Milli-Görüs-Chef Oguz Ücüncü: "Zu deutsch für die Türkei"
Oguz Ücüncü leitet Milli Görüs in Deutschland. Gegen ihn ermittelte vergeblich die Staatsanwaltschaft. Dabei sei sein Ziel nur, die religiöse Muslime in Deutschland zu organisieren.
Eigentlich müsste dies ein Tag des Triumphes für Oguz Ücüncü sein. Die Staatsanwaltschaft München hat die Ermittlungen gegen ihn, den Chef von Milli Görüs (IGMG), eingestellt. Die Verdächtigungen war erheblich, unter anderem Unterstützung von islamistischem Terror. "Es gab Vorverurteilungen", sagt er ruhig. Es sei eben ein Holzweg zu glauben, man könne Milli Görüs juristisch kaltstellen.
Als die Ermittlungen 2009 publik wurden, schrieb Ralph Giordano in der FAZ, dass "jetzt das wirkliche Programm des politischen Islam ans Tageslicht kommt: die schleichende Islamisierung Europas. Da ist eine destruktive Macht am Werk." Destruktiv wirkt Ücüncü keineswegs. Er hat keines von den Attributen, die man landläufig mit Islamisten assoziiert. Das Agitatorische ist ihm fern. Er redet mit der besonnenen Müdigkeit von jemand, der es gewohnt ist, verkannt zu werden. Die Welt hat mal geschrieben, er sehe aus wie ein evangelischer Pastor.
Ücüncü ist 1969 in Hamm als Kind türkischer Migranten auf die Welt gekommen, dort lebt er noch immer. In Dortmund hat er eine Bauelementefirma, doch oft ist er dort nicht. Generalsekretär bei IGMG ist zwar ein Ehrenamt, de facto aber ein Vollzeitjob.
Ein Schlüsselerlebnis für ihn war ein sechsmonatiger Praktikumsaufenthalt in der Türkei 1995. Damals sind alle "romantische Ideen" von der Rückkehr in die muslimische Heimat pulverisiert worden. Abgeschreckt hat ihn besonders der dortige "Raubtierkapitalismus". "Ich war", so Ücüncü zur taz, "einfach zu deutsch für die Türkei." Seine Schlussfolgerung war, das Dableiben der religiösen Muslime in Deutschland zu organisieren.
Ücüncü entspricht dem Bild des "Postislamismus", das der Ethnologe Werner Schiffauer skizziert hat. Ein eloquenter Reformer, der die traditionell denkende IGMG-Basis mit der deutschen Demokratie versöhnen will. Wie repräsentativ Ücüncü für Milli Görüs ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Er räumt ein, dass die Zeit etwa für eine Frau an der Spitze der IGMG noch "nicht reif ist".
In zwei Wochen spielt Deutschland in der EM-Quali gegen die Türkei. Ücüncü wird der Türkei die Daumen drücken. Sonst sei er immer für Deutschland. "Gewinnen tue ich so oder so."
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Klimaneutral bis 2045?
Grünes Wachstum ist wie Abnehmenwollen durch mehr Essen
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier