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Missbrauch an HeimkindernFürs Leben gezeichnet

Siegfried S. war ein Heimkind. Die Erfahrungen dort haben sein ganzes Leben verändert. Jetzt spricht er darüber - drastisch und schonungslos.

Düstere Erinnerungen an die Kindheit: Siegfried S. musste vier Jahre ins Heim. Bild: emoji / photocase.com

Eine Unachtsamkeit, wahrscheinlich. Mehr nicht. Und doch trifft sie Siegfried S., der seinen ganzen Namen nicht in der Zeitung lesen will, ins Mark. Der 48-Jährige zeigt in seinem Wohnzimmer in Essen auf eine Briefmarke, die auf einem Briefumschlag klebt. Zu sehen ist der berühmte Cartoon von Loriot: ein Ehepaar und das Frühstücksei. "Ich hätte nur gern ein weiches Ei und nicht ein zufällig weiches Ei!", steht daneben. "Man hat mich trocken in den Arsch gefickt", sagt er.

Das Kuvert stammt aus dem Heim, in dem das vor mehr als 40 Jahren geschehen ist. Es enthält belanglose Unterlagen aus seiner alten Personalakte. Doch die Briefmarke mit dem Frühstücksei trifft Siegfried S. besonders: Wegen Spermatozelen, Zysten oder "Versteinerungen", wie er es nennt, mussten ihm in den vergangenen drei Jahren in 28 Operationen nach und nach die Hoden entfernt werden. "Ich habe keine Eier mehr", sagt er überdeutlich.

Siegfried S. ist als Heimkind Ende der sechziger Jahre von seiner Erzieherin unter anderem mit einem Besenstil vergewaltigt worden. Ein Zusammenhang zwischen den Vergewaltigungen vor Jahrzehnten und der Amputation, mit der er jetzt zurechtkommen muss, ist nicht nachweisbar. Ebenso wenig ist nachweisbar, dass der Missbrauch im Kindesalter zu einem Lebenslauf geführt hat, der aus den Bahnen geriet; vielleicht war alles schon vor dem Missbrauch in seiner Familie angelegt. Typisch ist sein Fall jedoch, weil ehemalige Heimkinder oft ihr Leben lang unter den Misshandlungen und den Akten des Missbrauchs leiden, die ihre Kinderseelen zerstörten.

Nie eine Ausbildung

Überdurchschnittlich viele frühere Heimkinder haben nie eine ordentliche Ausbildung genossen. Dirk Friedrich, zweiter Vorsitzender des Vereins ehemaliger Heimkinder (VEH), erzählt von andauernder Stigmatisierung der früheren Heimkinder und von Altersarmut, die viele betreffe. Während in den vergangenen Monaten die Missbrauchsopfer vor allem aus der katholischen Kirche oder aus der noblen Odenwaldschule viel mediale Aufmerksamkeit erhielten, ging der Skandal um die ehemaligen Heimkinder fast unter. Es ist, als ob die früheren Schmuddelkinder weiter in den Schmuddelecke schmorten. Menschen, die fast nie eine Chance hatten.

So ähnlich war das bei Siegfried S. Der Mann mit dem kantigen Gesicht und dem breiten Kreuz wächst in einem harten Umfeld in Essen auf, "eine total verkommene Dreckswohnung-Gegend", so beschreibt er sie. Es ist das Viertel um den Reckhammerweg, ein sozialer Brennpunkt, wie man heute sagen würde. Der Vater ist Hilfsarbeiter und Kellner, die Mutter Hausfrau. Beide trinken regelmäßig. Der Vater prügelt seine Kinder, wenn er ihrer nicht mehr Herr wird. Er schlägt auch seine Frau. Das Paar ist sich in Hassliebe verbunden, zweimal lassen sich die beiden scheiden, dreimal heiraten sie wieder.

HEIMKINDER

Über 700.000 Mädchen und Jungen waren in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik, etwa in der Zeit von 1945 bis 1975, in staatlichen und kirchlichen Kinderheimen und Erziehungsheimen untergebracht. Von ihnen leben noch rund 500.000. Circa 30.000 haben davon berichtet, misshandelt oder missbraucht worden zu sein. Überdurchschnittlich viele frühere Heimkinder haben nie eine ordentliche Ausbildung genossen.

