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Archiv-Artikel

Mindestens drei Leben

Irischer Abenteurer und Glücksmatrose: Die Geschichte von Nomad McGuinness

Es ist das erste und das letzte Buch von Sean McGuffin. Als ich ihn Mitte der Siebzigerjahre kennen lernte, sprach McGuffin häufig von jenem Nomad McGuinness, dessen Lebensgeschichte er unbedingt aufschreiben wollte. Stattdessen schrieb er drei Sachbücher, zwei Romane und viele Kurzgeschichten. Doch bereits damals sammelte er alles über den Abenteurer und Glücksmatrosen McGuinness aus dem nordirischen Derry und steckte schließlich Joseph Mulheron mit seiner Begeisterung an. Doch erst mit Hilfe des Internets und dank Hinweisen zahlreicher Menschen gelang es den beiden, den Lebensweg von McGuinness etwas zu entwirren.

Viele dunkle Stellen bleiben freilich. McGuinness wurde 1893 geboren und starb 1947 – doch nicht einmal das ist sicher. Zwar wurde er nach einem Schiffsunglück in der Irischen See für tot erklärt, doch sein Sohn behauptet, ihn 1950 noch gesehen zu haben. Ein Neffe erklärte gar, er sei McGuinness 1955 auf der Rolltreppe einer Londoner U-Bahn-Station begegnet. Ist McGuinness 1947 also lediglich untergetaucht? Es hätte zu ihm gepasst.

„Nomad“, der eigentlich Charles hieß, lief im Alter von 15 Jahren von zu Hause weg und ging zur See. Er umsegelte Kap Horn, reiste nach Chile, New York und Australien. Mit 17 erlitt er Schiffbruch vor Tahiti. Er blieb in der Südsee, arbeitete als Perlentaucher, heuerte wieder auf einem Schiff an und lief dann Südafrika, Brasilien, Mexiko und China an. Nach einer kurzen Zeit in der kanadischen Miliz kehrte McGuinness nach Europa zurück, trat zu Beginn des Ersten Weltkriegs in die britische Marine ein und kämpfte in Westafrika. Als er vom irischen Osteraufstand 1916 hörte, desertierte er, wurde aber von den Deutschen gefangen genommen. Zwar gelang ihm die Flucht, doch dann kämpfte er auf Seiten der Deutschen gegen die Engländer in Afrika. Nach weiteren Jobs als Matrose und Pirat und Romanzen mit orientalischen Prinzessinnen ging Nomad zurück nach Irland, schmuggelte Waffen für die IRA aus Deutschland, wurde verhaftet und konnte in letzter Sekunde aus der Todeszelle fliehen. 1929 war McGuinness der erste Ire, der mit der Expedition von Admiral Byrd den Südpol erreichte. Später arbeitete er als Schwarzbrenner in New York und von 1933 bis 1936 als Hafenmeister von Murmansk. Als der Spanische Bürgerkrieg ausbrach, war Nomad auf Seiten der Republikaner, lief jedoch schon bald zu den Faschisten über. Nach seiner Rückkehr nach Irland ließ sich McGuinness mit Nazi-Spionen ein und verbrachte den Rest des Zweiten Weltkriegs in einem Dubliner Gefängnis. Nach seiner Freilassung fuhr er bis zu seinem angeblichen Tod wieder zur See.

Kann einer allein so viel erlebt haben? McGuffin und Mulheron stützen sich zum Teil auf McGuinness’ Lebenserinnerungen, haben aber akribisch andere Quellen überprüft und Nomads eigene Ausschmückungen seines Lebens weggelassen. Übrig geblieben ist immer noch eine solche Menge an Erlebnissen, die für drei Leben reichen würde. Das Buch liest sich wie ein Abenteuerroman, obwohl es 26 Seiten mit Anmerkungen, eine Bibliografie und ein Glossar enthält.

McGuffin, der sich selbst als „Republikaner, Anarchist, intellektueller Hooligan und Schriftsteller“ bezeichnete, hat die Veröffentlichung des Buches nicht mehr erlebt. Er starb im April 2002, kurz vor seinem 60. Geburtstag. Das Manuskript wurde von Joseph Mulheron fertig gestellt, dem Wirt der Kneipe „Sandino’s“ in Derry, der selbst einen Hang zum Erzählen wahrer und unwahrer Geschichten hat – nach dem irischen Motto: „Lass die Wahrheit niemals einer guten Geschichte in die Quere kommen.“ RALF SOTSCHECK

Sean McGuffin und Joseph Mulheron: „Nomad McGuinness – die wahre Geschichte eines irischen Glücksmatrosen“. Aus dem Englischen von Jürgen Schneider. Edition Nautilus, Hamburg 2003, 284 Seiten, 16,90 Euro