Mindestlohn für Weiterbildung: 1.200 Euro brutto sind zu wenig
Gewerkschaften und Arbeitgeber wollen einen Mindestlohn für die Weiterbildung. Er soll im Osten bei 10,98 Euro Stundenlohn liegen. Die Chancen stehen gerade recht gut.
BERLIN taz | Gewerkschaften und Arbeitgeber versuchen zum zweiten Mal, einen Mindestlohn für die Weiterbildung branchenweit durchzusetzen. Wie die Gewerkschaft Ver.di mitteilte, hat sie gemeinsam mit der GEW sowie dem Bundesverband der Träger beruflicher Bildung (Bildungsverband) beim Arbeitsministerium den Antrag gestellt, nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz den derzeit existierenden Tarifvertrag für allgemeinverbindlich zu erklären.
"Wenn das passiert, dann hätte die Bundesagentur für Arbeit endlich etwas in der Hand, um Dumpingangebote auszuschließen", sagte Horst Palik vom Bildungsverband. Die Lohnuntergrenze würde nur für die rund 26.000 Beschäftigten gelten, die - fast ausschließlich im Auftrag der Bundesagentur - Empfänger von Arbeitslosengeld I oder II schulen. Geht es nach den Gewerkschaften und dem Bildungsverband, sollten alle pädagogischen Kräfte künftig 12,28 Euro (West) oder 10,98 Euro (Ost) erhalten.
Die Branche sei von Niedrigstlöhnen gekennzeichnet, sagt Palik. Renate Singvogel, bei Ver.di für Weiterbildung zuständig, berichtet, 1.200 bis 1.500 Euro brutto im Monat für eine 39-Stunden-Woche seien "keine Seltenheit". Das sind zwischen 7,60 oder 9,60 Euro Bruttostundenlohn. Palik und Singvogel sind optimistisch, dass jetzt der Mindestlohn kommt.
Im Oktober 2010 hatte das Bundesarbeitsministerium (BMAS) einen solchen mit Verweis auf mangelndes öffentliches Interesse noch abgelehnt. Der eingereichte Tarifvertrag sei mit 25 Prozent Tarifbindung nicht repräsentativ genug. Seither hat der Bildungsverband weitere Arbeitgeber gewinnen können, die den Tarifvertrag anwenden. Die Tarifbindung liege jetzt bei mehr als 40 Prozent. Und: "Die Branche wird zu fast 100 Prozent aus Beitrags- oder Steuergeldern bezahlt - da gab es schon im Oktober ein öffentliches Interesse", sagt Palik.
Die Chancen für die Lohnuntergrenze stehen aber nicht nur wegen der höheren Tarifbindung besser als vorher: Im Verlauf des Streits über die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze im Februar hatte sich auch der Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat für einen Mindestlohn in der Weiterbildung ausgesprochen. Jetzt ist erst einmal das BMAS am Zug: Es muss den Antrag erneut prüfen.
Leser*innenkommentare
Netzer, Bert
Gast
Der gemeine Bildungsträger sucht:
- abgeschlossene akademische Ausbildung
- mehrere Jahre Berufserfahrung
- hohe Belastbarkeit
- kommunikative und soziale Kompetenz
- Flexibilität
Der gemeine Bildungsträger gibt:
- keine Sicherheit
- ein Gehalt "etwas über"Hartz 4 Niveau
- ein schwieriges Klientel, welches mit multiplen Vermittlungshemmnissen behaftet ist
Was bekommt der TÜV NORD Bildung:
Trotz allem hoch qualifizierte Mitarbeiter, die trotz der hohen persönlichen Belastungen jeden Tag ihr Bestes geben, aber nicht mehr lange leisten können und wollen.
Thomas Andreas
Gast
Es ist allerhöchste Eisenbahn, etwas zu unternehmen und den Bildungs - TÜV einzuführen. Mit dem Gütesiegel TÜV, hätten die Arbeitslosen dann garantiert Partner, die sich durch soziale Verantwortung auszeichnen. Der Teufelskreis der ständigen Vermehrung des Profits könnte unter Aufsicht des TÜV`s sicher rasch durchbrochen werden. Die Verschmelzung der Macht der Unternehmen mit der Macht des Staates kann nur durch unabhängige Institutionen wie den TÜV überwacht werden. Es ist notwendig, den ärmsten und schwächsten einen Partner an die Seite zu stellen, der sich „Fairplay“ auf die Fahnen geschrieben hat. Als Insider kenne ich mich aus.
U. Geier
Gast
Bildungsträger wie die TÜV NORD Bildung verpflichten sich in ihren Maßnahmen, höchste Qualitätsstandards einzuhalten. Wie, bitte schön, soll dies gewährleistet werden, wenn man hochqualifizierte Mitarbeiter mit solchen Hungerlöhnen abspeist?