Eines Nachts im Jahr 1968 taucht plötzlich die Polizei auf und zerrt die verstörten Kinder ins Heim: Siegfried wird mit seinem älteren Bruder zum evangelischen Martinswerk Dorlar im Sauerland gebracht, eine jüngere Schwester und ein jüngerer Bruder kommen in ein anderes Heim. Alle Kinder sind völlig verwahrlostet und "total verlaust", sagt Siegfried S.

Was eine Wende zum Besseren hätte werden können, gerät für Siegfried S. sehr schnell zum Albtraum. Eine ältere Erzieherin hat es auf ihn abgesehen, schon nach zwei Wochen prügelt sie ihn wegen kleinster Vergehen windelweich. Er erinnert sich an den Vorratskeller mit der hellgrauen Metalltür, wo sein Martyrium stattfand. Zuerst gab es Schläge mit Stöcken auf den nackten Hintern. Doch bald steckt ihm die Erzieherin auch "Gegenstände in den Arsch", wie Siegfried S. in der Direktheit des Ruhrpottlers sagt. "Bitter und schmerzhaft" sei das gewesen, sagt er, "stumpf und abartig". Die Erzieherin habe seinen Pobacken regelrecht auseinandergerissen. "Vielleicht wollte sie gucken, ob ich Außerirdische drinhabe", sagt er zynisch. Geschrien habe er nie, sagt Siegfried S., "diese Genugtuung wollte ich niemandem geben".

Die Vergewaltigungen erfolgen regelmäßig, alle zwei Wochen samstags "vor ,Raumschiff Enterprise'", so erinnert sich Siegfried S. Danach muss er die Erzieherin vor dem gemeinsamen Fernsehglotzen mit anderen Jugendlichen massieren: den Rücken und die Füße, sie gönnt sich ja sonst nichts. Es gibt keine innere Logik hinter den Misshandlungen und dem Missbrauch: Siegfried S. wird "bestraft", wenn er nichts getan hat - und kann zugleich ungestraft Milky-Way-Schokoriegel klauen. Auch deshalb, sagt er heute, habe er nie so etwas wie ein Rechts- oder Unrechtsempfinden gelernt. Vor den Eltern, die ihn regelmäßig unter Aufsicht besuchen, "hielt ich lieber die Fresse". Es war klar: "Wenn ich was sage, gibt es noch härtere Konsequenzen."

Während eines längeren Aufenthalts der Heimkinder im Tessin versucht Siegfried S. sich umzubringen. Er hängt sich mit einer Schlinge um den Hals in einer Umkleidekabine an einen Haken. "Dann haste den ganzen Scheiß hinter dir", so erinnert er sich an seine Gedanken zuvor. "Hat leider nicht geklappt." Irgendjemand findet ihn rechtzeitig und rettet ihm das Leben - er weiß bis heute nicht, wer es war.

Mit 16 Heroin

Nach vier Jahren ist seine Leidenszeit im Heim zu Ende - aber Siegfried S. ist für sein Leben gezeichnet. Er geht nicht mehr zur Schule, hängt rum, klaut. "Ist sowieso alles meins", denkt er sich. Der Vater prügelt ihn, weil ihn ständig die Polizei nach Hause bringt. Mit 14 Jahren kommt er erstmals in den Knast, mit 16 Jahren nimmt er das erste Mal Heroin. Er habe "immer die Chance der Bewährung" gehabt, räumt er ein, "das will ich nicht abstreiten. Aber ich habe Scheiße daraus gemacht." Er flieht aus Heimen, wird von einem Jugendknast in den nächsten verlegt. Siegfried S. dealt auch mal mit Heroin, geht zeitweise anschaffen. "Das war mir sowieso alles egal, weil ich mir gedacht habe: Da waren schon ganz andere drin."

