Militante Neonazi-Szene: Das andere Dortmund
Vor einem Jahr stürmten Mitglieder der Partei „Die Rechte“ das Dortmunder Rathaus. Seither nehmen die Provokationen kein Ende.
In der Straßenbahn von Dortmund-Dorstfeld Richtung Innenstadt sitzt Lukas Bals, stadtbekannter Neonazi, mit schwarzer Kappe, Adidas-Turnschuhen und Bauchtasche. Kurz hinter der Haltestelle „Ofenstraße“ wandert sein Blick beinahe sehnsüchtig hinauf zur Rheinischen Straße 135. Ein Altbau in leuchtendem Rot, das die braune Vergangenheit übertünchen soll.
Einst galt die Immobilie „RS 135“ als „Nationales Zentrum“ der rechten Szene, als Versammlungsort und Materiallager. Das Verbot des Nationalen Widerstands Dortmund (NWDO) 2012 ermöglichte die Räumung des Gebäudes, heute befindet sich an Ort und Stelle ein städtisches Jugendcafé.
Die Rechten etikettieren jetzt Dorstfeld als ihren „national befreiten“ Kiez. Bals und einige andere teilen sich Wohnungen an Thusnelda- und Emscherstraße, bunt besprüht, mit der Aufschrift „NS-Zone“. Vor ihrer Haustür gibt es polnische Spezialitäten zu kaufen, am nahegelegenen Wilhelmsplatz erinnert ein Mahnmal an die alte Synagoge, 1-Euro-Shops und Dönerläden schmiegen sich aneinander.
Dortmund steht bundesweit für Kohle (weg), Stahl (fast weg), Klopp (auch fast weg) und die Borussia (bleibt). Der Strukturwandel nach dem Ende des Bergbaus ist nicht wirklich gelungen, die Arbeitslosigkeit hoch, und dennoch hat Dortmund in den letzten Jahren, auch Klopp sei Dank, ein neues, positives Image von sich entworfen. Wären da nicht die Bilder vom 25. Mai 2014, dem Wahlabend, an dem Siegfried Borchardt, genannt „SS-Siggi“, für die Rechte ins Dortmunder Rathaus einzog. Eine Partei, gegenüber der die NPD wie ein friedlicher Altherrenklub wirkt.
23 weitgehend uniformierte Rechtsextreme marschierten damals auf das Rathaus zu. Eine Gruppe von rund 100 Demokraten stellte sich vor das Gebäude, die Situation eskalierte. Die Nazis schlugen zu, sprühten mit Pfefferspray. Lukas Bals schlägt einer jungen Frau vor den Kopf, Dietrich S. verpasst einer grünen Landtagsabgeordneten einen heftigen Faustschlag. Sie geht zu Boden. Rechte, die hinten stehen, feuern ihre Kameraden weiter vorne an. Die Welt blickte nach Dortmund, sogar New York Times und Washington Post berichteten.
Oberwasser für Nazis
Danach hatten die Rechten Oberwasser. SS-Siggi, dem Linke ein Alkoholproblem nachsagen, legte zwar schon kurz darauf sein Mandat nieder. Aber sein Nachfolger, Dennis Giemsch, stellte eine Anfrage an die Verwaltung, wie viele Juden in Dortmund leben – und wo. Mit „Stadtschutz“-T-Shirts patrouillierten Neonazis über Friedhöfe, am 21. Dezember verhöhnten sie auf einer Kundgebung das NS-Opfer Anne Frank mit Rufen wie „Anne Frank war essgestört!“ und „Wer sitzt im Schrank? Anne Frank!“
Um die Jahreswende tauchten über Twitter und Facebook plötzlich Todesanzeigen mit Namen von Journalisten auf, die über die Nazis berichtet hatten. Im Februar marschierten Rechtsextreme in SA-Manier mit brennenden Fackeln vor ein Asylbewerberheim. Und seit Mitte Mai jagen Dortmunder Nazis mit Fahndungsplakaten im Westernstil eine Flüchtlingsfamilie, der die evangelische Gemeinde Kirchenasyl gewährt hat.
Dortmund galt einmal als „Herzkammer der Sozialdemokratie“. Bis heute fährt die SPD Ergebnisse um die 40 Prozent ein, die Grünen über 15. Die Rechte holte bei der Kommunalwahl nur 1 Prozent. Es gibt Beratungsstellen gegen Rechtsextremismus, runde Tische, Arbeitskreise und Antifa-Gruppen.
Bei der Stadt sitzt ein Sonderbeauftragter für Vielfalt, Toleranz und Demokratie, der in jedem Interview folgenden Satz sagt: „Was können die Pinguine für das Abschmelzen der Polarkappen?“ Heißt: Was kann Dortmund dafür, dass sich hier eine hartnäckige Neonaziszene hält – immerhin schon über 30 Jahre?
Problem seit den 80er Jahren
SS-Siggi gründete seine Borussenfront in den 80er Jahren. Die jagte Ausländer im Viertel rund um den Borsigplatz – dort, wo der BVB seine Meisterschaften feiert. Borchardt wanderte wegen Körperverletzung ins Gefängnis, ging später zur rechtsextremen FAP, nach deren Verbot zu Kameradschaften. Die Behörden waren mal laxer, mal härter mit ihm und seinen Truppen. Borchardt, oft piratenähnlich in Schwarz gekleidet, blieb aktiv.
