Militärische Willkür: Der birmesische Patient
Birma ist landschaftlich und kulturell ein reizvolles Land. Nach der Niederschlagung der Demonstrationen im Oktober letzten Jahres ist es allerdings als Reiseland in Verruf geraten. Angesichts des politischen Stillstands, rapide steigender Preise und fehlender Touristen wirken viele Menschen resigniert
Die Lage bleibt angespannt. Im Januar 2008 wurden bei Anschlägen Menschen getötet. Es gibt keinen Hinweis, dass sich die Anschläge gegen Ausländer richten. Sie werden vor allem an öffentlichen Orten verübt. (Auswärtiges Amt)
Endlich ist Nang Inn am Ziel. Die korpulente Frau breitet eine Matte aus und stellt vier Whiskey-Flaschen darauf. Ihre Schwester fügt zwei gekochte Hühner und verschiedene Schalen mit Reis hinzu. Zum Schluss falten beide Frauen die Hände zum Gebet und wenden ihre Blicke auf eine lebensgroße, mit Alkoholika behangene Reiterstatue. Sie stellt Ko Gyi Kyaw dar, einen in ganz Birma populären Schutzgeist. Ein Nat - wie diese in Birma genannt werden. Alles, was mit dem Geschäftsleben zu tun hat, fällt in seinen Zuständigkeitsbereich. Aus diesem Grund haben sich auch Nang und ihre Schwester von ihrer Heimatstadt Tachilek an der thailändischen Grenze auf den weiten Weg nach Zentralbirma gemacht, um Ko Gyi Kyaws Pilgerstätte am Chindwin-Fluss unweit von Pakokku aufzusuchen. "Unser Edelsteinhandel lief in den letzten Jahren sehr gut", erzählt Nang Inn. "Daher konnten wir uns endlich für zehn Millionen Kyat (umgerechnet 8.000 Euro, d. V.) einen 15 Jahre alten Nissan Sunny leisten. Dies verdanken wir vor allem Ko Gyi Kyaw." In Thailand und anderswo hätte die Shan-Frau für dieses betagte Fahrzeug einen Bruchteil davon zahlen müssen. Doch in Birma sind Gebrauchtwagen ein Vermögen wert, denn die Militärregierung reglementiert deren Einfuhr und hält somit die Preise hoch.
Ob Nangs Geschäfte in naher Zukunft weiter gut laufen werden, ist fraglich. Denn seit der brutalen Niederschlagung der Mönchsdemonstrationen im letzten Oktober herrscht Flaute im Tourismus-Geschäft. Das ist auch in Tachilek zu spüren, da sich in diesem Grenzort thailändische Besucher mit birmesischen Edelsteinen und chinesischen Billigwaren eindecken. Doch auch anderswo bleiben die Gäste aus. Etwa am Ngwe Saung Beach am Golf von Bengalen. Der 14 km lange "Silberstrand", fünf Autostunden westlich von Yangon, ist vor allem bei deutschen Urlaubern beliebt, die nach ihrer Rundreise durch Birma noch etwas entspannen wollen. So weit das Auge reicht, wiegen sich hier die Kokospalmen im Wind. "Bis zur Oktoberkrise war die Buchungslage hervorragend. Doch nun bleiben die meisten Betten leer", klagt Bi Mar, die Direktorin des Palm Beach Resort. Seit drei Jahren leitet die 38-Jährige die Hotelanlage mit nur 31 Zimmern. "Von den Demonstrationen der Mönche haben wir nur durch die Berichte von CNN und BBC erfahren", erzählt sie.
