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Minenarbeiter in SüdafrikaWarten auf die Liquidatoren

Noah Masike weiß nicht, wie er seine Familie über die Runden bringen soll. Seinem Arbeitgeber, der Pamodzi Gold Mine, droht die Liquidation. Teil 4 der taz-Serie zum G-20-Gipfel.

Ein Bergmann arbeitet in der Savuka-Mine, der tiefsten Goldmine der Welt, in West Wits bei Johannesburg in Südafrika. Bild: dpa

Mit lautem Rasseln legen sich die Ketten des Vorhängeschlosses um die alte Gittertür, der Wächter schließt um, und das Tor zum Schacht Nr. 3 der Pamodzi Gold Mine "President Steyn" bleibt auch für diesen Tag verriegelt. Wie lange noch? Die Männer stehen herum, viel reden sie nicht. Sie werden auch morgen wiederkommen, in der Hoffnung, dass der nächste Tag die lebensnotwendige Wendung bringt: Arbeit.

Alex Kodisang hat wie seine Kollegen am frühen Morgen die Stempelkarte durchgezogen, damit er nicht wegen Fehlens am Arbeitsplatz gefeuert werden kann. Aber "President Steyn" steht still. Strom und Wasser sind abgestellt, die Rechnungen für Telefone und Licht sind unbeglichen. Unter Tage liegt Gold für die nächsten 38 Jahre, aber oben herrscht lähmende Angst. Die Bergarbeiter verstreuen sich langsam, gehen zurück in ihre kargen Behausungen und warten. Auf Informationen von der Chefetage, auf den seit Monaten nicht ausgezahlten Lohn, auf ihr Schicksal.

Alex trägt Gummistiefel für die Bergarbeit, doch an diesem Morgen führen sie ihn an ein geplatztes Rohr in Schachtnähe. Daraus spritzt Wasser hervor, das normalerweise die Bohrmaschinen in der Mine kühlt. Alex lässt den blauen Plastikkanister volllaufen. Frauen, die auch im Bergwerk beschäftigt sind, waschen dort Wäsche. Sie bangen um ihre Familien daheim, wie Alex stammen sie aus dem Nachbarland Lesotho, das seit Generationen die reichen Goldminen in Südafrika mit Wanderarbeitern versorgt.

In den heruntergekommenen Baracken des Männerwohnheims am Schacht 3, dem größten der sechs Pamodzi-Schachtanlagen in der Bergbaustadt Welkom in der südafrikanischen Provinz Freistaat, kocht Alex Maisbrei auf einer verrosteten Kochplatte. Hier gibt es noch Strom, aber kein Wasser mehr. Das letzte Maismehl wird gerade aufgebraucht, die Vorräte sind zu Ende. Alex hat noch eine Tasche voller Maiskolben, gestohlen von den Feldern der Farmer. Der 25-Jährige hat zwei Kinder, Ehefrau und Eltern, die in der Stadt Lerina im kleinen Königreich Lesotho auf Geld warten. Mit 2.000 Rand pro Monat (160 Euro) ist er prinzipiell unterbezahlt, und er hat wie alle Kumpel seit Jahresbeginn seinen Lohn nur in Raten erhalten; im Februar waren es nur 70 Prozent, doch am Zahltag für März gab es dann gar kein Geld mehr. Die Verantwortung für seine Familie bedrückt Alex sehr. Er schlägt seinen Umhang zurück, die traditionelle Decke der Basotho. "Mein Vater hat hier gearbeitet und ist krank geworden, ich habe seinen Platz eingenommen", sagt er. Ohne Schulbildung blieb ihm nur die schwere Arbeit in den Stollen.

Sein Kumpel Noah Masike gibt jeden Morgen 20 Rand für den Transport zum Minenschacht aus: "Für nichts", schimpft er. Der 46-jährige Südafrikaner arbeitet seit 11 Jahren in der Mine und bringt rund 4.500 Rand (346 Euro) monatlich nach Hause. Er ist verärgert, aber die Sorge um seine Familie in der nahen Armensiedlung Kutloanong dämpft selbst die Wut, schnürt ihm den Hals zu. Auf dem Weg dorthin denkt er nur darüber nach, wie er Essen für drei kleine Kinder und seine Frau heranschaffen kann. In seinem selbst gebauten Shack, einer Wellblechhütte, steht ein kleiner Küchenschrank, den muss er in sieben Tagen abzahlen: "Sonst holen sie ihn ab", sagt er und öffnet die Türen, reißt die Deckel von den Vorratsbehältern: leer. Kein Öl zum Kochen, kein Paraffin, kein Brot. Das Einzige, was es noch gibt, ist Wasser aus dem Hahn vor der Tür, denn Noah lebt in einer Gemeinde, nicht in dem vom Bergbaukonzern versorgten Wohnheim. "Wenn Pamodzi schließt, bekommen wir dann unseren Lohn?", fragt er ängstlich.

