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Ministerin stellt Pflegepläne vor Jetzt mal ernsthaft, Frau Prien!

Mit ihrem Pflegegeld will CDU-Ministerin Karin Prien die Pflege in die private Verantwortung der Familien zurückverlagern. Wie könnte eine ernsthafte Pflege-Politik aussehen?

Offenbart mit ihren Pflegeplänen ihr antiquiertes Familienbild: Bundesfamilienministerin Karin Prien Foto: picture alliance/dpa | Daniel Bockwoldt

„Es wird mit unserer demographischen Entwicklung nicht möglich sein, dass Pflege allein von Fachkräften geleistet wird. Deshalb müssen wir einen Einstieg in ein Pflegegeld als Lohnersatz für pflegende Angehörige schaffen.“

Karin Prien, CDU-Bundesfamilienministerin, am 20. Mai.

taz FUTURZWEI | Die neue Ministerin will auffallen. Dazu braucht es Knaller. Die Medien lieben Knaller. Ganz gleich, ob sie als Problemlösungen taugen oder nicht. Für eine Abgeordnete im Wahlkampf wären letztere noch hinzunehmen, bei einer neuen Ministerin ist ein Knaller-Auftritt pure Kraftmeierei.

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Überfrachtung der Familien

Die Ansage von Karin Prien, Pflegegeld für Angehörige schaffen zu wollen, klingt für Fachfremde erstmal gut, ist aber eine Absage an alle Versuche, die Pflege der Alten in staatlicher Verantwortung so zu organisieren, dass jeder Alte, effizient organisiert, die Hilfe bekommt, die er für ein würdevolles Leben braucht.

Ministerin Prien will die Verantwortung für die Pflege dagegen in die private Verantwortung der Familien zurückverlagern, obwohl die Familien heute dafür gar nicht mehr aufgestellt sind.

Ignoranz der Demografie

Zur Fundierung der Debatte hier einige Hinweise auf demografische Tatsachen, die auch für Frau Prien die Pflege bestimmen werden. Bis etwa 2060 wird es eine hohe Überzahl an Alten geben. 2022 betrug der Anteil der 15- bis 24-Jährigen an der Bevölkerung etwas über 16 Prozent. Bis 2050 wird er auf etwa 12 Prozent sinken. Der Anteil der über 65-Jährigen betrug 2022 etwa 23 Prozent, er wird bis 2050 auf etwa 39 Prozent ansteigen.

Die Lebenserwartung der Alten nimmt zu, was die Kosten ihrer Versorgung zusätzlich ansteigen lässt. Heißt: In den nächsten 40 Jahren müssen immer weniger Junge immer mehr Alte in deren späten Jahren mit Pflege-Dienstleistungen versorgen.

Für die Finanzierung der Pflege der Alten bis 2050 werden sich, wenn der heute geltende Qualitätsstandard gehalten werden soll, die heute zu zahlenden 3,4 Prozent vom Brutto nach Schätzung des Statistischen Bundesamtes auf etwa 6 Prozent verdoppeln.

Bild: privat
Udo Knapp

Udo Knapp ist Politologe und kommentiert an dieser Stelle regelmäßig das politische Geschehen für unser Magazin taz FUTURZWEI.

Die Sozialabgaben insgesamt, die sich heute auf etwa 21 Prozent vom Brutto belaufen, werden nach der gleichen Schätzung auf mindestens 40,9 Prozent und mehr vom Brutto anwachsen. Das bedeutete für viele Jahre viel weniger Netto vom Brutto für die Jungen.

Daraus könnte ein veritabler Generationenkonflikt Junge gegen Alte entstehen, der die nächsten Jahrzehnte mit der Frage prägt: Warum sollen wir Jungen die Alten, die zu wenige Kinder in die Welt gesetzt haben, durch Einschränkungen unserer Lebensbedürfnisse finanzieren?

Karin Prien ist wirklichkeitsfremd

Die Vorstellung von Karin Prien, mit dem Pflegelohnersatz könnte die Pflege zurück in die Familien verlagert werden, ist wirklichkeitsfremd. Sie verstärkt den ohnehin starken Mangel an Facharbeitskräften weiter.