Für Politik interessiert sich Bi Mar schon lange nicht mehr. "Was kann ich schon machen", lamentiert die Enkelin nepalesischer Einwanderer. "Mir geht es vor allen Dingen darum, den Menschen hier in Ngwe Saung ein Auskommen zu bieten." Daher widmet sie sich der Aus- und Weiterbildung ihrer hundert Angestellten. Die meisten davon kommen aus den ärmlichen Dörfern an der Küste und dem Hinterland. Außer durch Landwirtschaft und Fischfang gibt es hier nichts zu verdienen. Die Infrastruktur ist katastrophal, vor allen Dingen fehlt der Strom. Deshalb sind alle zwanzig Hotels und Gästehäuser in Ngwe Saung mit Dieselgeneratoren ausgestattet. Abgesehen von der Umweltbelastung drücken die Kosten aufgrund des gestiegenen Ölpreises mehr denn je auf den Geldbeutel. Anderswo wäre dieser Strand eine Goldgrube, hier jedoch schreiben alle Hoteleigentümer - vorwiegend Geschäftsleute aus Yangon - tiefrote Zahlen.
Möglicherweise ist dies ganz im Sinne jener Stimmen, die sowieso keine Touristen im Land sehen wollen. Etwa für den britischen Reiseveranstalter responsibletravel.com, der sich die Umsetzung eines verantwortlichen Tourismus auf die Fahnen geschrieben hat. Während er keine Probleme hat, Urlauber nach Libyen und Simbabwe zu schicken, ist Birma für ihn eine No-go-Area. Bei Verantwortung denkt Laurent Kuenzle hingegen in erster Linie an seine 500 Mitarbeiter. Der 40-jährige Schweizer ist Direktor der Agentur Asian Trails und arbeitet seit über zehn Jahren im Land. Allein im Yangoner Büro sorgen 50 Angestellte für einen reibungslosen Ablauf der angebotenen Rundtouren. Zu den Kunden zählen renommierte Veranstalter wie Studiosus, TUI und Kuoni. "Konservativ gerechnet ernährt jeder meiner 500 Mitarbeiter im Schnitt drei weitere Personen. Folglich bin ich dafür verantwortlich, dass 2.000 Menschen ihren täglichen Reis bekommen", meint Kuenzle. "Angesichts fehlender Industrie ist der Tourismus einer der wenigen Bereiche, wo auch normale Leute etwas verdienen können", argumentiert er weiter und erinnert an all die Souvenirverkäufer und Restaurantbesitzer.
Die Demonstrationen des letzten Oktobers hätten sicherlich nicht jene weltweite Resonanz erhalten, wäre Birma so isoliert gewesen wie in den 1980er-Jahren. Viele ehemalige Besucher des Landes waren bei den jüngsten Sympathiekundgebungen in aller Welt dabei. Vor allem ist der Tourismus eine der wenigen Möglichkeiten für Birmesen, mit Menschen aus dem Ausland in Kontakt zu kommen.
So auch für Hla Myint*, einem Reiseleiter für englisch- und spanischsprachige Gäste. Bei einigen Demonstrationen war der 31-jährige Yangoner aktiv dabei. Einmal hielt er Soldaten, welche die berühmte Shwedagon-Pagode absperrten, ein Plakat hin. "Darauf forderten wir sie auf, sich den Mönchsprotesten anzuschließen", erzählt er auf Spanisch, damit niemand dem Gespräch lauschen kann. Mit ausländischen Freunden war er per Internet ständig in Kontakt, bis die Militärs die Leitung kappten. "Eigentlich wäre ich ja gerne Journalist geworden", meint er mit einem resignierten Lächeln. "Aber welche Möglichkeiten hätte ich angesichts der rigiden Zensur?" Nur wenige sind so mutig wie der mittlerweile inhaftierte Lyriker Saw Wai, der kürzlich ein Liebesgedicht veröffentlichte, in welchem er eine Kritik gegen die Nummer eins im Land, General Than Shwe, versteckt hatte.
Fünf Monate nach den Demonstrationen wirkt die Stimmung überall ziemlich gedrückt. Birma gleicht einem latent depressiven Patienten. Die Militärregierung sitz fest im Sattel, und das Ausland ist in seiner Haltung gegenüber dem Land heillos zerstritten, da bleibt für sie nur der Gang zur buddhistischen Pagode - oder zu Ko Gyi Kyaw, dem lebenslustigen Nat.
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