"Wenn Pamodzi diesen Standort schließt, bekommen wir nichts", sagt Hennie Kommer. Er ist Sprecher der Gewerkschaft Solidarität und arbeitet ebenfalls im Bergwerk. Solidarity - oder Solidariteit in Afrikaans - vertritt zu 80 Prozent weiße, zumeist besser ausgebildete Bergarbeiter in Welkom und Umgebung, aber im Augenblick sitzen alle im selben Boot: Alle 4.000 Angestellten des Bergwerks haben ihre Löhne nicht erhalten. Es ist einfach kein Geld da. Noch nicht einmal für ein ihnen gesetzlich zustehendes Abfindungspaket, weshalb noch niemand entlassen wurde. Aber fast die Hälfte der Kumpel ist schon gegangen und sucht Arbeit, doch die Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise haben auch Südafrika nach vielen Jahren des soliden Wirtschaftswachstums wieder in die Rezession gedrängt. "Die Liste der Unternehmen, die von Pamodzi Geld fordern, ist lang", sagt Kommer. Pamodzi Gold schuldet verschiedenen Zulieferern 800 Millionen Rand; die kleinste Summe beträgt 22 Rand für Kompressionsluft, der größte Einzelbetrag beläuft sich auf 36 Millionen - für Beleuchtung.

DIE LAGE IN SÜDAFRIKA

200.000 bis 300.000 Arbeitnehmer könnten dieses Jahr in Südafrika im Zuge der globalen Wirtschaftskrise ihre Stelle verlieren und die Arbeitslosenquote um 3 Prozentpunkte steigen lassen. Laut Regierung liegt diese bei 23 Prozent, inoffiziell bei 40 Prozent. Mehr als 112.000 Menschen sind bereits seit November 2008 entlassen worden. Die Bergbau- und Automobilindustrie sowie die Textilbranche sind am stärksten von Arbeitslosigkeit bedroht.

Im Bergbau sollen dieses Jahr bis zu 50.000 Jobs gestrichen werden, die Produktion ist seit August bereits auf dem niedrigsten Stand seit 1987. Im letzten Quartal 2008 sank die Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts erstmals in den letzten 10 Jahren um 1,8 Prozent. Südafrika besitzt die größte Wirtschaft in Afrika. IMF sagt voraus, dass das Wirtschaftswachstum in Subsahara-Afrika 2009 nur noch 3,25 Prozent statt der angenommen 6,7 Prozent betragen wird.

Schichtleiter Kommer sitzt mit Kollegen im Büro der Gewerkschaft in der Stadt, Depression spricht aus ihren Gesichtern. "Wir werden kreditunwürdig, müssen Autos und Haus verkaufen", sagt Schichtleiter Fanie Smit. "Meine Frau weiß es schon, aber es führt zur Isolation, nagt am Selbstbewusstsein." Mit über fünfzig Jahren sei es schwer, eine andere Stelle zu finden: "Wir haben zudem die falsche Hautfarbe", meint Fanie und unterdrückt Tränen. "Wir hätten Mandela zwanzig Jahre früher entlassen sollen", versucht er, die Fassung zurückzuerlangen. "Dann hätten wir jetzt eine bessere Regierung."

"Pamodzi" heißt Gemeinsamkeit, doch die Vision der schwarzen Eigentümer - es sind Exmanager des mächtigen Bergbaukonzerns AngloGold, die das einst profitable Unternehmen vom Vorbesitzer Harmony Gold aufgekauft hatten - ist den Bach runtergegangen. "Sie hatten zu wenig Kapital für Rücklagen und haben ein paar schlechte Entscheidungen getroffen", erklärt Lea Hardy, Organisator bei Solidarität für die Region Welkom, eingeladenen Geschäftsleuten des Ortes beim Krisentreffen im Gewerkschaftsbüro. Er bereitet sich auf das "Schlimmste" vor: die Liquidation von Pamodzi. Vier Firmen, die nicht länger auf ihr Geld warten wollen, sind vor Gericht in Pretoria gezogen. Dort wurde die Liquidation der Minen gestern zunächst ausgesetzt, weil Gläubiger mithilfe einer noch unbekannten "Finanzspritze" ausstehende Zahlungen erhalten haben. Doch die Krisensitzungen gehen weiter, Hardy hat wenig Hoffnung auf Besserung. "Es gibt kein Geld, um den Schacht arbeitsfähig zu machen." Das Wasser aus den Erdschichten muss abgepumpt werden, sonst wird der Schacht geflutet. Auch die Luftkühlungsanlagen müssen erneuert werden. "Aber welcher Investor springt bei der derzeitigen Finanzkrise ein und kauft eine verschuldete Mine?", fragt Hardy.