Zwischendrin, 1985, heiratet er eine junge Frau, die er im Schwimmbad kennengelernt hat. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, zu dem er heute aber keinen Kontakt mehr hat. Das Paar trennt sich, als Siegfried S. merkt, dass sie ihn mit seinem besten Freund betrügt. Mehrmals versucht er, sich den goldenen Schuss zu geben. Es klappt nie. Wegen eines Einbruchs in einer Apotheke, bei der er auch Bargeld klaut, wandert Siegfried S. schließlich wegen schweren Raubs für mehr als fünf Jahre ins Gefängnis. Insgesamt hat er rund zehn Jahren hinter Gittern verbracht. Ins Gefängnis lässt er sich von seinem Vater Haschisch schmuggeln. Das in Plastikkügelchen verpackte Rauschgift schluckt er, um es dann auf der Toilette aus seinem Stuhl zu pulen.

Nach der Entlassung scheint der Lebensweg von Siegfried S. 1995 eine positive Wendung zu nehmen; er lernt eine Versicherungsfachangestellte kennen, in deren Wohnung er noch heute wohnt. Er wird Maschinenführer in einem Brunnenfachbetrieb, füllt Sprudel ab, rund elf Jahre läuft alles gut. Dann wird seine Krankheit diagnostiziert, die schließlich mit der Amputation der Hoden endet. Seinen Job hat er unterdessen verloren.

Im Krankenhaus hat Siegfried S. eine Art Vision. Er redet nur in Andeutungen darüber, spricht von einer "total spirituellen Erfahrung". Er habe sich in so etwas wie einer Parklandschaft mit Brunnen befunden, ein Mann habe mit ihm über alles geredet, stundenlang, wie es ihm schien. Seitdem redet er fast schwärmerisch von Jesus. Aus der Kirche war er ausgetreten, sobald er 18 Jahre alt war.

Anfang September lädt die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) für einen Sonntagnachmittag zu einer Veranstaltung über die "Evangelische Heimerziehung" im Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt in Berlin. Der EKD-Ratsvorsitzende Präses Nikolaus Schneider bittet dabei ganz offiziell "die betroffenen Heimkinder für das in evangelischen Heimen erfahrene Leid um Verzeihung".

Nicht ausgehalten

Siegfried S. hält die Veranstaltung nicht aus. Empört verlässt er zeitweise den hellen Sakralraum. Nach der Veranstaltung spricht er Präses Schneider an, sagt ihm, dass er am liebsten mit einer 45er die Reihen in der Kirche lichten würde. Und er erzählt ihm von der Briefmarke. "Wir bleiben am Ball", habe ihm der EKD-Ratsvorsitzende gesagt, berichtet Siegfried S. In der EKD will man das Gespräch im Französischen Dom mit Verweis auf die Verschwiegenheitspflicht bei privaten Gesprächen nicht kommentieren.

Wie viele Heimkinder will Siegfried S. keine Therapiekostenhilfe mehr, sondern möglichst schnell eine Entschädigung von der evangelischen Kirche. Aber bisher tut sich da nichts. In seinem Wohnzimmer kramt er ein Antragsformular der katholischen Kirche für Missbrauchsopfer hervor. "Suchen Sie das mal bei den Evangelischen", sagt er, "finden Sie nicht." Nach dem stundenlangen Interview ist Siegfried S. erschöpft. Er kann nicht mehr sitzen, wegen der Operationen. Er muss Antibiotika nehmen, alles ist entzündet und "ständig heiß". Aber Siegfried S. kämpft. Er hat nichts zu verlieren. Und er will nicht mehr schweigen.

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16 Kommentare

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  • S
    savara

    selbst ein ehemaliges heimkind,berührt mich dieser beitrag tief.grosses mitgefühl und respekt vor der offenheit zolle ich siegfried.s.

    er hat mit seiner schweren leidensgeschichte wieder aufmerksam gemacht,wie es den menschen unter dem deckmantel des schweigens und des tabus geht.ein bisschen licht ins dunkel.

    meine wirtschafltlichen verhältnisse sind sehr bescheiden,aber gibt es bankverbindung,die auch dem betroffenen sicher zugeordnet werden kann?

    alles gute weiterhin,vergessen Sie uns bitte nicht!

