: Milliarden für Afghanistan-Hilfe
Geberländer drehen den Geldhahn für Hilfsorganisationen auf. Die warnen vor einer Vernachlässigung jener Afghaner, die nicht ins Ausland fliehen
von DOMINIC JOHNSON
Die Versorgung für zu erwartende neue Flüchtlinge aus Afghanistan scheint gesichert. Bei einer Afghanistan-Geberkonferenz in Genf am Wochenende sagten Vertreter von 22 Regierungen insgesamt 616 Millionen Dollar (über 1,3 Milliarden Mark) an humanitärer Hilfe zu. Nach UN-Angaben gehen davon 210 Millionen Dollar an Hilfsorganisationen, während Verwendung und Empfänger weiterer 406 Millionen Dollar noch benannt werden müssten. 320 Millionen Dollar, über die Hälfte der Gesamtzusagen, kamen von den USA.
„Sehr willkommen“ sei diese Hilfe, sagte Kenzo Oshima, UN-Untergeneralsekretär für humanitäre Angelegenheiten, am Samstag auf einer Pressekonferenz. Es gehe „um Schutz und Hilfe für afghanische Bevölkerungen und um die Unterstützung politischer Lösungen und guter Regierungsführung“.
Am 27. September hatte das UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) einen Hilfsappell der UNO und ihrer Partnerorganisationen für „Afghaner in Afghanistan und Nachbarländern“ veröffentlicht. Darin wurden für den Zeitraum Oktober 2001 bis März 2002 584.035.652 Dollar für „Hilfs- und Schutzprogramme für bis zu 7,5 Millionen Afghanen“ gefordert – zwei Millionen mehr als vor der neuen Krise. Gerechnet wird unter anderem mit einer Million neuen afghanischen Flüchtlingen in Pakistan, 400.000 in Iran und je 50.000 in Turkmenistan und Tadschikistan.
Die ersten Flüchtlinge würden die mit den meisten eigenen Ressourcen sein, so dass die Priorität eigentlich wäre, Afghanen im eigenen Land zu versorgen – das sei aber fast nur von außen möglich, also in der Nähe der Grenzen. Je länger ein Militärschlag auf sich warten lasse, desto komplizierter könnte die Lage der Hilfsorganisationen werden, schätzt der Appell ein. Eine Militäraktion werde zwar zu „dramatisch beschleunigten“ Flüchtlingsströmen führen, zu Instabilität und Hungersnöten. Doch erst danach sei die Möglichkeit einer Stabilisierung Afghanistans und einer Verbesserung der Lage gegeben.
Die in Genf zugesagte Gesamtsumme übersteigt die Forderung des Hilfsappells; allerdings sind lediglich 182 Millionen Dollar der Zusagen für die im Hilfsappell erhaltenen Programme bestimmt. Das Genfer Treffen war ursprünglich sowieso nicht dafür gedacht, Geld zuzusagen, so Oshima, „aber viele Regierungen nutzten die Chance“. Eigentlich war es ein Treffen des „Afghan Forum“, das schon vor dem 11. September entstand und in dem Geberländer, UNO und Nachbarländer Afghanistans über die afghanische Krise reden.
Auf dem Treffen legte ein Verband von 17 Hilfsorganisationen unter britischer Führung ein Papier vor, in dem sie sich dagegen aussprachen, die Hilfsleistungen auf afghanische Flüchtlingslager im Ausland zu konzentrieren. „Das drängendste Problem – die Bedürfnisse der Menschen innerhalb von Afghanistan – wird nicht ausreichend behandelt“, heißt es darin. „Eine Bewegung von Afghanen über die Grenze in größerem Ausmaß ist nur eines von vielen möglichen Ergebnissen der derzeitigen Krise. Nach bisherigen Erfahrungen wird es für diese Leute besser sein, zu Hause zu bleiben, wenn es die Sicherheitslage zulässt.“
Die unabhängigen Organisationen fordern daher „massive Lieferungen von Lebensmittelhilfe jetzt, bevor der Winter einsetzt“ und kritisieren: „Seit dem 12. September ist nur wenig mehr als 15 Prozent des afghanischen Lebensmittelbedarfs von vor der Krise befriedigt worden.“
Während dies den Einschätzungen des UN-Hilfsappells entspricht, bekommen die Hilfsorganisationen von politischer UN-Seite wenig Echo für ihre Alarmrufe. Am Samstag erklärte die UN-Sprecherin für Afghanistan, Stephanie Bunker, die Lage in Afghanistan sei nach anfänglicher Panik wieder „halbwegs normal“.
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