Die Pamodzi-Bosse hatten schon Ende vergangenen Jahres um Kredite gebettelt, bei der Deutschen Bank, in China und anderen Ländern. Doch sie konnten die geforderte Sicherheit von 400 Millionen Rand für die Kreditgeber nicht aufbringen. Das betrifft auch weitere Minen des Konzerns, die Orkney Mine in der Nordwestprovinz befindet sich bereits in vorläufiger Insolvenz. Insgesamt sind 15.000 Arbeitnehmer betroffen, die vom Verlust ihrer Jobs bei Pamodzi bedroht sind, und jeder Arbeiter ist wiederum für sechs bis acht Personen im Haushalt verantwortlich. Ein soziales Auffangnetz gibt es nicht.

"40 Prozent der Leute in Welkom sind betroffen, wie im Schneeballeffekt werden auch die Geschäftsleute weniger Umsatz verbuchen, wenn die Menschen hier verschuldet sind", erklärt Hardy. Er bittet die Mitglieder des lokalen Rotary Clubs und größere Unternehmen um Hilfe für den Fall der Fälle: Essenspakete sollen gepackt und bei Schließung der Minen ausgegeben werden. "Helping Hands", der soziale "Arm" der weißen, christlich orientierten Gewerkschaft Solidarity, hat bereits bedürftige Familien mit einer Ration Grundnahrungsmitteln ausgestattet, doch im Büro wird jetzt ein umfassender Krisenplan geschmiedet - Demonstration und Straßenblockaden sollen für Aufmerksamkeit und Spenden sorgen.

Hardys Kollege der "schwarzen" Gewerkschaft NUM (National Union of Mineworkers) erscheint nicht zur Sitzung mit den örtlichen Geschäftsleuten. NUM vertritt die schwarzen Bergarbeiter, und die sind enttäuscht: "Sie lassen uns im Dunkeln", sagen die Kumpel am nächsten Tag, als NUM am Schacht 2 erstmals eine Versammlung für die Arbeiter abhält und ihnen von der möglichen Liquidation der Mine erzählt. "Das Ganze hat politische Gründe, denn der Präsident des Landes besitzt Anteile an Pamodzi", sagen sie. Kgalema Motlanthe hat vor Jahren Anteile gekauft, doch ein Anteil ist nur noch 50 Cent wert, Pamodzi hat sich längst von der Börse verabschiedet. Vor zwei Jahren förderte Pamodzi noch 560 Kilogramm Gold pro Monat und erwirtschaftete 168 Millionen Rand Umsatz monatlich. Am Ende waren es nur noch 55 Kilogramm.

Die Kumpel am Schacht 2 murren, als NUM-Generalsekretär Frans Balani das Warten predigt. Streik und Protestmärsche seien jetzt nur schädlich "for the big party". Gemeint ist der ANC, denn der Gewerkschaftsverband Cosatu ist Partner im Regierungsbündnis. Und für die anstehenden Wahlen am 22. April macht es sich nicht gut, wenn schwarze Arbeitnehmer gegen ihre Regierung auf die Straße gehen. "Wir hoffen, dass es noch zur Schlichtung kommt und die Schulden in Raten abgetragen werden können", meint Balani. Die Regierung verhandle auch. Der ehemalige NUM-Gewerkschaftssekretär Gwede Mantashe ist jetzt ANC-Generalsekretär. Doch die Arbeiter haben wenig Vertrauen. "Die Regierung sagt nichts und tut nichts für uns", meinen sie. Sie haben seit Tagen nicht gegessen und fühlen sich verraten. Wählen wollen die meisten hier nicht den ANC. "Nix" sagt Noah Masike in Afrikaans und schüttelt betrübt den Kopf. Vielleicht wählt er Cope, die neue Partei, die sich vom ANC abgespaltet hat. Oder gar nicht.

Aber am nächsten Morgen wird er wieder zwanzig Rand beim Nachbarn borgen, zu seinem Schacht Nr. 3 fahren und vor dem Tor mit seinen Kumpels auf gute Nachrichten warten.

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1 Kommentar

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  • W
    wanja

    Eine nachhaltige "Entwicklungshilfe" könnte - auch - im südlichen Afrika, speziell auch in Südafrika, neue "green Jobs" zu schaffen helfen,

     

    z.B. durch Unterstützung des Ausbaus der Solarenergie.

     

    Nicht nur dass im südlichen Afrika problemlos der gesamte Energiebedarf mit Solarenergie gedeckt werden könnte (z.B. mit solarthermischen Kraftwerken wie Andasol in Andalusien, Südspanien, aber auch mit kleinen, dezentralen Anlagen, vgl. http://www.tiloo.ch ),

     

    auch das steigene Problem der Wasserknappheit könnte damit deutlich entschärft werden,

     

    z.B. mit solarenergetischer Meerwasser-Aufbereitung, vgl. z.B. das so genannte Multi Effect Humidification/Dehumidification-Verfahren (MEH) oder die Mehrstufige Meerwasserentsalzung (FH Aachen), vgl. http://www.chemie.de/lexikon/d/Solare_Meerwasserentsalzungsanlagen/