  • BR
    Beate Reinert

    ich bin nun 53 jahre ebenfalls ein heimkind war ebenfalls 3 mal in torgau und in einen anderen jugendwerkhof wolfersdorf habe es heute noch nicht verdaut meine schlechte kindheit sowie jugend konnte bis heute noch mit jemanden darüber reden finde es aber nun gut das entlich etwas dafür getan wird

  • SS
    siegfried s.

    nochmals Hallo an alle intressierten,-

    ..

    meine bitte an Sie als leser ..können sie mir einen Rechtsbeistaqnd nennen an denn ich mich vertrauensvoll mit meinen problemen wenden kann?hier in schleswig -holstein ist ein vertreter am werk der ja nur opportunistisch in eigener sache die intressen der kirchr vertritt und nicht die der betroffenen.

    nach meiner letzten operation ist alles über mich zusammengebrochen und bin am ende..

    Danke für die spontane hilfe..

  • S
    siegfried.s.

    von Anonym:

    Sehr traurige Geschichte...

    Kleiner Hinweis an der Redakteur: "2x Scheidung, 3x Wiederheirat" - wirklich?

     

    ja..meine eltern haben trotz aller wiedrigkeiten immer zueinandergestanden.!

     

     

    und auch nach der veröfftlichung meines lebens hier hat sich von seiten der e.v Kirche nicht viel getan..warum auch es ist ja einfacher auf die natürliche lösung dieser problemathik zu warten.

  • FK
    Frank Kampehl

    In der Zukunft:

    In einem Altersheim wird ein Greis überwältigt der mit einem Gegenstand eine Pflegekraft erstach.

     

    Der Alte hatt

    starkes Alzheimer und lebt seit geraumer Zeit nur noch in der Vergangenheit.

     

    Psychologen vermuten daß er eine schlimme Kindheit gehabt haben muß, denn in helleren Minuten stammelt er verängstigt irgend etwas von "Makarenko" und "ich fliehe wieder". Wissenschaftler jedoch schließen seines Alters wegen aus daß es sich um ein traumatisches Erlebnis aus Kriegszeiten handeln kann.

  • BM
    Bernd Müller

    Also, wenn ich das hier so lese, kommt mir das kalte Kot...! Ich selber bin auch in 5 verschiedenen Heimen aufgewacksen und habe auch heftigste Gewalt und auch Sexuelle übergriffe erlebt! Ich selber komme mit meinem Leben auch nicht richtig klar und bin in Psychologischer und Therapeutischer Behandlung.

    Einfach trarig was so mit uns gemacht wurde und noch gemacht wird! Wir haben uns alle diese mise Kindheit nicht ausgesucht, man hat uns unsere Kindheit genommen und hat uns zur Sklaven Arbeit benutzt. Heut zu Tage darf man nicht einmal ein Kind anschreien, dass ist Körperverletzung, was ist denn das mit uns dann!? Ich könnte hier auch noch so viel schreiben, aber ich kann mich sehr schwer darauf Konzentrieren. Vieleicht später mal mehr dazu! LG

  • M
    merkwuerdig

    @alekto

    "…und die "Petra" schrieb:

    "Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen (wollen)."

    - das ist aber kein besonderes Merkmal von Grün oder Linke. Das finden sie bei allen. Lediglich deshalb, weil es - so traurig dieser Fakt auch sein mag - schlichtweg menschlich ist. Der Mensch ist das einzige Tier, das derartigen Blödsinn im Instinktrepertoire hat."

     

    so einfach ist die sache nicht. das wegsehen hat methode, ist durchaus gewollt und eben kein "instinkt". in der hackordnung der sexuell missbrauchten stehen heimkinder auf unterster sprosse! sie hatten und haben gar keine lobby. weil sie arm an allem sind, das schwächste glied in der kette unserer gesellschaft. die allerschutzbedürftigsten - genau das sind sie - jedweder gewalthandlungen auszuliefern und ihr erlittenes weitgehend zu ignorieren ist nicht menschlich sondern das gegenteil davon. wenn es schon um instinkte geht: normalerweise ist es menschen ein bedürnis schutz zu geben!

     

    der vergleich mit dem tierreich führt i. d. zusammenhang ganz und gar in die irre (wie fast immer in bezug zu menschlichen belangen gesetzt). schließlich gibt es säuger, wie etwa löwen, die ihre eigenen (auch gesunden!) nachkommen auffressen.