Die Nachfolger sind smarter, sehen aus wie die netten Schwiegersöhne von nebenan. Viele haben sich rein optisch dem linksalternativen Lager angepasst, sind kaum 30 Jahre alt, gewieft, internetaffin. Informatikstudent Giemsch etwa, der inzwischen schon wieder Exratsvertreter ist und den Jurastudenten Michael Brück nachrücken ließ.
Der Neue betreibt den bundesweit bekannten Internetversandhandel „antisem.it“. Zu seiner ersten Ratssitzung Anfang Mai kommt er in Turnschuhen und Kapuzenpulli, hat stapelweise Papier und einen Teil seiner Kameraden mitgebracht. Sie machen es sich auf der Zuschauertribüne bequem, lachen wie pubertierende Jugendliche, als die Schuldezernentin während ihrer Vereidigung gebeten wird, den rechten Arm zu heben.
Die meisten Anträge lehnt Brück ab, spricht sich aber für ein geplantes Kochbuchmuseum aus, weil dort „ein kleiner Schritt gegen Genderwahn und Emanzipation“ gemacht werden könne. Der 25-Jährige redet schnell und wie auswendig gelernt, man hört ihm die fehlende Erfahrung an.
Am Rande der Legailität
Giemsch ist erprobter. Bei der 1.-Mai-Demo in Essen führt er das Wort, hetzt gegen illegale Einwanderer. Als seine Gefolgschaft beginnt, „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!“ zu skandieren, setzt Giemsch per Megafon schnell ein „kriminelle“ an den Anfang. Sicher ist sicher. Neonazis wie Brück und Giemsch agieren am Rande der Legalität und testen, wie weit sie gehen können. „Brück und Giemsch sind gut vernetzt, es gibt Kontakte nach Bulgarien, Griechenland, Italien, Belgien und Holland“, sagt der Fotograf Marcus Arndt, der die rechte Szene seit Langem beobachtet.
Ungefähr ab 2003 traten junge Rechtsextreme wie Giemsch erstmals in Erscheinung, wurden zu führenden Köpfen des „Nationalen Widerstands“ Dortmund (NWDO). Nach dem Verbot der Kameradschaft 2012 gründete Giemsch den Dortmunder Kreisverband der Rechten. Mitglieder von verbotenen Kameradschaften wurde reihenweise in die Partei aufgenommen und rechtsstaatlich geschützt. Ein militanter Kern von etwa 40 Freunden steht heute unter dem verfassungsrechtlich garantierten Parteienprivileg.
Der 25. Mai 2014 war dann so etwas wie das Comeback des NWDO. „Die Partei Die Rechte ist aktionsorientierter geworden, aggressiver“, bestätigt Polizeipräsident Gregor Lange. Vor ihm auf dem Tisch in seinem Büro liegt ein Stapel Papier, er knickt die Ecken des vorderen Blatts um, streicht sie wieder glatt, wiederholt das. Auch die Polizei, insbesondere der Staatsschutz, gerieten nach dem Wahlabend in die Kritik. Denn die in Dorstfeld und am Rathaus stationierten Beamten schätzten die Situation vollkommen falsch ein und verließen frühzeitig das Geschehen. „Dieser Abend war für alle eine Katastrophe“, sagt Lange.
Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft sind unterdessen abgeschlossen. 17 Strafbefehle wurden gegen die Rathausverteidiger beantragt, darunter 13 wegen Nötigung, weil nach Ansicht der Justiz den Mitgliedern einer zugelassenen Partei der Zutritt zu einem öffentlichen Gebäude verwehrt wurde. Journalisten und Politiker sprechen dagegen von einem gezielten Angriff der Rechten – und tendenziösen Ermittlungen.
Die Staatsanwaltschaft isoliere das Verhalten einzelner Beteiligter voneinander und verliere so das generelle Bedrohungsszenario jenes Abends aus den Augen. Vielleicht, so ihr ironischer Kommentar, hätten die Pinguine doch etwas mit dem Schmelzen der Polarkappen zu tun.
Ende April steht Lukas Bals in Aplerbeck, einem Vorort im Dortmunder Südosten, und wettert gegen die örtliche Asylbewerberunterkunft. Jeden Montag ruft die Rechte mittlerweile zu Mahnwachen gegen Flüchtlingsheime auf, jeden Montag stellen sich ihnen Dutzende entgegen. Bals filmt und fotografiert diese Veranstaltungen, die Kamera ist sein Druckmittel.
Breitbeinig baut er sich vor den Gegendemonstranten auf, wippt den Kopf wie ein Wackeldackel im Takt der Nazimusik und hält drauf. Als ein junger Nazigegner das zur Anzeige bringen will, lässt der Polizist verlauten, Bals kenne man, der mache nur größere Panoramaaufnahmen. Einem anderen schreit Bals da allerdings gerade „Gib mir deine Adresse, dann bekommst du dein Foto“ entgegen, bevor er sich auf den Weg zurück in die „NS-Zone“ macht.
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