Vor allem aber: Familien als Generationen übergreifende Lebensverbünde, und Hausfrauen als Verantwortliche für alle Care-Arbeiten, gibt es nicht mehr. Realität ist, dass die Alten und ihre Kinder mit deren Berufsbeginn und Familiengründung in der Regel weit voneinander entfernt leben.

Die Alten bleiben allein zurück, zuerst als Paare, dann in der überwiegenden Mehrheit als alte, alleinlebende Frauen, mit viel zu niedrigen Renten in einer für sie zu großen Wohnung, gequält von Altersarmut, weit weg von ihren Kindern.

Irgendwann verlassen sie aus Armutsscham ihre Wohnungen nicht mehr, werden vom Essen auf Rädern versorgt, leiden an ihrer Einsamkeit vor sich hin.

Verkümmerung der Pflege-Infrastruktur

Für diese Frauen gibt es überhaupt keine realistische Chance für einer qualitätssichere Familienpflege, sie sind auf die öffentliche, ambulante und stationäre Pflege angewiesen.

„Einen Mechanismus, der die allgemeinen Kostensteigerungen in der ambulanten und der stationären Pflege ausgleichen könnte, gibt es nicht.“

Was sie brauchen, ist eine flächendeckende, öffentliche ambulante und stationäre Pflegeversorgung für alle Alten. Doch die gibt es nicht. Die dafür notwendigen öffentlichen Investitionen in die Strukturen der ambulanten und stationären Pflege, deren feste Verknüpfung mit allen Institutionen des Gesundheitssystems, in die Ausbildung des Pflegepersonals, dessen angemessene Bezahlung, sind bisher ausgeblieben.

Einen Mechanismus, der die allgemeinen Kostensteigerungen in der ambulanten und der stationären Pflege (angemessene Löhne, steigende Sachkosten und gedeckelte Kostenanteile der Angehörigen) ausgleichen könnte, gibt es nicht.

Die Leistungen der Pflegeversicherung, die nach Pflegegraden festgelegt werden, bilden heute nur ein schmales Fundament der öffentlichen und privaten, ambulanten und stationären Pflege. Mehr nicht. An ihrem Ausbau wird auch nicht gearbeitet.

Ein Pflegelohnersatz würde an der Pflegekrise der nächsten Jahrzehnte nichts ändern. Damit würden die zu pflegenden Alten der nichtprofessionellen Pflege durch ihre Angehörigen ausgeliefert, was nur zu vermehrten Krankenhauseinweisungen in immer kürzeren Abständen führen und neue Kostenexplosionen auslösen würde.

Wie die Jungen mit ihren Alten umgehen, daran zeigt sich der menschenfreundliche oder altersrassistische Charakter einer Gesellschaft.

Öffentliche Investitionen sind unausweichlich

Selbst wenn sie wollten, könnten die Familien auch mit dem Pflegelohnersatz die notwendige Pflege nicht hinbekommen. Die Pflege der Alten kann nur als öffentliche Vollversorgung sichergestellt werden, dann könnte sie insgesamt auch kostengünstiger organisiert werden.

Sie muss aus den öffentlichen Haushalten finanziert werden. Wenn dazu der Beitrag zur Pflegeversicherung verdoppelt werden muss und die Sozialabgaben insgesamt auf über 50 Prozent vom Brutto ansteigen, dann werden die Bürger diese Lastenteilung nicht ablehnen, weil dafür die Sicherheit einer professionellen Pflege als dauerhafter Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge garantiert wird. Natürlich müssen auch die Alten einen eigenen Beitrag leisten.

Der Beschluss des dänischen Parlaments in dieser Woche, die Lebensarbeitszeit auf 70 Jahre zu erhöhen, weist den richtigen Weg. Frau Prien ist ein Bildungsausflug zu ihren dänischen Kollegen dringend zu empfehlen, ein wenig mehr dänische Hygge anstelle von Ankündigungstheater könnte ihr beim grundsätzlichen Reformieren der Pflege in Deutschland helfen.

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