nächsten Jahr beginnt, verweigerte gegenüber den Medien eine Stellungnahme. Bei den Artikeln handelt es sich um medienrechtlich schwierige Verdachtsberichterstattung. Gerade bei Vorwürfen sexualisierter Gewalt steht häufig Aussage gegen Aussage und es gibt keine Zeug*innen. Um darüber berichten zu können, gibt es rechtliche Vorgaben: Wie ein nötiges Interesse der Öffentlichkeit, ein Mindestmaß an Beweisen, das zu Wort kommen lassen beider Parteien und eine Berichterstattung ohne Vorverurteilung.
„Extrem problematisch“
Der Richter sagte, laut SZ, er erkenne, dass eine Fülle an Belegtatsachen recherchiert worden sei, ein Interesse der Öffentlichkeit da sei, die Artikel aber trotzdem vorverurteilend seien. Das begründet die Pressekammer damit, dass durch die Zeugenaussagen und detailliert beschriebene Tathergänge eine Vorverurteilung des Arztes stattfinden würde. Auch, dass der Artikeln mit vielen Konjunktiven und Worten wie „mutmaßlich“ oder „offenbar“ arbeite, reiche nicht aus.
Daniel Drepper, Chefredakteur von Buzzfeed, sieht keine Fehler in der Berichterstattung und zeigt sich am nächsten Tag gegenüber der taz enttäuscht von dem Urteil: „Über Wochen haben die beiden Reporter*innen eine so dichte Beleglage zusammengetragen, wie ich sie in der Berichterstattung über sexualisierte Gewalt bisher selten gesehen habe. Dass uns diese dichte Beleglage jetzt zum Verhängnis werden soll und der Artikel vorerst nicht verfügbar ist, halte ich für extrem problematisch.“
Gemeinsam mit dem Recherchepartner Vice und der Anwaltskanzlei Raue will Drepper nun klären, ob und wie gegen das erstinstanzliche Urteil vorgegangen werden kann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?