Minderjährige Migranten: Flucht aus Bremen
Weil er in Bremen keine Hilfe fand, reiste ein alleine aus Gambia geflohener 16-Jähriger nach Hamburg. Die Betreuung ist schlecht – der Flüchtlingsrat schlägt Alarm
„Nicht nach Bremen, bitte nicht nach Bremen.“ Einen anderen Wunsch hatte der 16-Jährige aus Gambia, der hier Modou heißen soll, nicht. Weinend, so erzählt es eine ehrenamtliche Flüchtlingshelferin aus Hamburg, kauerte der alleine aus Afrika geflohene Jugendliche vor den MitarbeiterInnen des Hamburger Kinder- und Jugendnotdienst (KJND). Diese hatten ihm gesagt, er müsse zurück nach Bremen.
Von dort war er nach Hamburg geflohen, in der Hoffnung, dass ihm dort geholfen würde. Am 19. Februar wurde er um viertel vor vier morgens in eine Notunterkunft des KJND gebracht, wo ihn die Hamburger Aktivistin kennenlernte, die dort Beratungen für die Minderjährigen anbietet. Auch sie bittet darum, anonym zu bleiben, bis das Familiengericht sie offiziell als Vormund von Modou anerkannt hat.
Seit seiner Ankunft am 20. Januar in Bremen bis zu seiner Flucht nach Hamburg habe sich niemand um ihn gekümmert, erzählt sie. „Er sagte, dort gibt es nur Essen und ein Bett, sonst nichts.“ Das heißt: Keine Schule, keine Hilfe, einen Asylantrag zu stellen, keinen Sprachkurs, keine Freizeitangebote, keine SozialarbeiterInnen, kein Amtsvormund – obwohl das Gesetz all dies vorschreibt. Doch das kommt in Bremen seit über einem halben Jahr in vielen Fällen nicht mehr zur Anwendung, weil die Stadt nicht mehr weiß, wo sie die vielen minderjährigen Flüchtlinge unterbringen soll. Ihre Zahl hat sich von 2011 auf 2012 mehr als verdreifacht.
Deshalb bleiben viele derzeit wochenlang in der Zentralen Aufnahmestelle für Flüchtlinge (Zast) im Gewerbegebiet Habenhausen, einer Einrichtung, in der Jugendliche eigentlich nur übergangsweise wenige Tage bleiben sollen, weil sie dort überhaupt nicht altersgemäß betreut und versorgt werden können. Doch die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in Bremen können keine Flüchtlinge mehr aufnehmen, wie David Lukaßen, Sprecher der grünen Sozialsenatorin Anja Stahmann gestern bestätigte. „Zu Ostern sollen im einstelligen Bereich neue Plätze geschaffen werden“, sagt er. Außerdem würde an zwei Standorten geprüft, ob dort eine neue Einrichtung eröffnet werden könne.
Die taz hatte im Februar zweimal über die Zustände der unbegleiteten Flüchtlinge berichtet. Weil weder PolitikerInnen noch andere Medien darauf reagiert hatten, schlug gestern der Flüchtlingsrat Bremen erneut Alarm. Jetzt seien es schon 30 Kinder und Jugendliche, die zum Teil seit über sechs Wochen alleine in der Zast leben, teilte der Flüchtlingsrat mit. Manche müssten sich zu dritt ein Zimmer von zwölf Quadratmetern teilen. Auch ein Aufenthaltsraum fehle, Essen gebe es dreimal am Tag in der Kantine, nach dem Abendessen um 17.30 Uhr sei Schluss. Zum Duschen müssten die Jugendlichen – darunter befindet sich momentan auch ein 15-jähriges Mädchen – über den Hof zu den Erwachsenen gehen, sagte Marc Millies vom Flüchtlingsrat.
Anders als der nach Hamburg geflohene Modou sehen die zu einem Großteil traumatisierten Jugendlichen jetzt hin und wieder auch SozialarbeiterInnen, die sie beraten und etwas mit ihnen unternehmen. Allerdings sind diese nicht von morgens bis abends vor Ort anwesend. „Wir stocken deren Stundenkontingent aber gerade auf“, so Behördensprecher Lukaßen.
Nach wie vor fehlt eine Instanz, die einen Überblick hat über die verschiedenen Schicksale und entscheiden kann, wer am schnellsten aus der Zast heraus sollte. Modou hatte das Glück, dass er in Hamburg auf SozialarbeiterInnen des KJND stieß, die sich mit der Flüchtlingshelferin einigten, er müsse erst wieder nach Bremen, wenn sie dort einen Platz für ihn gefunden hätten. Den hat er dank deren Engagement jetzt.
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