Ministerin Nahles bleibt unbehelligt: Polizei stoppt Flugblatt-Protest
AktivistInnen wollten zum Auftritt von Ministerin Andrea Nahles (SPD) beim Arbeitsfilmfestival Flyer verteilen. Die Polizei hatte was dagegen
Die Vorwürfe, die seit letztem Donnerstag im Raum stehen, könnten es für sich genommen schon in sich haben. Es geht mindestens um polizeiliche Kompetenzüberschreitung, Missachtung des Hausrechts, möglicherweise auch um unangemessene Gewaltanwendung. Jetzt aber geht es auch darum, dass hier einer lügt – und es sieht nicht so aus, als wäre das Bernd Krause. Sondern die Polizei.
Donnerstagabend im kommunalen Kino City 46: Die Arbeitsministerin Andrea Nahles kommt, um ihr Filmfestival „Futurale: Arbeiten 4.0“ in Bremen vorzustellen. Die Ministerin ist eine „besonders gefährdete Person“, wie es bei der Polizei heißt, insofern sind uniformierte und zivile Beamte im Einsatz.
Bernd Krause (Name geändert) hatte zuvor in einer Mailingliste zum Protest aufgerufen: Gegen Hartz IV, gegen die Sanktionen, die bei sogenanntem „sozialwidrigen Verhalten“ drohen. Wenn die Bundesarbeitsministerin schon einmal in der Stadt ist, dachte sich Krause, soll sie auch hören, was er und viele andere davon halten.
Gekommen ist trotz des Aufrufs dann keiner, auch das ursprünglich geplante Transparent hat Bernd Krause nicht mitgebracht. Lediglich 40 Flyer mit dem etwas erratischen Titel: „Arbeitslos 5.0: Nahles zahl deine Essensmarken zurück!“ hat er an dem Abend dabei.
Im Foyer des City 46 will er sie gerade verteilen, als ein Staatsschutzbeamter in Zivil auf ihn zukommt und ihn nach den Flyern fragt. Ab hier gehen die Aussagen auseinander: Bernd Krause sagt, der Beamte habe ihn am Arm aus dem Foyer bugsiert, um ihn am Verteilen der Flyer zu hindern.
Die Polizei sagt: Nach Ansprache durch den zivilen Staatsschutzbeamten, den Krause „offenbar als Polizeibeamten erkannt“ haben soll, sei er „in hohem Tempo in Richtung Ausgang geflüchtet“ und dort von Einsatzkräften festgehalten worden.
Dieses Detail ist wichtig, weil es das Hausrecht des Kinos betrifft: Wollte die Polizei Krause am Verteilen der Flyer hindern, wie er sagt? Dann hätte sie sich rechtswidrig über das Hausrecht hinweggesetzt, das eindeutig beim City 46 liegt – ausdrücklich auch an jenem Abend. Nur Verantwortliche des Kinos wären dann befugt gewesen, das Verteilen der Flyer zu verbieten – was sie aber nicht getan haben. Wie Recherchen der taz inzwischen ergeben haben, bestätigt mindestens ein weiterer, unbeteiligter Zeuge die Version von Krause: Er hat gesehen, wie er vom Staatsschutzbeamten am Arm aus dem Foyer herausgeführt wurde. Das steht in krassem Gegensatz zur Aussage der Polizei.
Komisch war die Sache von Anfang an: Die Anfrage der taz, so schrieb die Pressesprecherin der Polizei, sei als „Beschwerde gegen polizeiliches Einschreiten aufgefasst“ und daher „an das Beschwerde-Management weitergeleitet“ worden, wo es nun geprüft werde. Die Frage nach der Bestätigung eines Sachverhalts war aber mitnichten eine Beschwerde, sondern eine ganz normale Presse-Anfrage. Die Antwort kam dann einen Tag später tatsächlich vom Justiziar der Polizei – und nicht, wie sonst üblich, von der Pressestelle.
Was im Anschluss draußen vor dem Kino geschah, bezeichnet Bernd Krause als „Unterwerfungshandlung“: Eine Bekannte, die ihm zu Hilfe kommen wollte, „behinderte“ nach Aussagen der Polizei die Identitätsfeststellung. Daraufhin, so erzählt sie es, sei ihr mit dem sogenannten Polizeigriff der Arm auf den Rücken gedreht worden. Auf diese Weise zwang der Beamte sie auf die Knie, um ihr Handschellen anzulegen und sie schließlich abzuführen. Nach eigenen Angaben hat sie dabei Schwellungen erlitten, die sie am selben Abend im Krankenhaus hat dokumentieren lassen. Über eine Anzeige wegen Körperverletzung denke sie zur Zeit nach. Auch sie möchte ihren Namen, der Redaktion bekannt ist, lieber nicht in der Zeitung lesen.
Beide erhielten einen Platzverweis – und die 40 Flugblätter, die Bernd Krause rechtmäßig im Foyer verteilen wollte, wurden beschlagnahmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden
Krise der Linke
Drei Silberlocken für ein Halleluja
Die Wahrheit
Der erste Schnee
Schraubenzieher-Attacke in Regionalzug
Rassistisch, lebensbedrohlich – aber kein Mordversuch