Über ALGII-Aufstockung subventioniert mal wieder der Staat Unternehmen wie den TÜV NORD, der sich seine Gewinne klammheimlich in die eigene Tasche steckt. Wann ist der Punkt errreicht, an dem die Mitarbeiter die Schnauze endgültig voll haben und geschlossen auf die Straße gehen?
Thomas Wasilewski
Gast
Es ist beschämend, dass ein Bildungsträger wie die TÜV Nord Bildung GmbH & Co. KG den Mitarbeitern die Löhne unter Hartz IV Niveau senken möchte.
Gleichzeitig macht die TÜV Nord AG zirka 50 Mill. Euro Gewinn. Vor einem Jahr verkaufte Evonik (RAG) die RAG Bildung an die TÜV Nord AG. Evonik machte 2010 einen Gewinn von 783 Mill. Euro.
Die Mitarbeiter der TÜV Nord Bildung GmbH profitieren von diesen Gewinnen nicht.
Die Mitarbeiter sollen sich aber durch Lohnverzicht am angeblichen Verlust beteiligen. Gleichzeitig sind viele Mitarbeiter Aufstocker oder beziehen Wohngeld und Kinderzuschlag.
Im aktuellen Bericht der UN fordern die Vereinten Nationen Deutschland auf, etwas gegen die Armut der Beschäftigten in Deutschland zu unternehmen. Sehr peinlich für Deutschland und noch peinlicher für die Bundesagentur für Arbeit, dass sie sich direkt an der Ausbeutung der Beschäftigten beteiligt.
W. Wacker
Gast
Das ist doch eine echte Spiegelfechterei. Es geht hier nur um die Mindestlöhne, die in BA-bezahlten Kursen anfallen. Die also von der BA (den Beitragszahlern und Steuerzahlern) bezahlt werden müssen.
Klar, dass sich Gewerkschaft und Arbeitgeber einig sind. Der Arbeitgeber sagt: x% Profit vom Umsatz sind für mich; BA zahlt mehr pro Stunde, Umsatz hoch, Profit hoch. Und ver.di hilft mir noch und freut sich über den vermeintlichen "Sieg".
Granado
Gast
@drehmstez
Hier ist aber von Löhnen die Rede - hilft natürlich nix, wenn viele Bildungsreinrichtungen auf Honorarverträge umgestiegen sind, wobei ja die Scheinselbständigkeitskriterien schnell wieder gestrichen wurden.
Johannes Kern
Gast
Und dann gehen Bildungsträger wie TÜV Nord Bildung GmbH & Co. KG davon aus, dass sie bei nachfolgenden Tarifverhandlungen mit der IGBCE Lohnkürzungen von bis zu 25 % bei ihren Beschäftigten fordern können und Jahressonderzahlungen ersatzlos streichen wollen. Wo leben wir eigentlich? Was muss noch passieren, dass der Betriebsrat wach wird und nicht für sein Wohlverhalten ho(h)noriert wird? Bildung gibt es nun mal nicht zum Nulltarif, erst recht nicht, wenn sie qualifziert herübergebracht wird, und wenn sie bezahlbar bleiben soll, dann nicht auf Kosten der Beschäftigten.
Juergen K.
Gast
Wenn Weiterbildende 10 Euro wert sind,
wie viel wert sind dan Ungebildete?
Etwa Merkel und Westerwelle oder Koch-Merin und Seehofer?
drehmstez
Gast
WeiterbildungsHOHNorare
ES KLINGT WIE EIN SCHLECHTER WITZ, DASS MAN VON € 10,98 ODER €12,?? LEBEN SOLL. Abgzüglich Krankenkasse, Rentenversicherung, Rentenzusatzversicherung und so ungewöhnlichen Dingen wie Urlaubs- und Krankheitsausfallzeitenvorsorge, die massiv zu Buche schlagen, bleibt von den anvisierten mickrigen €s fast nicht mehr übrig als ein Taschengeld für HartzIV-Aufstocker.
Um einigermaßen über die Runden zu kommen, müssten die Lehrkräfte ca. 40 - 45 € Honorar erzielen, damit sie im Krankheitsfall nicht gleich in die roten Zahlen rutschen. Anders als für hochdotierte Anwälte, Ärzte usw. gibt es keinerlei Sozialkassenmodell, das die dürftigen HungerHOHNorare kompensiert.
ALLE LEHRKRÄFTE IN DIESEM SEKTOR MÜSSTEN KONSEQUENT 40 - 45 € auf ihre Rechnungen schreiben und bei den zuständigen Ministerien direkt einreichen.
Es ist einfach ein Skandal, dass diverse Minister regelmäßig über die Bedeutung des tertiären Bildungssektors herumfaseln, aber wenn es ans Geld geht, wie die heuchlerische Billigheimer auftreten.