     

    in einer hinsicht gebe ich ihnen recht: unsere gesellschaft ist "kaputt" und der umgang mit heimkindern und deren leid ist eines von vielen kennzeichen dafür.

  • DF
    Dirk Friedrich - VeH e. V.

    Ich kann Dir nur beipflichten Klaus K.!

    Der nächste "Runde Tisch SoundSo..." wird sich in 30 bis 40 Jahren formieren. All die, die dann um dieses Teil herum sitzen werden, werden wieder von nichts gewußt haben. Die Medien werden wieder versuchen die Betroffenheit ins Land zu tragen.

     

    - Es ist fast wieder alles beim Alten! -

     

    Leider gibt es kaum noch Proteste und Wortmeldungen.

    Besonders wenn es darum geht, das es wieder neue geschlossene und knastähnliche Abteilungen in Heimen, die von klerikalen Orden geführt werden geben wird. Siehe in Hessen - Sinntal. Dort sollen 8 Plätze und weitere 32 Plätze für 10 bis 14 Jahre alte Kinder bereitgestellt worden sein. - Hier wurde wieder mal zwischen Politik und Kirche, eine in meinen Augen höchst zweifelhafte und wie die Vergangenheit gezeigt hat, höchst gefährliche Allianz verabredet. Pro Kind ist ein Tagessatz von 300 € veranschlagt. Eine Unsumme die dort fehlt wo der Ansatz zur Vorbeugung zu beginnen hätte.

    Ich war vor etwa 14 Tagen selbst anwesend als der Landtag in Wiesbaden eine längst beschlossene Tatsache (Sinntal)in einer "Aktuellen Stunde", die von den Linken beantragt worden war behandelte. Selten habe ich solche aroganten, weit von Thema abwesende Politiker der anderen Fraktionen erlebt. Das sind die gleichen Politiker, die vor gut 2 Jahren bei einer "Öffentlichen Anhörung" im Landtag, zu der auch wir ehemaligen Heimkinder vom VEH eingeladen waren, vor "Mitgefühl" trieften. Ich erinnere mich auch daran, das festgestellt wurde, dass es solche Abteilungen "niemals" wieder geben soll.

    "Was schert mich mein Geschwätz von Gestern!" Konrad Adenauer

    Wieder einmal hat die Politik gezeigt wie unfähig sie gesellschaftlichen Problemen gegenüber steht. Da fällt ihr dann nichts mehr ein! Also muss wieder weggesperrt werden, damit sie das Elend, dass sie mitverursacht hat nicht mehr mit an sehen braucht.

    Es ist zum speien!

  • KK
    Klaus Klüber

    So tragisch die Heimkindergeschichten im Nachhinein auch sind, so hat sich ja nun erwiesen, wie elegant die Betroffenen von Kirchen und Staat mit einer verhöhnenden Alibientschädigung abgefertigt werden.

    Schwamm drüber und schon ist das moralische Schlabberlätzchen wieder weiß.

     

    Soweit der Teil, den die verantwortlichen Gestalter/innen unseres demokratischen Rechtsstaates angeht.

    Muss man nicht gut heißen, ist aber nun mal so.

     

    Was mich hingegen umtreibt, ist die Frage, wo unsere Medien in Ausübung ihres sozialen und rechtstaatlichen Wächteramtes geblieben sind, wenn es darum geht ein Fazit aus dem bekannt gewordenen Grauen und deren Ursachen zu ziehen?

     

    Warum beschränken sie sich in ihren Nachrichten und Reportagen auf die sensationsträchtigen Anteile, statt den Menschen in unserem Land möglichst verschiedene Angebote zur Lösung ihrer angesprochenen Berichte zu unterbreiten?

     

    So haben sie aus den Geschichten der ehemaligen Heimkinder offensichtlich nichts gelernt, um sich intensiver um unsere gegenwärtigen und künftigen Kindergenerationen zu bemühen, denen auch heute noch durch bildungspolitische Versäumnisse bedingt, noch immer nicht jene Freiheit und Unversehrtheit zugestanden wird, wie es ihnen eigentlich laut Grund- und Landesgesetzte verbindlich zugesichert wird.

     

    Dies hat zur Folge dass 3-4 Kinder pro Woche ihr häusliches Martyrium durch meist überforderte Eltern/Teile nicht überleben. Mindestens 15000 Kinder missbraucht werden, 36300 Kinder in staatliche Obhut genommen werden mussten, sowie rund 100000 Interventionen von Jugendämtern erforderlich wurden. (alle Erhebungen aus 2010)

     

    Wo bleibt angesichts derart katastrophaler Zahlen und individueller Schicksale die Verantwortung unserer Medien, denen es ein Leichtes sein sollte nicht nur zu beklagen, sondern einen Aufruf nach Lösungsmöglichkeiten zu starten, die diesem Elend ein nachhaltiges Ende bereiten könnten?

     

    Etwa, indem sie die Forderung zur Einführung einer Bildungsinitiative aufgreifen würden, die in einem ersten Schritt gewaltpräventiv aufklären würde:

     

    was Gewalt eigentlich ist?

    in welche Facetten Gewalt zum Ausdruck kommt?

    welche Folgen Gewalt auf die Betroffenen hat?

    und wie sich Gewalt vorrausschauend vermeiden ließe?

     

    In einem zweiten Schritt, könnten junge Menschen auf ihre eigene und soziale Verantwortung sensibilisiert werden. Zu dem auch ein gegenseitig wertschätzendes Kommunikations-, Motivationstraining, wie auch das Einüben von verbindlichen Benimmregeln einfließen müssten. Oder warum sonst beklagen wir unseren erodierenden Werte- und Courageverfall?

     

    Und weiter könnten unsere heranwachsenden Jugendlichen in einem dritten Schritt über die physischen und psychischen Entwicklungserfordernisse ihrer später möglichen eigenen Kinder unterwiesen werden, um sich nicht nur als liebevolle, sondern möglichst gleich als beste Fachleute in Erziehungsfragen zu erweisen.

    Oder warum müssen Kinder erst in den sprichwörtlichen Brunnen fallen, um anschließend von kostenintensiven Experten wieder zurück auf ihre eigene Beine gestellt zu werden?

     

    Zu diesem Themenkomplex fallen mir eine Menge Dinge mehr ein, zu denen mir insgesamt der Einfluss fehlt, um derart sinnvolle Ideen/Vorstellungen einem breiterem Publikum vorzustellen.

     

    Hier vermisse ich den Willen unserer Medien nicht nur in negativer, sondern auch in konstruktiver Hinsicht durch Aufgreifen fremder oder eigene Anregungen etwas zum Fortschritt unserer Gesellschaft beizutragen.

     

    Nur unter dieser Prämisse ließe sich zusammenfassend feststellen, dass wir gemeinsam bemüht sind aus den Geschichten der Geschichte zu lernen.

    Was in Hinblick auf die ehemaligen Heimkinder, deren Leid nicht einmal eine angemessene Entschädigung erfahren wird, zumindest bedeuten würde, dass ihr Leid nicht völlig vergebens gewesen wäre.

     

    Also werte TAZ-Redaktion, ich machen Sie bitte mehr Gebrauch von ihren Möglichkeiten.

     

    Klaus Klüber

    ex-Heimkinder.de

  • A
    Alekto

    Weswegen ich eigentlich kommentieren wollte: ich bewundere Menschen wie Siegfried S. zutiefst für ihre Zähigkeit, ihren Mut, ihren Überlebenswillen, ihre Ehrlichkeit und ihre trotz allem noch vorhandene konstruktive Energie und Herzensbildung. In unserer kaputten Gesellschaft sind sie die wahren Role Models.

     

    …und die "Petra" schrieb:

    "Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen (wollen)."

    - das ist aber kein besonderes Merkmal von Grün oder Linke. Das finden sie bei allen. Lediglich deshalb, weil es - so traurig dieser Fakt auch sein mag - schlichtweg menschlich ist. Der Mensch ist das einzige Tier, das derartigen Blödsinn im Instinktrepertoire hat.

    Wir sind halt eben doch nicht die Krönung der Schöpfung… wer hätt's geahnt.

  • S
    suswe

    Ich wünsche allen Betroffenen dieser Skandale das gleiche Ausmaß an Linderung/Entschädigung und Beistand, was sie an Überlebenskraft selbst aufgebracht haben.

  • E
    Ex-Odenwaldschüler

    Was diesem Mann und vielen anderen Heimkindern angetan wurde unter Aufsicht des Staates ,da im Heim in das er eingewiesen wurde,ist ein Schwerverbrechen an vielen KindernEs ist klar das ausser Internaten gerade die Heime ein Tummelplatz für Pädosexuelle und sonstige Kinderfeinde waren bzw. sind. Motivation ein Pflegekind aufzunehmen sind neben der Geldeinnahme auch pädosexuelle Neigungen .Verhaltensstörungen werden dann mit der bisherigen Biographie des Kindes erklärt.Kinder in Heimen und Internaten sind solchen pädosexuellen gewalttätern schutzlos ausgeliefert.Und das wissen die Erzieher und Pädagogen dort.

  • H
    Harald

    Viele Kinder der Nachkriegsgeneration hatten die Folgen der "Schwarzen Pädagogik" auszubaden, wobei die damalige 'Heimerziehung' nur die Spitze des Eisbergs war.

     

    So erinnere ich eine Situation, als ich 1966, als sechsjähriger, in einem Kinder Ferien Heim der Firma Siemens am Tegernsee war. Allabendlich mussten sich die sechs bis vierzehnjährigen Jungs im Keller des Hauses, wo die Duschen waren, vor den Erzieherinnen ausziehen und wurden dann von diesen, mit Schläuchen kalten Wassers abgespritzt.

     

    Unter kreischen und johlen der Frauengruppe (ca. 15) wurde vor allem auf die Geschlechtsteile der Jungs gezielt. Diese hatten es vor allem auf die größeren abgesehen, so konnte ich kleiner Wicht mich meist in eine Ecke drücken.

     

    Insgesamt herrschte damals, bis in die 70-er Jahre hinein, ein Klima der Täter-Opfer umkehr. Erwachsenen war es nach Belieben freigestellt, sich an Kindern zu vergreifen, denen immer die Schuld und die fällige Doppeltbestrafung zugedacht war. Denn erfuhren die Eltern von einem Übergriff eines anderen Erwachsenen an ihren Kindern, setzte es noch mal Prügel, denn Erwachsene hatten immer recht.

     

    Daß das Pendel in den Folgejahrzehnten dann in die umgekehrte, extreme Richtung ausschlug, hat den Kindern auch keinen Gefallen getan. Es braucht Generationen, bis gesellschaftliche Mißstände sich einigermaßen normalisieren.

  • F
    Fawkrin

    Wer interessiert sich schon für Heimerziehung oder gar Jugendhilfe?

    Gesellschaftlich gesehen sind das immer noch Randthemen, die, ich zitiere ein gängiges Vorurteil, doch nur "Asoziale und Versager" betreffen.

    Ich wünsche mir von der TAZ, dass sie hinter die Kulissen von Jugendämtern und Heimen schaut.

    Missstände sind dort immer noch an der Tagesordung. Das weiss ich aus eigener Erfahrung. Gerne können Journalisten hier mal ihre Nasen hineinstecken. In der Jugendhilfe merkt man wie gleichgültig unsere Gesellschaft tatsächlich kindern und Jugendlichen gegenübersteht.

  • A
    Anonym

    Sehr traurige Geschichte...

    Kleiner Hinweis an der Redakteur: "2x Scheidung, 3x Wiederheirat" - wirklich?

  • P
    Petra

    Neben dem individuellen Leid der Betroffenen erschüttert vor allem die Gleichgültigkeit der Linken und Grünen, die sich ja sogern als Gutmenschen darstellen, aber hier jahrzehntelang weggesehen haben. Viele dieser Pädagogen wissen schon lange, was da passierte aber haben nichts untternommen.

    Heute ist es mit den Ehremorden, Zwangsehen und innerehelichen Gewalt wieder genauso. Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen (wollen).